"Ein neues Kapitel in meinem Leben"
Seit 100 Tagen ist Ulrich Neymeyr Bischof von Erfurt - Zeit, eine erste Bilanz zu ziehen. Im Interview mit katholisch.de spricht der 57-Jährige, der vor seinem Wechsel nach Erfurt Weihbischof in Mainz war, über seine Ankunft in Thüringen, die ersten Monate im neuen Amt und die Herausforderungen in seinem Bistum.
Frage: Bischof Neymeyr, Sie sind seit genau 100 Tagen Bischof von Erfurt. Wie haben Sie die ersten Monate in Ihrer neuen Diözese erlebt?
Neymeyr: Die Menschen im Bistum haben mich herzlich begrüßt und freudig in ihrer Mitte aufgenommen. Das hat es mir leicht gemacht, meine Aufgabe als Bischof von Erfurt anzugehen. In den ersten Monaten in meinem neuen Amt habe ich eine Vielzahl von Eindrücken und Begegnungen erlebt, die mich beeindruckt und neugierig gemacht haben.
Frage: Vor Ihrer Ernennung war das Bistum Erfurt fast zwei Jahre vakant. Wie haben die Gläubigen in der Diözese reagiert, als die bischofslose Zeit mit Ihrer Ernennung zum neuen Oberhirten endlich zu Ende ging?
Neymeyr: Es war für mich eine große Erleichterung spürbar. Unmittelbar nach meiner Ernennung haben mir viele Menschen ihre Freude darüber zum Ausdruck gebracht, dass das Warten auf einen neuen Bischof endlich ein Ende hat. Seit meiner Amtseinführung bin ich nun dabei, alle Gemeinden unseres Bistums zu besuchen. Auch bei diesen Besuchen spüre ich bei den Gläubigen eine große Freude und Dankbarkeit, die mich bestärkt und ermutigt.
Frage: Bis zu Ihrer Ernennung zum Bischof von Erfurt haben Sie fast ihr gesamtes Leben im Bistum Mainz verbracht; zuletzt waren sie dort Weihbischof. Wie schwer ist Ihnen der Abschied von Mainz gefallen?
Neymeyr: Das war für mich schon ein großer Schritt. Ich bin im Bistum Mainz zu Hause, habe dort studiert und im Laufe der Jahre viele Freundschaften geschlossen. Aber ich habe, nachdem ich von meiner Wahl zum Bischof von Erfurt erfahren hatte, auch gemerkt, dass ich noch genug Dynamik in mir trage, um ein neues Kapitel in meinem Leben aufzuschlagen.
Frage: Nach 100 Tagen in einem neuen Amt ist es üblich, eine erste Bilanz zu ziehen. Wo sehen Sie nach den Eindrücken der vergangenen Monate die größten Herausforderungen für Ihre Diözese?
Neymeyr: Die größte Herausforderung besteht sicher darin, das kirchliche Leben auch vor dem Hintergrund einer sinkenden Zahl von Priestern und Gemeindereferenten weiter lebendig zu gestalten. Ich bin sehr froh, dass in unserem Bistum bereits im Jahr 2012 eine dreistufige Strukturreform in Gang gesetzt wurde, durch die die Zahl der Gemeinden bis zum Jahr 2020 von vormals 72 auf 33 reduziert wird. Diese Strukturreform garantiert den Gemeinden Verlässlichkeit. Wichtig ist jedoch, den Reformprozess auch jenseits struktureller Fragen inhaltlich mit Leben zu füllen.
Frage: Welche Schwerpunkte möchten Sie selbst bei diesem Prozess setzen?
Neymeyr: Mir ist vor allem wichtig, die Priester und Gemeindereferenten vor allzu großen Erwartungen zu schützen. Ein Pfarrer allein kann nicht das leisten, was vorher zwei oder drei Pfarrer geleistet haben. Umso wichtiger ist mir, unsere Getauften und Gefirmten noch stärker zu motivieren, das kirchliche Leben in der Diözese aktiv mitzugestalten.
Frage: Abgesehen vom katholisch geprägten Eichsfeld ist das Bistum Erfurt ein Diaspora-Bistum mit einer geringen Zahl an Katholiken. Hinzu kommt das Erbe der atheistischen DDR-Vergangenheit. Wie kann sich der christliche Glaube unter diesen erschwerten Bedingungen erfolgreich behaupten?
Neymeyr: Ich sehe die Situation in unserem Bistum durchaus als Chance. Zwar wissen viele Menschen in Thüringen mit dem Christentum nichts anzufangen - umso unbefangener gehen sie im Zweifel jedoch auf Religion und Kirche zu. Vor wenigen Tagen erst habe ich die Aufnahme von 24 erwachsenen Taufbewerbern gefeiert. Dabei war es für mich interessant zu sehen, wie viele Menschen in einem persönlichen Prozess der spirituellen Suche den Weg in unsere Kirche gefunden haben. Umso wichtiger ist es, dass wir diesen Menschen ein Angebot machen und für ihre spirituellen Bedürfnisse sensibel sind.
Frage: In diesem Zusammenhang spielen die Angebote für Kirchenferne eine wichtige Rolle, die ihr Bistum bereits seit vielen Jahren anbietet. Werden Sie diesen Weg weitergehen?
Neymeyr: Ja, denn dies ist tatsächlich ein ganz wichtiges Angebot. Das Engagement der Diözese in diesem Bereich hat mich schon lange interessiert und es hat mich gereizt, dies aus der Nähe kennenzulernen. Gerade mit unseren Gottesdiensten für Ungetaufte öffnen wir Türen in die Gesellschaft. Das ist für uns eine gute Chance, auf Kirchenferne zuzugehen und mit diesen Menschen ins Gespräch zu kommen.