Ein praktischer Theologe wird Bischof
Nach zwei Theoretikern kommt nun ein Praktiker auf den Mainzer Bischofsstuhl – doch auch er ist Professor. Peter Kohlgraf, als Bischof 88. Nachfolger des heiligen Bonifatius, ist Pastoraltheologe. Seine beiden Vorgänger, die Kardinäle Volk und Lehmann, waren Dogmatiker. Ein Gegensatz zum volksnahen, weit über Mainz hinaus beliebten Kardinal Karl Lehmann ist aber nicht zu erwarten. Lehmann hatte sich einen Nachfolger gewünscht, der offen ist gegenüber allen Menschen, innerhalb wie außerhalb der Kirche – und sich auf die Mainzer Lebensart einlässt. Kohlgraf scheint sich das zu Herzen genommen zu haben: Schon in seiner Antrittsrede erklärte er seine Affinität zu "Fassenacht" und Fußball. So hat der Altbischof sich das gewünscht.
Der künftige Bischof stammt aus einfachen Verhältnissen. Sein Vater war Maurer, seine Mutter Krankenschwester. Beide sind jung verstorben, prägten aber Kohlgraf: Sowohl die praktische handwerkliche Tätigkeit des Vaters wie die Zuwendung, die er in der Arbeit seiner Mutter als Nachtschwester in einem Kölner Krankenhaus erlebte.
Seit 1993 ist Kohlgraf Priester – der Kölner gehört damit einem Weihejahrgang an, aus dem einige Bischöfe stammen: Mit ihm geweiht wurden der heutige Hamburger Erzbischof Stefan Heße und der Kölner Weihbischof Dominikus Schwaderlapp.
Von den Vätern zur Pastoral
Seine wissenschaftliche Laufbahn begann nicht in der Pastoraltheologie, sondern in der Patristik, der Theologie der Kirchenväter des ersten Jahrtausends. In seiner Promotion an der Universität Bonn beschäftigte er sich mit dem Kirchenvater Johannes Chrysostomos und dessen Lehre von der Kirche. Für seine Habiliation wechselte Kohlgraf dann schon den Fachbereich – blieb aber der alten Kirche treu. "Glaube im Gespräch" ist die Arbeit überschrieben, in der er Texte der Tradition nach ihrer Relevanz für die gegenwärtige Pastoraltheologie befragt.
Linktipp: Mainz hat einen neuen Bischof
Das Bistum Mainz bekommt einen neuen Bischof: Gut ein Jahr nach dem Rücktritt von Kardinal Karl Lehmann hat Papst Franziskus den Professor für Pastoraltheologie Peter Kohlgraf zum 89. Bischof von Mainz ernannt.Diese Verbindung von kirchlicher Tradition mit aktuellen Fragen der Seelsorge prägt die Arbeit des Theologen, der neben seiner wissenschaftlichen Arbeit immer auch Wert darauf legte, selbst pastoral tätig zu sein, aktuell noch als Pfarrvikar eines Pfarrverbundes in der Nähe von Alzey, zuvor als Kaplan, Jugend- und Schulseelsorger sowie in der Priesterausbildung.
Gemeinsam Kirche sein
Programmatisch ist der Titel seiner Mainzer Antrittsvorlesung, die in der Fachzeitschrift "Pastoraltheologische Informationen" erschienen ist: "Ein Volk von Propheten – ein vergessener Wesensvollzug der Kirche". Unter Rückgriff auf die Briefe des Neuen Testaments, das Zweite Vatikanische Konzil und den Konzilstheologen Yves Congar entwickelt Kohlgraf eines praktische Theologie der Charismen, die nicht nur eine Antwort auf den Priestermangel sein soll, sondern jedes einzelne Mitglied des Volkes Gottes aufgrund der Taufgnade ernst- und in die Pflicht nimmt.
Kritisch stellt er darin fest, dass es in der Praxis anders ist: Strukturpläne der deutschen Bistümer betonten zwar die Wertschätzung der Charismen aller, aber zu dieser Erkenntnis führt im wesentlichen, dass es weniger Priester als benötigt gibt, um die hergebrachten Strukturen zu erhalten. Auch die Ausbildungsordnung für Gemeinde- und Pastoralreferenten – an der Katholischen Hochschule bildet Kohlgraf selbst Gemeindereferenten aus – kritisiert der künftige Bischof: Man nehme wahr, "dass Aufgaben in der Pastoral allein als Mitwirkung am Dienst des Priesters verstanden werden, und nicht auf die Salbung der Getauften und Gefirmten begründet" seien.
Auch daüber, wie Kohlgraf sein Bischofsamt ausfüllen wird, lässt dieser Aufsatz von 2014 Schlüsse ziehen. Er bezieht sich positiv auf die auch von Papst Franziskus geschätzte jesuitische Methode der "Gemeinschaftlichen Entscheidung", bei der Entscheidungssuche als geistliches Geschehen verstanden wird. "Zunächst einmal wäre eine Anerkennung der Möglichkeit, dass der Geist Gottes im anderen wirkt, eine wichtige Grundlage für den Versuch einer Wahrheisfindung in der Kirche", schreibt Kohlgraf: Ein beteiligendes Modell von Leitung, das den Bischof nicht nur als den Letztentscheider, sondern als Teil des Volkes Gottes versteht, der im Dialog mit den Gläubigen den richtigen Weg sucht.
Vielfalt vernetzen
Ein ähnliches Bild von Kirche vertritt Kohlgraf auch in seiner drei Jahre zuvor erschienenen Analyse der Würzburger Synode, 40 Jahre nach ihrem Beginn. In der ersten und – neben der zeitgleichen Dresdener Pastoralsynode in der DDR – bisher einzigen gemeinsamen Synode der deutschen Bistümer ging es darum, die Beschlüsse des Zweiten Vatikanischen Konzils auf die Situation in Deutschland anzuwenden und zu verwirklichen. Positiv bezieht er sich auf das Bild von Leitung, das die Synode zeichnet: "Leitung muss in diesem Verständnis größtmögliche Vielfalt vernetzen und Menschen ermutigen, ihre eigenen Fähigkeiten einzubringen." Auch hier betont Kohlgraf die Verantwortung der Gläubigen als Teilhabe am Volk Gottes, nicht als bloße Helfer des Bischofs und Ausführende von Entscheidungen, die "oben" in der Hierarchie getroffen werden.
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Kritisch sieht Kohlgraf daher auch die Tendenz zu immer größeren pastoralen Einheiten, wenn sie nur versuchen, bisherige volkskirchliche Strukturen zu erhalten und weiterzuführen. Insbesondere die Sakramententheologie nennt er dabei als einen Punkt, der zu überprüfen werden. Programmatisch schließt der künftige Bischof seine Überlegungen: "Das entscheidende Kriterium für angemessene kirchlichen Strukturen bleibt, ob sie eine Vielfalt der Charismen nicht dulden, sondern ermöglichen, also nicht geisttötend sind, sondern das Wirken des Geistes bejahen und fördern."
Kirche als Zeichen und Werkzeug des Heils
Peter Kohlgraf ist also eindeutig praktischer Theologe: Stets betont er, dass sich Glaube und die Weitergabe von Glauben nicht im Weitergeben von für wahr gehaltenen Sätzen erschöpfen dürfe, ebenso sei ein reiner Bezug auf die Vergangenheit nicht zielführend für die Sendung der Kirche: "Je weniger sich die Kirche kontextuell, inkulturiert oder geschichtlich versteht, desto weniger wird sie ihrem Auftrag gerecht, Sakrament, d. h. Zeichen und Werkzeug zu sein."
Dieser Auftrag, sich der Wirklichkeit zu stellen, sei bereits in der Menschwerdung Christi angelegt: "Weil Gott sich in seinem Sohn der Wirklichkeit ausgesetzt hat", schreibt Kohlgraf in einem Artikel für die Zeitschrift "impulse". In seiner kurzen Ansprache im Mainzer Dom nach der Bekanntgabe der Ernennung nannte Kohlgraf die Kirche einen "Leib, dessen Glieder füreinander da sind." Sein erstes Statement als ernannter Bischof von Mainz war geprägt von diesem Gedanken. Deutlich betonte er, dass er sein Amt nicht mit einem fertigen Programm für die Zukunft antreten werde: "Jedes fertige Rezept verschließt andere gute Möglichkeiten und Ideen."
Wie Kohlgraf den Schritt vom Wissenschaftler, Beobachter und Praktiker an der Basis zum Bischof eines der ältesten und bedeutendsten Bistümer Deutschlands machen wird, wie seine pastoraltheologischen Überlegungen in Führungsverantwortung übersetzt werden, wird die Zeit zeigen. Die Schuhe seines Vorgängers, sowohl als Theologe wie als langjähriger Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz einer der profiliertesten Bischöfe Deutschlands, sind groß.