In Meschede geht es vor Gericht um Liebes-Terror gegen einen Geistlichen

Ein Priester will endlich Ruhe

Veröffentlicht am 11.12.2015 um 08:30 Uhr – Von Jörg Taron (dpa) – Lesedauer: 
Justiz

Meschede ‐ Krank oder kriminell? Eine 72-jährige Frau stellt einem Priester im sauerländischen Meschede nach - und das bereits seit 14 Jahren. Im Berufungsprozess wird die Verurteilung der Stalkerin infrage gestellt - und wie es scheint, gibt es eine Wendung.

  • Teilen:

Anrufe, SMS, E-Mails oder Liebesbriefe mit teilweise perversen Sex-Fantasien - fast täglich bekommt Hammerschmidt Nachrichten von seiner Verfolgerin. Die macht keinen Hehl daraus: Sie liebe den Pastor. Der aber dürfe nur wegen des Zölibats ihre Gefühle nicht erwidern, erzählt sie dem Richter.

Elegant gekleidet und sorgfältig gestylt sitzt sie auf der Anklagebank. Während der Verhandlung - wie schon beim Prozess im März - versteckt sie ihr Gesicht zeitweise hinter ihrem schwarzen Hut mit auffälliger Krempe. Sie gibt zu, dass sie immer wieder leicht bekleidet durch den Garten des Pfarrhauses der katholischen St.-Nikolaus-Gemeinde in Freienohl, einem Ortsteil von Meschede, tänzelt. Oft dekoriere sie den Vorgarten des Pfarrhauses: "Blumen, Rosen, Luftballons, auf die ich schreibe 'Ich liebe dich', oder auch Möhren und Gurken", erzählt die Angeklagte. Hammerschmidt sagt: Er werfe den ganzen Müll in die Tonne. "Das ist eine Never-ending Story."

Sexuelle Angebote auf dem Weg zur Kirche

Auf dem Weg zur Kirche oder zum Friedhof werde er immer wieder mit eindeutigen sexuellen Angeboten überrascht, berichtet der Pastor. "Ich weiß ja nie, wann sie zuschlägt." Der 61-Jährige erduldet die Situation vordergründig gefasst, doch Ärzte führen seine gesundheitlichen Probleme auf den Stress durch das Stalking zurück. "Aber man entwickelt im Laufe der Jahre Überlebensstrategien", sagt Hammerschmidt.

Die wird der Pastor möglicherweise auch weiterhin brauchen. Denn während im Prozess im März 2014 ein Gutachter die Frau als voll schuldfähig eingestuft hatte, zeichnet sich nach der Befragung von vier Experten im Gerichtssaal eine Wendung ab.

Linktipp: Liebestoll oder liebeskrank?

Seit Jahren stellt eine 72-Jährige einem katholischen Geistlichen in Meschede im Sauerland nach. Auch Verfügungen und Urteile konnten sie bislang nicht stoppen. An diesem Donnerstag trifft die Seniorin ihren Schwarm wieder persönlich - vor Gericht.

"Was sollte eine Frau, die 58 Jahre lang ein normales Leben und 40 Jahre lang eine nach außen unauffällige Ehe führt, dazu bringen, ihr Leben auf den Kopf zu stellen, sich ins soziale Abseits zu begeben, Therapie und Gefängnis auf sich zu nehmen?", fragte der Sachverständige Norbert Leygraf. "Nennen Sie mir dafür einen Grund, der nicht krank ist." Leygraf geht davon aus, dass die Frau unter einem "Liebes-Wahn" leide. Sollte das Gericht dieser Einschätzung folgen, müsste die Frau freigesprochen werden. Dann steht zwar theoretisch auch eine Unterbringung in einer Psychiatrie im Raum. Aber dafür sei die Seniorin zu wenig gefährlich.

Klar ist für den Gutachter indes, dass die 72-Jährige weitermachen wird: "Um es mal mit einem passenden Bild zu formulieren: Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche." Der Priester müsse die Nachstellungen vermutlich weiter hinnehmen, sagt Leygraf. Für Experten ist der Fall der liebeskranken Seniorin nicht ungewöhnlich. Insbesondere Priester würden häufiger als Opfer auserkoren, weil diese Liebe unerwidert bleibe. Bei den meisten Stalking-Fällen gebe es aber eine reale Beziehung zwischen Täter und Opfer.

Prozess wird am kommenden Mittwoch fortgesetzt

Meist würden Ex-Partner, Arbeitskollegen oder Bekannte gestalkt, sagt Stalking-Fachmann Jens Hoffmann aus Darmstadt. Allein in Nordrhein-Westfalen würden jährlich mehr als 6.000 Anzeigen mit mehr als 5.000 Tatverdächtigen aufgenommen, heißt es beim Landeskriminalamt. Bundesweit gab es 2014 fast 22.000 polizeilich registrierte Stalking-Fälle.

Hammerschmidt bangt weiter: Der Prozess am Landgericht in Arnsberg wird am kommenden Mittwoch fortgesetzt. Dann soll ein Urteil gesprochen werden.

Von Jörg Taron (dpa)