"Eine Mischung aus Wundheilung und Neuausrichtung"
Frage: Pater Nikodemus, seit Freitag leiten Sie als Prior-Administrator kommissarisch die Dormitio-Abtei in Jerusalem. Haben Sie schon eine Vorstellung, was Sie in diesem Amt erwarten wird?
Nikodemus Schnabel: Ich muss mich erst einmal in diese Aufgabe hineindenken. Das sind derzeit alles sehr kurzfristige Entwicklungen. Ich bin jetzt mit der Gemeinschaft – und die Gemeinschaft mit mir – seit über dreizehn Jahren vertraut. Meine Mitbrüder kennen mich also sehr gut; in allen meinen Schwächen wie in meinen Stärken. Ich fange also nicht bei Null an, ich weiß um die Fragen, die uns umtreiben. Ich war ja vorher so etwas wie der Außenminister des Klosters und jetzt gilt es, meine Energie stärker nach innen zu richten. Die Mitbrüder haben Vorrang. Für mich stehen jetzt vor allem drei Dinge an: meinen Brüdern aufmerksam zuhören, mich von ihnen beraten lassen und von und mit ihnen lernen durch Annahme von Kritik.
Frage: Wie hat sich der überraschende Rücktritt von Abt Gregory Ende Juni auf die Stimmung der Abtei ausgewirkt?
Schnabel: Der Rücktritt hatte ja eine Vorgeschichte: Die Schwierigkeiten begannen im Sommer letzten Jahres mit dem verheerenden Brandanschlag auf Tabgha mit zwei Verletzten im Krankenhaus und 1,6 Millionen Euro Sachschaden. Das war eine schwere Erschütterung für die Gemeinschaft. Im Anschluss daran hatte der Abt ein Sabbatical genommen und ist dann nach seiner Rückkehr zurückgetreten. Das war natürlich eine herausfordernde Zeit. Mein Gefühl ist aber, dass die Zeichen jetzt auf Aufbruch stehen. Ein sprechendes Zeichen dafür ist der Wiederaufbau von Tabgha. Das tut der Seele unserer Gemeinschaft gut.
Linktipp: Jerusalemer Dormitio-Abtei erhält Prior-Administrator
Nikodemus Schnabel ist ab sofort vorläufiger Leiter der Dormitio-Abtei in Jerusalem. Geht mit der Ernennung eine bewegte Zeit für die deutschsprachigen Benediktiner im Heiligen Land zu Ende?Frage: Sie hatten in einer Mitteilung der Abtei davon gesprochen, dass die Zeit bis zur Wahl eines neuen Abtes zur "Konsolidierung der Gemeinschaft" genutzt werden soll. Was heißt das?
Schnabel: Wir müssen uns neu finden und insbesondere auch personell neu aufstellen. Die Amtszeit des Abtes ist ja nicht in einer regulären Zeit zu Ende gegangen. Wir wählen unsere Äbte auf acht Jahre, sodass man normalerweise entsprechende Vorbereitungen für den Wechsel treffen kann. Das war uns jetzt nicht möglich. Wir sind abrupt in diese Situation gekommen. Jetzt muss erst einmal all das, was war, in einem guten Sinne verarbeitet werden. Das ist eine Mischung aus Wundheilung und Neuausrichtung. Aber man darf das auch nicht dramatisieren. Das sind Prozesse, die sehr normal sind und auch rechtlich so vorgesehen. Wenn ein Abt zurücktritt, muss es etwa eine Visitation geben.
Frage: Was waren die Themen dieser Visitation?
Schnabel: Es gab nur ein einziges Thema: die Leitung der Abtei.
Frage: Was sind nun Ihre Aufgaben als Prior-Administrator?
Schnabel: Ich bin noch zu kurz in diesem Amt, als dass ich schon eine Vision oder einen Punkteplan hätte. Aber das erste wird sein, dass ich mit jedem Mitbruder ein ausführliches Gespräch führen möchte, um die verschiedenen Perspektiven zu sehen. Es geht mir darum, dass jeder einzelne Zeit hat, Gott zu suchen, menschlich zu wachsen, und glücklich zu werden. Ich glaube, keine Gemeinschaft dieser Welt steckt es weg, wenn ein halbes Kloster abbrennt und danach ein Abt zurücktritt. Das müssen wir nicht schönreden. Aber diese Zeit hat auch gezeigt, welche Spannkraft in dieser Gemeinschaft steckt. Wir sind daran nicht zerbrochen. Zudem sind wir eine Gemeinschaft mit jungen Brüdern und einer gesunden Altersstruktur. Ich denke, wir dürfen hoffnungsvoll und mit Gottvertrauen in die Zukunft schauen.
Frage: Was werden Sie dem zukünftigen Abt übergeben? Was wollen Sie für ihn vorarbeiten?
Schnabel: Wir sind eine sehr gesunde Gemeinschaft mit unglaublich spannenden Aufgaben an zwei Wallfahrtsorten im Heiligen Land. Dafür brauchen wir aber Stabilität. Dafür will ich sorgen. Dass jeder einzelne und wir in Gemeinschaft ausgerichtet auf Gott wachsen können.
Frage: Sie sind der erste Leiter der Dormitio, der selber aus der Abtei kommt. Hatten die Mitbrüder ein Mitspracherecht bei Ihrer Benennung als Interimsleiter?
Schnabel: Selbstverständlich. Die Visitation bestand vor allem aus langen, intensiven Gesprächen, in denen jeder ausführlich gehört wurde.
Frage: In den vergangenen Monaten hatte die Abtei mit großen Problemen zu kämpfen: Von Anfeindungen über Vandalismus bis hin zum Anschlag in Tabgha. Wie hat sich die Situation entwickelt?
Schnabel: So ist einfach der Ort, an dem wir sind. Da gibt es kein besser oder schlechter. Man kann aber sagen: Die Leute, denen wir egal sind, werden immer weniger. Es gibt in der Gesellschaft ein sehr kleines radikales Segment, das uns abgrundtief hasst. Es gibt aber zum Glück gleichzeitig viel, viel mehr Menschen, die uns wirklich lieben. Das Leben hier wird immer intensiver. Mit jedem Anschlag, den wir erleben, wächst auch die Solidarität. Es gibt Menschen, die sagen: Ein Jerusalem ohne Mönche der Dormitio ist nicht mehr mein Jerusalem. Es ist wunderbar, dass die Rechnung des Hasses nicht aufgeht. Sie wollen Hass und Zerstörung säen, aber was wir ernten, sind enorme Solidarität und neue Freundschaften. Wir waren noch nie so verwurzelt in der Gesellschaft, auch durch das, was uns passiert ist.