Der Südsudan steht fünf Jahre nach der Unabhängigkeit vor dem Abgrund

Eine Nation strauchelt

Veröffentlicht am 09.07.2016 um 00:01 Uhr – Von Anna Kerber (dpa) – Lesedauer: 
Südsudan

Juba ‐ Vor fünf Jahren feierte der Südsudan seine Unabhängigkeit. Ein Bürgerkrieg hat seither Tausende das Leben gekostet. Die Euphorie in der jungen Nation ist der Angst vor Hunger und Staatsbankrott gewichen.

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Begonnen hatte der jüngste Bürgerkrieg nach einem Machtkampf Ende 2013. Präsident Salva Kiir entließ Vizepräsident Riek Machar. Dieser reagierte mit der Gründung einer Rebellenorganisation, der Sudanesischen Befreiungsarmee in Opposition (SPLA-IO). Streitkräfte (SPLA) der von der Volksgruppe der Dinka dominierten Regierung lieferten sich zunächst heftige Gefechte mit der zumeist von Nuer unterstützten SPLA-IO in Juba. Später verlegten sich die Auseinandersetzungen vorwiegend in den ölreichen Norden. Der jüngste Bürgerkrieg forderte Zehntausende Leben.

Ein Friedensabkommen vom August 2015 sah eine Einheitsregierung von SPLA und SPLA-IO vor. Doch erst im April 2016 wurde Machar erneut als Vizepräsident des Landes vereidigt. Mit Kiir als Präsident gibt es damit heute wieder die gleiche Konstellation wie vor wenigen Jahren. Doch wenige haben Vertrauen in die Führung. "Diese Land ist eine tickende Zeitbombe", sagt ein 27-jähriger Soldat. Im Alter von 13 Jahren war er den Rebellen beigetreten, die damals für die Unabhängigkeit kämpften - "freiwillig", wie er sagt. Nach Monaten in einem Trainingslager im Busch stand er im Jahr 2000 erstmals an der Front. "Es war furchtbar. Am Ende lagen überall Tote herum." Auch sein bester Freund wurde bei dem Einsatz getötet. Lange hatte der Soldat keinen Kontakt zu seiner Familie. Am 18. November 2002 erhielt er per Funk die Nachricht, dass seine Mutter verstorben sei.

"Soldaten bleiben Soldaten"

Seine Mutter hatte ihn vor der Front gewarnt. Jetzt ist sie tot - und er immer noch Soldat. Nur seine Einstellung zum Militär hat sich verändert. Seit April hat er wie der Großteil der Militärangehörigen seinen monatlichen Sold von 1.800 SSP nicht erhalten. Die Integration der ehemaligen Oppositions-Kämpfer in die Armee lehnt er ab. Den Befehl einer Zusammenarbeit würde er verweigern, sagt er: Lieber gehe er wieder in den Busch und schließe sich einer neuen Rebellenbewegung an. "Soldaten bleiben Soldaten", sagt er.

Kinder liegen vor einem Zelt in einem Flüchtlingscamp.
Bild: ©dpa

Flüchtlinge in einem Flüchtlingscamp in Mingkaman, im Südsudan. 2,3 Millionen Menschen sind auf der Flucht, 4,8 Millionen von Hunger bedroht.

Viele Soldaten kennen kein anderes Leben als jenes, das von Drill und und Kampf bestimmt ist. SPLA-IO Anführer James Kong Chol führt durch eines der drei Lager, in dem insgesamt rund 1.400 Ex-Rebellen leben. Das große Areal liegt am Fuße des Berges Jebel Dinka, etwa eine halbe Autostunde von Juba entfernt. Vor ihren Lehmhütten bewachen sie die Süd- und Westseite des Camps mit Handfeuerwaffen und Raketenwerfern. Vor wem? Die Soldaten lachen. "Gegen den Feind." Welchen Feind? "Die Regierungstruppen", sagen sie und blicken über die Hügellandschaft ins Leere.

"Wir stehen am Rande des Abgrunds"

Die Feierlichkeiten zum Unabhängigkeitstag wurden aus finanziellen Gründen abgesagt. Nur wenige Tage zuvor waren um die Stadt Wau im Nordwesten des Landes neue Kämpfe ausgebrochen. Etwa 70.000 Menschen sind nach Angaben der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen (MSF) vor der Gewalt geflohen. Die Vereinten Nationen warnten gleichzeitig, dass rund 4,8 Millionen Menschen - also fast jeder zweite Einwohner - in den nächsten Monaten akut von Hunger bedroht sein werden. "Wir stehen am Rande des Abgrunds", sagt der Ökonom James Alic Garang. Das südsudanesische Pfund (SSP) wurde kurz nach Erlangung der Unabhängigkeit mit einem Wert von 2,96 zu einem US-Dollar eingeführt. "Vergangenen Dezember wurde der offizielle Wechselkurs auf 18,5 SSP zu einem Dollar angepasst, um mit den Raten auf dem Schwarzmarkt mitzuhalten. Mitte Juni erhielt man auf der Straße 50 Pfund für einen Dollar." Die Dollarreserven seien so gut wie aufgebraucht, Investoren fehle das Vertrauen in die örtliche Währung, meint Garang. "Das System ist korrupt."

Mit dem Einbruch der Ölproduktion aufgrund der hohen Zahlungen an den Sudan sei der Benzinpreis binnen eines Jahres fast auf ein Zehnfaches angestiegen, erklärt er. Vor den Tankstellen in Juba warten Dutzende Autos auf Benzin - manchmal nur um nach zwei Stunden Wartezeit leer auszugehen. An Straßenecken stehen Jungen mit Plastikkanister und verkaufen Treibstoff zu noch höheren Preisen.

Linktipp: Zwischen Tod und Hoffnung

Die Unabhängigkeit des Südsudan sollte einen Schlussstrich unter Gewalt und Armut ziehen. Die anfängliche Euphorie war jedoch schnell verflogen. Heute ist die junge Nation im Herzen Afrikas vom Frieden weiter entfernt denn je. (Artikel von 2015)
Von Anna Kerber (dpa)