Über die Situation im Bürgerkriegsland Syrien

Eingekesselt

Veröffentlicht am 15.01.2016 um 10:42 Uhr – Von Julia-Maria Lauer – Lesedauer: 
Syrien

Bonn ‐ Die Bilder von ausgemergelten Säuglingen in Madaya gingen um die Welt. Die syrische Stadt steht exemplarisch für zahlreiche Orte in dem vom Krieg zerrütteten Land. Beobachter sprechen von einer "Strategie des Aushungerns".

  • Teilen:

Meyer geht davon aus, dass die russische Militärintervention seit September 2015 die Situation im Bürgerkriegsland noch einmal zugespitzt hat. "Verhandlungen über einen Waffenstillstand, die schon auf dem Weg waren, wurden durch die russischen Bombardements gestoppt", beklagt sie. Letztlich geschehe dies zum Leidwesen der Zivilbevölkerung. Nach UN-Angaben sind rund 13 Millionen Syrer auf der Flucht, etwa zwei Drittel davon im eigenen Land (Stand September 2015). Über vier Millionen Menschen sind in die Nachbarländer Jordanien, Libanon, Irak, Ägypten und die Türkei geflohen.

Die Menschen in den belagerten Ortschaften haben dagegen nicht die Möglichkeit zu fliehen. Wenn sie sich dennoch vor die Ortsgrenzen wagten, beispielsweise auf der Suche nach Nahrung, riskierten sie ihr Leben, berichtet Meyer. Zudem verschärfe der einsetzende Winter noch einmal die Situation. "Seit Monaten sind die Menschen geschwächt. Jetzt werden sie in diesem Zustand mit der Kälte konfrontiert."

Weitere Hilfslieferungen sind dringend nötig

Neben der Gefahr, die von Rebellen- und Regierungsgruppen ausgeht, sei die Verminung großer Landstriche ein Problem. Meyer erhofft sich von politischer Seite mehr Druck auf den syrischen Präsidenten Baschar al-Assad, damit Sicherheitszonen eingerichtet und Waffenstillstandsabkommen ausgehandelt werden können. "Wir müssen weitere Hilfslieferungen möglich machen. Nur so können wir die Menschen zum Bleiben motivieren", erklärt sie. Anfang der Woche hatte nach wochenlangen Verhandlungen mit der Regierung ein erster Hilfskonvoi mit Nahrungsmitteln und Medikamenten Madaya erreicht. Laut dem Hilfswerk Roter Halbmond, einem muslimischen Pendant zum Roten Kreuz, reicht die Lieferung aus, um die Stadtbewohner etwa 30 bis 40 Tage lang zu versorgen.

Syrisches Flüchtlingslager im Irak
Bild: ©Kathrin Harms Misereor

Über vier Millionen sind in die Nachbarländer Syriens geflohen. Im Bild ein Flüchtlingslager im Irak.

Meyer kritisiert, dass der Konflikt von der Internationalen Gemeinschaft lange nicht ernst genommen worden sei und sich in der letzten Zeit vertieft habe. Für die Zuspitzung des Konfliktes macht die Nahostreferentin auch ausbleibende Regenfälle und damit verbundene Ernteausfälle verantwortlich. Dies wiederum habe zu einer verstärkten Land-Stadt-Flucht beigetragen. Sie sieht im syrischen Bürgerkrieg einen Stellvertreterkrieg zwischen dem sunnitischen Saudi-Arabien und dem schiitischen Iran, in dem es um die Vormachtstellung in der Region geht. "Es handelt sich aber dennoch nicht um einen Konfessionskrieg. Die Konfessionszugehörigkeit wird vor dem Hintergrund verschiedener Machtinteressen missbraucht", erklärt sie. 

Christen können zur Lösung beitragen

Entscheidende Impulse zur Überwindung des Konfliktes erhofft sich Meyer von den christlichen Orden und Hilfswerken in der Region. Obwohl im Nahen Osten eine "Identitätsregion der Christen" schwinde, könnten gerade diese "tatsächlich zur Lösung beitragen". Denn der christliche Glaube beinhalte eine universale Wertehaltung, die nicht an Konfessions- oder Religionsgrenzen Halt mache. "Ein mit dem christlichen und kirchlichen vergleichbares Engagement gibt es in der Region nicht", ist Meyer überzeugt. Dieses komme auch Muslimen zugute, die von den christlichen Hilfsleistungen vor Ort profitierten. Misereor selbst arbeitet mit den Franziskanern und dem Jesuitenflüchtlingsdienst eng zusammen. Auch zu den Ortskirchen hat das Bischöfliche Hilfswerk über die päpstliche Einrichtung Pontifical Mission Societies einen guten Draht.

In Syrien tobt seit 2011 ein Bürgerkrieg. Auslöser des Krieges war ein friedlicher Protest gegen den autoritären Machthaber Baschar al-Assad im Zuge des Arabischen Frühlings. Das ursprüngliche Ziel der Demokratisierung Syriens tritt in dem unübersichtlichen Konflikt immer mehr zurück. Verschiedene radikalisierte Rebellengruppen kämpfen um die Vorherrschaft im Land. Am bekanntesten ist der sogenannte "Islamische Staat", eine sunnitische Terrormiliz, die ein dschihadistisches Kalifat errichten will.

Ende Januar wird die "International Syria Support Group" (ISSG) zu Friedensgesprächen in Genf erstmals zusammenkommen. Mitglieder der Gruppe sind die USA, Russland und China, Deutschland, Frankreich, Großbritannien, Italien sowie die Nachbarstaaten Syriens wie die Türkei, Saudi-Arabien und Iran. Hinzu kommen wichtige internationale Organisationen wie die Vereinten Nationen, die Europäische Union und die Arabische Liga.

Von Julia-Maria Lauer