"Engstirniges Gezänk hilft nicht weiter"
Auch wenn die Zahl der ankommenden Flüchtlinge in den Wintermonaten leicht zurückgegangen sei, müsse weiterhin mit vielen Menschen gerechnet werden, erklärte Heße vor Pressevertretern in Kloster Schöntal. Mehr als 100.000 ehrenamtlich engagierte Menschen bildeten "einen unersetzlichen Pfeiler" in der Flüchtlingshilfe der katholischen Kirche. "Man muss fragen: Was wäre in unserem Land los, wenn das nicht gäbe? Das ist nicht zu unterschätzen." Als Sonderbeauftragtem sei ihm eine bessere Zusammenarbeit der ehrenamtlichen Mitarbeiter, die teilweise "am Rand ihrer Möglichkeiten" angelangt seien, mit den über 5.000 Hauptamtlichen ein wichtiges Anliegen.
Leitbild zur katholischen Flüchtlingshilfe
Zu diesem Thema hatten sich auch die Experten beim "Katholischen Flüchtlingsgipfel" im November vergangenen Jahres ausgetauscht. Die Ergebnisse des Treffens sollen in einem Leitbild zur katholischen Flüchtlingshilfe zusammengefasst werden. Die Bischöfe wollen das Papier am Donnerstag verabschieden. Als zentrale Themen nannte Heße die Suche nach weiteren Möglichkeiten zur Unterbringung von Flüchtlingen und ihre seelsorgliche Begleitung. Zudem sollen kirchliche Arbeitgeber bei der Integration mehr Unterstützung erfahren und der interreligiöse Dialog gestärkt werden.
Die Bischöfe widmen der Flüchtlingskrise bei ihrer Vollversammlung am Mittwoch einen Studientag. Er steht unter der Überschrift "Kultur der Aufnahme und der Solidarität – die Herausforderung durch Flüchtlinge und Migranten". Am Vormittag diskutierten die Oberhirten unter anderem mit dem Bayerischen Innenminister Joachim Herrmann (CSU) und Hamburgs Erstem Bürgermeister Olaf Scholz (SPD). Am Studientag nimmt auch der Präsident des italienischen Caritas-Verbands, Kardinal Francesco Montenegro, teil. Zu seinem Erzbistum Agrigent gehört die Insel Lampedusa.
Laut dem Vorsitzenden der Migrationskommission der DBK, Bischof Norbert Trelle, habe die Kirche beim Thema Flucht und Migration stets auch die Politik im Blick. "Als Bischöfe können wir der Politik aber keine vorgefertigten Musterlösungen an die Hand geben." Die Kirche wolle nicht Politik machen, sondern ethisch verantwortliche Entscheidungen unterstützen.
Trelle: Familie als Lebensraum ermöglicht Integration
"Es bleibt den Bischöfen ein besonderes Anliegen, dass das Recht auf Asyl als Individualrecht unangetastet bleibt", sagte Trelle weiter. Dies bedeute etwa, dass jedem Schutzsuchenden ein faires Verfahren zuteil werden müsse. "Wir vermögen nicht zu erkennen, wie eine 'Obergrenze' für die Aufnahme von Flüchtlingen mit unserem Grundgesetz und mit den Verpflichtungen, die sich aus der Genfer Flüchtlingskonvention ergeben, vereinbar sein könnte – ganz abgesehen von den Problemen der praktischen Umsetzbarkeit." Auch zu Plänen für einen eingeschränkten Familiennachzug äußerte sich Trelle kritisch. "Oft genug wird nach meiner Wahrnehmung eine falsche Akzentuierung gewählt, als ob die Familie, der Clan, zu der ersten Keimzelle einer Parallelgesellschaft wird. Familie als Lebensraum ermöglicht leichtere Integration. Dabei bleibe ich."
Die katholische Kirche wisse um ihre besondere Verantwortung für Hilfesuchende, erklärte der Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz Kardinal Reinhard Marx. Dies mache sich etwa an den finanziellen Aufwendungen bemerkbar: Die Bistümer und Hilfswerke haben im Jahr 2015 insgesamt über 112 Millionen für die Flüchtlingshilfe bereitgestellt. Das bedeutet eine Steigerung von mehr als 50 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Der größere Teil des Geldes wurde im Inland eingesetzt, rund 41 Millionen Euro flossen nach Angaben der DBK in Hilfsprojekte in Krisenregionen. Neben finanziellen Hilfen stelle die Kirche in Deutschland derzeit insgesamt 1.280 Unterkünfte und Wohneinheiten für Flüchtlinge zur Verfügung.
Marx: Anzeichen für Überforderung häufen sich
Mit Sorge blickt Marx auf die gegenwärtige Entwicklung der Debatte zur Flüchtlingsthematik. Es müsse ehrlich anerkannt werden, dass sich Anzeichen für Verunsicherung und Überforderung in der Gesellschaft mehrten. "Aber was uns in dieser Lage am wenigsten weiterhilft, sind rhetorische Dramatisierungen und engstirniges Gezänk." Den Bischöfen sei es daher ein Anliegen, die öffentliche Debatte zu versachlichen und nicht auf dem Rücken der Schutzsuchenden auszutragen. "Hass und Gewalt bedrohen mich, aber nicht die Mutter mit Kind, die im Schlauchboot sitzt.
Laut Marx müssten berechtigte Anliegen in der Gesellschaft berücksichtigt werden. "Die Ängste der Menschen ernst zu nehmen, ist für uns eine Selbstverständlichkeit." Rechtspopulistische Äußerungen seien jedoch nicht zu dulden. Eine offene Debatte müsse von Toleranz geprägt sein. Die Wahrung der Würde jedes einzelnen Menschen müsse im Mittelpunkt aller politischen Bemühungen stehen. "Wir würden die Axt an die Wurzeln unserer Gesellschaftsordnung legen, wenn wir davon abrückten."
Linktipp: Allianz für Weltoffenheit gegründet
Die Allianz, der sich auch die beiden großen Kirchen angeschlossen haben, macht sich unter anderem gegen Hass und Intoleranz stark. Der Berliner Erzbischof Heiner Koch warnte davor, sich in der Debatte nicht von Ängsten in die Irre führen zu lassen.Auch Trelle äußerte den Wunsch nach einer sachlicheren Debatte. "Es gehört ja auch zur Sachlichkeit, dass in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg – in ungleich schwierigeren Situationen –, Millionen von Flüchtlingen aufgenommen wurden." Zwar seien damals Menschen aus dem gleichen kulturellen und religiösen Raum gekommen. Die Aufnahmebereitschaft dürfe sich jedoch nicht an der Frage der Zugehörigkeit zu einer bestimmten Religion entscheiden, so Trelle. "Ja, welches Menschenbild haben wir denn, wenn wir das behaupten? Das ist doch nicht das Menschenbild Jesu!"
Migrationsforscher lobt Bischöfe
Der Migrationsforscher Jochen Oltmer lobte die Auseinandersetzung der Bischöfe mit dem Thema Flucht und Vertreibung. "Was ich beobachte, ist dass bei diesem Studientag dieses Thema mit einer sehr weiten Perspektive in den Blick genommen wird", sagte der Historiker vom Osnabrücker Institut für Migrationsforschung und interkulturelle Studien. Eine solch breite Auseinandersetzung sei wichtig, da internationale Zusammenhänge in der Debatte zuletzt eine zu geringe Rolle gespielt hätten. "Die Debatte in Deutschland ist sehr stark weltvergessen gewesen." Oltmer hatte als Experte am Studientag der Bischöfe teilgenommen.