"Es braucht nicht viel"
Sachsen ist derzeit der Brennpunkt asyl- und ausländerfeindlicher Attacken. Seit den teils rechtsextremistischen Protesten vor dem Freitaler Flüchtlingsheim und dem Brandanschlag auf eine geplante Asylunterkunft in Meißen zeigt sich deutlich, welches Potenzial und welche Auswirkungen die vor allem im Internet betriebene Hetze hat - sie geht bis zu offenen Gewaltaufrufen. Eine repräsentative Umfrage ergab, dass 60 Prozent der Sachsen bezweifeln, dass Zuwanderer von der Bevölkerung vor Ort willkommen geheißen werden. Doch die Ereignisse mobilisieren auch eine Welle der Solidarität. Neue Flüchtlingsinitiativen gründen sich. Viele, die es bereits vorher gab, erleben großen Zulauf. Der Diözesanrat der Katholiken im Bistum Dresden-Meißen rief alle Gläubigen auf, sich solchen Gruppen anzuschließen und aktiv an einer Willkommenskultur mitzuarbeiten: "Setzt ein Zeichen für Fremdenfreundlichkeit und Freundschaft und beteiligt euch, auch wenn in eurer Region noch keine Asylsuchenden untergebracht sind."
"Man merkt, dass die Menschen jetzt bewusster herausgefordert sind, sich für eine Willkommenskultur einzusetzen", meint der katholische Pfarrer in Meißen, Bernhard Dittrich. Vor Ort gebe es bereits seit längerem mehrere kleine ökumenische Aktionen, etwa Sachspendensammlungen oder Willkommensnachmittage für neu angekommene Flüchtlinge. Vor der Asylunterkunft in Freital fanden nicht nur Anti-Asyl-Proteste statt. Relativ schnell überwog die Zahl der Gegendemonstranten. Die Hip-Hop-Band "Antilopen Gang" gab dort kurzerhand ein Solidaritätskonzert. Rund um die Uhr zeigten Unterstützer Präsenz, brachten Spenden, spielten Fußball mit den Kindern. Am Dienstag einigten sich Asyl-Gegner und -Befürworter mit der Stadt auf ein Ende der Demonstrationen direkt vor der Unterkunft.
Dass die Situation gar nicht erst so eskalieren muss, zeigt ein Beispiel aus Dresden-Pappritz. Dort wurde im März - ebenfalls in einem ehemaligen Hotel - ein Übergangswohnheims für bis zu 60 Asylsuchende eingerichtet. Auch hier regte sich schnell größerer Unmut. Zugleich gründeten 160 engagierte Bürger, darunter viele Christen, den Flüchtlingshilfeverein "Willkommen im Hochland", der auf den Namen der Region Bezug nimmt. "Es ist unglaublich, wie viele sich der Initiative angeschlossen und ihre Hilfe angeboten haben", berichtet Vorstandsmitglied Gebhard Ruess. Anfangs ohne großes Know-How organisierte der Verein verschiedene Arbeitsgemeinschaften: Sprachvermittlung, Paten, Spenden, Dialog, Freizeit. "Gerade die Flüchtlingsfamilien sind sehr dankbar, wenn sie etwa bei Behördengängen Unterstützung von Paten bekommen, die sie begleiten oder sich darum kümmern, dass die Kinder einen Schulplatz erhalten", erzählt Ruess.
Eine feste Größe ist inzwischen das allsonntägliche Fußballspiel mit gemischten Mannschaften. Auch zahlreiche Pappritzer Bürger bolzen hier gern unter freiem Himmel mit, meist begleitet von einem großen Picknick. "Es ist eine tolle Atmosphäre, und es zeigt sich ganz
eindeutig: durch dieses Miteinander werden gegenseitig Vorurteile abgebaut", sagt Ruess. Das Zusammenleben im Ort verlaufe größtenteils problemlos und sei von wechselseitigem Respekt getragen. Das spricht sich herum. Inzwischen wenden sich auch andere Orte und Initiativen an den Verein, wenn das Thema Flüchtlingsunterbringung konkret wird. Ruess' Quintessenz für sie: "Es braucht eigentlich gar nicht viel, damit eine Kultur der Toleranz funktioniert."