"Es herrscht Nachholbedarf"
Nur jedes vierte ausbildungsberechtigte Unternehmen in Deutschland hat laut Studie in den vergangenen fünf Jahren Erfahrungen mit Jugendlichen mit Behinderung gemacht. Und die waren nicht schlecht: Nicht einmal jedes zehnte Unternehmen gab negative Erfahrungen an (8,5 Prozent). Im Gegenteil bewerteten 47,1 Prozent dieser Betriebe ihre Entscheidung und den Ausbildungsverlauf als überwiegend positiv.
Hemmschwelle bei Unternehmen
Dennoch: Die Betriebe hätten bei Menschen mit Handicap häufig die Sorge: "Kann er oder sie das schaffen?", sagt Regina Schafmeister, Vorsitzende der Paderborner Stiftung Kolping-Forum, katholisch.de. Sie kennt sich mit dem Thema Inklusion aus. Denn im stiftungseigenen Hotel Aspethera werden bereits seit 2006 Menschen mit besonderem Förderungsbedarf ausgebildet. "Die Unternehmen sind meistens nicht informiert, welche Hilfestellungen es gibt", erklärt Schafmeister. So könnten beispielsweise Integrationsfachdienste nicht nur Menschen mit Handicap, sondern auch die Arbeitgeber unterstützen.
Die Zahlen der Bertelsmann-Studie belegen die Unkenntnis vieler Unternehmer: Die einzelnen Unterstützungsangebote – zum Beispiel Zuschüsse zur Ausbildungsvergütung – kennen weniger als die Hälfte der 1.000 befragten Betriebe. Die meisten (81,7 Prozent) wünschen sich dagegen mehr Transparenz darüber, wo Hilfen beantragt werden können. Über 70 Prozent beklagten sich zudem über die bisherige Bürokratie.
Ministerin Wanka: Berufswelt muss sich der Herausforderung stellen
Auch Bildungsministerin Johanna Wanka (CDU) kennt die Probleme. Daher forderte sie am Dienstag in der "Welt" ein stärkeres Bemühen um behinderte Menschen im Berufsleben. Es reiche nicht mehr aus, bei der Inklusion nur über die Schulen zu sprechen. "Wir müssen dafür sorgen, dass sich unsere Berufswelt den Herausforderungen der Inklusion verstärkt stellt", sagte Wanka.
Die Ministerin habe mit ihrer Forderung Recht, sagt auch Karl-Sebastian Schulte, Geschäftsführer des Zentralverbands des Deutschen Handwerks (ZDH), katholisch.de. In der Fachöffentlichkeit sei das Thema allenfalls für die Schulpolitik ausführlich diskutiert worden. "Es herrscht also Nachholbedarf", sagt Schulte, der auch Mitglied im Bund katholischer Unternehmer (BKU) ist. Doch betreffe das nicht die Arbeitgeber alleine. Auch die Berufsschulleher, die Eltern und die gesamte Belegschaft eines Unternehmens müsse aufgeklärt werden.
Motivierte Auszubildende
"Der ganze Betrieb muss mitgenommen werden", bestätigt Schafmeister. Ausbilder und Kollegen müsste man über den Förderbedarf informieren und die Stärken des Jugendlichen fördern. Natürlich würde nicht jeder Beruf passen, sagt sie. Gerade im Gastronomiegewerbe kämen viele mit dem Druck oder den Arbeitszeiten nicht klar. Eine höhere Abbruchrate hat die Stiftungsvorsitzende bei den Auszubildenden mit Handicap aber nicht feststellen können. Im Gegenteil seien sie oft viel motivierter, so Schafmeister. Sie fordert aber auch: "Toleranz und Solidarität müssen noch größer werden und über Lippenbekenntnisse hinausgehen."
Oftmals liege es aber auch an den Jugendlichen und ihrem Umfeld, erklärt Schulte. Die seien oft ängstlich, wenn es um eine "normale" Ausbildung gehe. "Sie denken, dass sie in einer klassischen Einrichtung wie einem Förderwerk besser aufgehoben und geschützt sind", sagt der ZDH-Geschäftsführer. Um Vorurteile auf beiden Seiten abzubauen, wünscht er sich mehr "Botschafter", die bekunden: "Ich habe einen Menschen mit Behinderung eingestellt. Und es hat funktioniert." Gerade von kleineren Unternehmen habe er bereits gehört, dass am Ende die Belegschaft vom Auszubildenden gelernt hätte und nicht umgekehrt.
Initiative "Inklusion gelingt!"
Spitzenverbände der Wirtschaft haben mit der gemeinsamen Initiative "Inklusion gelingt!" bereits einen Schritt in die richtige Richtung gemacht. Damit wolle man Ängste überwinden, aber auch Hilfestellungen leisten, sagt Schulte. "Wenn sich ein Unternehmen dafür interessiert, einen Jugendlichen mit Behinderung auszubilden, kann er sich aber einfach direkt an die Handwerkskammer richten", so das BKU-Mitglied. In den meisten Fällen gebe es dort bereits eine eigene Inklusionsberatung.
Von Björn Odendahl