"Es muss ein Ruck durch die katholische Welt gehen"
Frage: Herr Kruip, was halten Sie von der Enzyklika?
Gerhard Kruip: Ich bin begeistert, weil sie meine Erwartungen doch noch einmal übertroffen hat. Angekündigt war sie als Öko-Enzyklika, die sich auch mit dem Klimawandel beschäftigt. Doch der Papst betrachtet die Ökoproblematik nicht isoliert, sondern sieht die enge Verbindung zwischen der Bewahrung der Schöpfung und der Option für die Armen. Gerade die Armen sind häufig von Umweltproblemen betroffen. Ich bin froh, wie eindeutig die Aussagen von Franziskus sind und wie dringlich der Appell an die gesamte Menschheit ist, jetzt endlich die Verantwortung für unseren Planeten zu übernehmen. Aber auch seine Ausführungen zur Theologie, zur Spiritualität und zur Frömmigkeit finde ich gelungen.
Frage: Dabei wird Franziskus – gerade mit Blick auf seinen Vorgänger – häufig nicht als der große Theologe gesehen. Ihnen gefällt das Kapitel zur Schöpfungstheologie aber?
Kruip: Ich finde es gut, wie er das macht. Der Papst hat gute biblische Bezüge in seiner Argumentation und zieht Linien bis zur Inkarnation und Trinitätslehre. Es ist vielleicht nicht an allen Stellen so präzise wie Benedikt XVI., aber das Anliegen ist ja auch ein anderes. Es geht dem Papst nicht darum, eine Schöpfungstheologie zu entwickeln, sondern darum, die Zusammenhänge aufzuzeigen und eine Theologie zu entwickeln, die geerdet ist und für unser Handeln relevant: Wenn man an einen Schöpfergott glaubt, muss man für die Bewahrung der Schöpfung eintreten. Wenn man an die Inkarnation glaubt, kann das nicht mit einer abschätzigen Haltung gegenüber dem Materiellen, dem Leiblichen oder den ökologischen Zusammenhängen verbunden sein. Das wird bei Franziskus sehr schön deutlich.
Frage: Theologisch sind Sie mit der Enzyklika also zufrieden. Wie sieht es wissenschaftlich aus? Da gab es ja im Vorfeld der Veröffentlichung einige Bedenken…
Kruip: Hinsichtlich der ökologischen Problematik im engeren Sinn ist die Enzyklika ganz "up to date" und blendet keine Fakten aus. Sie ist sehr offen für den Dialog mit den Wissenschaften, was bei der Auseinandersetzung mit den Fragen der Gentechnik deutlich wird. Hier wird nichts pauschal abgelehnt, sondern darauf wertgelegt, genau hinzuschauen und die Folgen für die Umwelt wissenschaftlich abzuschätzen.
Die sozialwissenschaftliche Analyse ist mir dagegen etwas zu grob. Bei der Ursachenforschung wird den Finanzmärkten, dem Konsumismus und dem "technokratischen Paradigma" pauschal die Schuld zugewiesen. Da müsste man wohl etwas genauer hinschauen. Der Papst schätzt außerdem die marktwirtschaftlichen Instrumente und Mechanismen in ihrem Potenzial zu gering. Das merkt man bei seinen Äußerungen zum Handel mit Emissionszertifikaten. Der Markt könnte dadurch im Idealfall dafür sorgen, dass dort am effektivsten CO2-Ausstöße eingespart werden, wo das auch ökonomisch am sinnvollsten ist. Das lehnt der Papst aber pauschal ab, weil er dem Markt nicht den Umweltschutz überlassen möchte. Er hat aber natürlich Recht, wenn er vor einer Verabsolutierung des Marktes warnt.
Frage: Franziskus spart nicht mit harter Kritik an den Industrienationen, an den Wirtschaftsführern und Politikern. Hat er vielleicht zu sehr aus dem Blickwinkel der Armen auf das Weltgeschehen geschaut?
Kruip: Nein. Es ist einfach so, dass die reichen Nationen durch ihren hohen Energieverbrauch und die hohen CO2-Ausstöße seit dem 19. Jahrhundert eine Situation herbeigeführt haben, die für den ganzen Planeten gefährlich ist. Das ist nicht die Schuld der Chinesen, Inder oder Afrikaner. Und wenn die Industrienationen nicht bereit sind, in Vorleistung zu treten und verbindliche Vereinbarungen zu treffen, wenn die US-Amerikaner sagen, unser "way of life" ist nicht verhandelbar, dann muss man das scharf kritisieren, weil es extrem ungerecht ist. Denn die Ärmsten brauchen gewisse Spielräume in der Energieversorgung, um sich entwickeln zu können.
Frage: Sie haben bereits gelobt, dass der Papst den Zusammenhang zwischen Umweltschutz und Bekämpfung der Armut herausgearbeitet hat. Können Sie das noch einmal genauer erklären?
Kruip: Zunächst muss man sagen, dass die Bekämpfung der weltweiten Armut aus moralischer Perspektive mindestens genauso dringlich ist wie der Umweltschutz. Es gibt aber auch einen Zusammenhang, weil Armut meistens dazu führt, dass die Umwelt noch stärker belastet wird. Wir brauchen in den armen Ländern eine gute ökonomische Entwicklung, um dort Umweltbelastungen reduzieren zu können. Ein Beispiel: In Brasilien wird der Regenwald abgeholzt. Das machen aber nicht nur Großkonzerne, die Soja anbauen wollen, sondern auch Landlose, um damit ihr Überleben zu sichern.
Frage: Die Armen werden dazu genötigt, die Umwelt zu schädigen, wir tun es freiwillig. Warum fällt das Umdenken in den Industrienationen so schwer?
Kruip: Ein Grund ist, dass man bestimmte Gewohnheiten hat, die man nur schwer ablegen kann. Da existiert eine gewisse Trägheit. Ein noch wichtigerer Faktor ist aber, dass der Einzelne durch seine Aktivitäten die Umwelt nicht alleine retten kann. Sie wird nur geschützt, wenn sich eine große Mehrheit der Bevölkerung oder sogar alle Menschen weltweit engagieren. Solange es dafür aber keine verbindlichen Regelungen gibt, hat der Einzelne das Gefühl, dass er der Dumme ist, wenn er Zeit und Geld opfert, ohne ein Ergebnis zu erzielen.
„Wenn die Gläubigen die Enzyklika ernst nehmen, werden sie ihr Engagement für die Bewahrung der Schöpfung eindeutig verstärken.“
Frage: Im Fokus der Enzyklika steht eine "ganzheitliche Ökologie". Was meint der Papst damit?
Kruip: Damit meint er die Idee, dass alles mit allem zusammenhängt. Deshalb berührt die Bewahrung der Schöpfung auch alle Lebensbereiche. Wie organisieren wir unsere Städte? Wie wohnen wir? Wie verrichten wir unseren Alltag? Diese Fragen dürfen nicht isoliert betrachtet werden. Es geht dabei aber nicht nur um die Umwelt, sondern auch um den Menschen, um die Frage, wie er mit anderen zusammenlebt. Es geht um das Verhältnis jedes Einzelnen zu sich selbst. Das sind alles Aspekte, die mitbetrachtet werden müssen.
Frage: Die Enzyklika ist veröffentlicht. Was muss nun passieren?
Kruip: Wenn die Gläubigen sie ernst nehmen, werden sie ihr Engagement für die Bewahrung der Schöpfung eindeutig verstärken. Es muss ein Ruck durch die katholische Welt gehen. Das betrifft aber nicht nur den Einzelnen, sondern beispielsweise auch kirchliche Einrichtungen. Auch wenn dort in den letzten Jahren schon viel geschehen ist, gibt es durchaus noch Potenzial. Neben der Kirche sind aber auch die einzelnen Staaten in der Pflicht. Die müssen auf dem Weltklimagipfel – den die Enzyklika ja durchaus im Blick hat – zu verbindlichen Vereinbarungen kommen. Nur dann gibt es eine Chance, die Erderwärmung soweit zu verhindern, dass die Schäden nicht allzu groß sind.
Frage: Glauben Sie, dass das Schreiben des Papstes auf dem Weltklimagipfel Thema sein wird?
Kruip: Ob es explizit Bestandteil des Klimagipfels sein wird, weiß ich nicht. Ich glaube aber, dass es Politiker noch einmal bewegen wird und diejenigen bestärkt, die in diese Richtung gehen wollen.