Theologie Ulrich Lüke buchstabiert das Worten "Fasten" neu durch

F wie Fasten

Veröffentlicht am 06.03.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Fastenzeit

Bonn ‐ Fasten ist anders: Es schenkt innere Freiheit und löst die Fesseln der vielen Abhängigkeiten, in die Menschen durch ihren Lebensstil hineingeraten, meint Ulrich Lüke, Professor für Systematische Theologie an der RWTH Aachen. Zum Auftakt der Vorbereitungszeit auf Ostern buchstabiert Lüke das Wort "Fasten" neu durch und zeigt damit, wie vielfältig die Fastenzeit sein kann.

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F für Freiheit

Die Fastenzeit hat an erster Stelle nicht mit Einschränkung und Beschränkung zu tun, sondern mit Freiheit! Fasten soll mir die "Freiheit von" zurückgeben: Was nimmt mich gefangen, engt mich ein, entfremdet mich von mir selbst? Wie werde ich frei? Das Fasten soll mich befähigen, die "Freiheit für" neu zu bestimmen: Für welche Menschen, welche Werte, welche Aufgabe möchte ich frei sein? Um der Freiheit willen wird unwichtiges aufgegeben. Fasten beginnt mit F wie Freiheit.

A für Andacht

Die Fastenzeit braucht eine Zeit für Andacht. Andacht kommt von Denken. Wir brauchen ein Denken, das nicht nur Finanzmärkte oder technische Machbarkeit oder politische Durchsetzbarkeit bedenkt. Wir brauchen ein Denken, das dem Ganzen des Lebens Richtung gibt. Für diese Andacht brauchen wir eine Auszeit vom Stress zur existentiellen Richtungsbestimmung. Die private Andacht in der Stille einer Kirche und die gemeinsame Andacht im Gottesdienst, beide brauchen wir, um uns auf Gott auszurichten. Er ist das Ziel. Fasten schreibt sich stets mit A wie Andacht.

S für Solidarität

Solidarität sieht die Not in der Welt. Solidarität geht nicht am Geldbeutel und am Terminkalender vorbei, sie kostet Zeit und Geld: meine Zeit, mein Geld. Solidarität heißt, sich mit Herz, Hirn und Hand einsetzen für den anderen, den zu kurz gekommenen, den kranken, den bedrohten Menschen. Zugleich bringt sie für den Geber und für den Nehmer die neue Lebensqualität Gemeinschaft. Fasten, geschrieben und gelebt ohne das S wie Solidarität, wäre ein dicker Fehler im Buch des Lebens.

Portätfoto Ulrich Lüke, schlanker Mann Anfang 60 mit Brille und grauem Haar.
Bild: ©dpa/Horst Galuschka

Ulrich Lüke ist Theologe und Biologe, Priester und Seelsorger. Er ist Professor für Systematische Theologie an der RWTH Aachen.

T für Theologie

Was hat Theologie mit Fasten zu tun? Die Fastenzeit war in der alten Kirche die Zeit der Taufvorbereitung, die Einführung ins Christsein, der Lernprozess auf Ostern hin. Wir sollten die Fastenzeit als Lernzeit des Christseins wieder entdecken und ein theologisches Buch, eine Einführung in den Glauben, eine beispielhafte Biographie lesen. Wir sollten die Nachbesserungsarbeiten auf der Straße unserer Glaubenskenntnis in Angriff nehmen. Es gibt zu viele Frostaufbrüche der theologischen Ignoranz. Die hindern uns und andere, auf diesem Weg des Glaubens voranzukommen. In Fachfragen ein kompetenter Zeitgenosse, in Glaubensfragen aber ein unterentwickelter Naivling zu sein, ist schwer erträglich. Die Beheimatung ist nicht mehr gesichert, wenn das Haus des Glaubens aufgrund theologischer Unkenntnis zur unbewohnbaren Ruine verkommt. Fasten schreibt man mit T wie Theologie.

E für Ernährung

Nur zwei Fasttage im Jahr verlangt uns die Kirche noch ab: Aschermittwoch und Karfreitag. Sind wir Warmbader geworden in Sachen Ernährungsdisziplin, Weicheier in Sachen Genussmittelabstinenz? Wer oder was – außer dem inneren Schweinehund - sollte uns hindern, bis Ostern zum Beispiel jeden Freitag einen Fasttag zu machen, wenn das eigene Feinkostgewölbe es hergibt, wenn die Rettungsringe um die Leibesmitte und die Reithosenform der Schenkel es nahelegen? Wer oder was – außer dem inneren Schweinehund - sollte uns hindern, auf Alkohol oder auf Nikotin oder auf Süßigkeiten oder in spezieller Kombinationstherapie auf Mehreres zugleich zu verzichten? Innere Schweinehunde stehen nicht auf der Artenschutzliste, dürfen also jederzeit bejagt und besonders in der Fastenzeit erlegt und zerlegt werden. Fasten schreibt man mit E wie Ernährung.

N für Nächstenliebe

Vom wohlmeinenden Wort zur wohltuenden Tat ist es ein weiter Weg. Fernstenliebe ist leichter als Nächstenliebe. Der Fernste stinkt nicht, ist nicht laut, widerspricht nicht, rückt mir nicht auf die Pelle, will nicht meinen Arbeitsplatz, kurzum er stört nicht. Der Fernste bekommt gelegentlich eine Spende von mir, solange er mir fernbleibt. Aber der Nächste, das kann ein unangenehmer Nachbar mit lärmenden Kindern sein, das kann ein Hundebesitzer mit tierischen Hinterlassenschaften in meinem Vorgarten, das kann die übellaunige Kollegin, der miese Chef oder die minderbegabte Sekretärin sein. Mit denen menschlich umzugehen, fordert manchmal unmenschliche, sie gar noch wertzuschätzen übermenschliche Anstrengungen. Aber Fasten - richtig geschrieben - enthält immer das N für Nächstenliebe.

Von Ulrich Lüke

Zur Person

Ulrich Lüke ist Theologe (Priesterweihe 1980) und Biologe und beschäftigt sich wissenschaftlich immer wieder mit dem Grenzgebiet zwischen beiden Disziplinen. Nachdem er 12 Jahre am Gymnasium beide Fächer unterrichtet hat, wechselte er an die Katholische Fachhochschule Freiburg und wurde schließlich Professor an der Theologischen Fakultät Paderborn. Seit 2001 ist er Professor für Systematische Theologie an der RWTH Aachen.