Franziskus - ein Papst der Flüchtlinge
Tausende Flüchtlinge landen auf dem Eiland wenige Kilometer vor der türkischen Küste. Auf Lesbos wurde das erste große Aufnahmezentrum errichtet, ein sogenannter Hotspot. Für Franziskus' Vorgänger war die Sorge für Flüchtlinge ein Anliegen unter vielen; für den Sohn einer italienischen Einwandererfamilie in Argentinien ist sie Kennzeichen seines Pontifikats, Chefsache.
Es gibt kaum eine wichtigere Ansprache, in der Franziskus dieses Thema nicht behandelt oder zumindest anspricht: Ob in seiner jüngsten Osterbotschaft, vor der Generalversammlung der Vereinten Nationen in New York, dem Europäischen Parlament in Straßburg oder vor dem amerikanischen Kongress in Washington. In seinen Lehrschreiben, von "Evangelii gaudium" über die Umweltenzyklika "Laudato si" bis hin zum in der vergangen Woche erschienen Dokument über Ehe und Familie, mahnt er stets die Sorge für Flüchtlinge an. Auch in seinen Morgenmessen im Gästehaus Santa Marta ist das Thema allgegenwärtig.
Die Bilder aus Lampedusa gingen im Juli 2013 um die Welt: Franziskus, der von einem Boot aus einen Kranz in die See wirft, der jenen Bootsflüchtlingen seinen Reverenz erweist, die während der Überfahrt von Afrika nach Europa ums Leben kamen, der die Bewohner der Insel für ihre Solidarität lobt und Europa ins Gewissen redet. Sein Wort von der "Globalisierung der Gleichgültigkeit", die es zu bekämpfen gelte, hat sich tief ins kollektive Gewissen Europas eingemeißelt. Es gehört mittlerweile zum Standardvokabular in der Flüchtlingsdebatte.
Zweieinhalb Jahre später wieder eine Szene mit großer Symbolkraft: Im Februar dieses Jahres feiert Franziskus unmittelbar an der Grenze zwischen Mexiko und den USA einen Gottesdienst und ruft zur Solidarität mit Migranten auf. Am Ende seiner Predigt in Ciudad Juarez grüßte er mehrere zehntausend Gläubige, die im benachbarten El Paso die Messe auf Großbildschirmen im Sportstadion "Sun Bowl" mitverfolgten, wenige hundert Meter entfernt auf der anderen Seite der Grenze. Den Weg dorthin, den jährlich Tausende illegale Migranten aus Lateinamerika unternehmen, bezeichnete er als Durchgang, "der überhäuft ist mit schrecklichen Ungerechtigkeiten: Versklavt, verschleppt, erpresst, sind viele unserer Brüder und Schwestern die Ausbeute des Geschäftes des Menschentransits."
Nicht nur mit seinen Reisen setzte der Papst Zeichen: Am Gründonnerstag wusch er Flüchtlingen in einem Erstaufnahmezentrum bei Rom die Füße. Vergangenen September forderte er, dass jede Pfarrgemeinde in Europa eine Flüchtlingsfamilie aufnehmen solle. Auch der Vatikan beteiligte sich an der Aktion: Die beiden Pfarreien des Kleinstaats brachten je eine Flüchtlingsfamilie aus Syrien und Eritrea unter, in kircheneigenen Wohnungen, wenngleich nicht im Vatikan selbst. 2015 empfing Franziskus im Vatikan Überlebende eines gekenterten Flüchtlingsbootes.
Doch auch dem päpstlichen Engagement sind offenbar rechtliche und politische Grenzen gesetzt. Den Vorschlag einiger in der Flüchtlingshilfe engagierter Priester, der Vatikan sollte Flüchtlinge mit eigenen Visa eine sichere Einreise nach Europa ermöglichen, versprach man zwar zu prüfen. Seither ist davon jedoch aus dem Vatikan nichts mehr zu hören. Direkt zur politischen Debatte äußerte sich Franziskus weder auf Lampedusa noch in Mexiko. Doch hier wie dort war seine Botschaft automatisch auch eine politische Stellungnahme, eine unbequeme für die Regierenden. Auch zur Flüchtlingspolitik der EU-Staaten bezog Franziskus bislang nicht ausdrücklich Stellung. Doch seine Aussage, dass er sich über jene Regierungen freue, die ihre Grenzen für Flüchtlinge öffneten, kurz nach der Schließung der Balkanroute, ließ keinen Zweifel an seiner Haltung.