Franziskus predigt eine Kirche für alle
Eine Kirche, in der es Platz für alle gibt, offen für Menschen in ihrem Hunger nach Gott und Würde, eine Kirche, die keine Angst hat vor Veränderung - einmal mehr hat Papst Franziskus deutlich gemacht, wie er sich die Gemeinschaft Jesu vorstellt. Als Ort dafür wählte er Medellín, katholische Hochburg im katholischen Kolumbien. Es war die innerkirchlich heikelste Station in dem lateinamerikanischen Land.
In der "Stadt des ewigen Frühlings" ist nicht alles Sonnenschein
Nirgends bekam der Papst so starken Zuspruch wie hier. Das riesige Areal des Stadtflughafens war als Festwiese gerade ausreichend für den Gottesdienst, der Jubel groß, die Begeisterung echt. Die katholische Kirche hat in der zweitgrößten Stadt Kolumbiens einen traditionell starken Stand.
Medellín nennt sich "Stadt des ewigen Frühlings" ob des milden, fruchtbaren Klimas. Doch nicht alles ist Sonnenschein: Über Jahrzehnte war die blühende Metropole berüchtigt für ihre Drogenkriminalität. Es blieb Erzbischof Ricardo Tobón vorbehalten, diese Seite der Wirklichkeit anzusprechen: Er verurteilte in seinem Gruß an Franziskus die "Strukturen des Bösen, die das Gewissen pervertieren", die Korruption, die soziale Ungleichheit, die "falsche Lösung der Gewalt".
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Franziskus legte seinen Akzent eher auf die innere Entwicklung der Kirche. Unverzichtbar ist für ihn die Erneuerung: "Ecclesia semper reformanda", die Kirche, die immer neu zu reformieren ist - das markiert die Mitte seiner Predigt. Die Besinnung auf das Wesentliche, auf die Botschaft Jesu, bedeutet nach seinen Worten nicht, mit allem zu brechen; aber Taufscheinchristentum und rein formelle Frömmigkeit nennt er den falschen Weg.
Statt einem "starren Hängen an Normen und Gesetzen" verlangt der Papst Wachsamkeit für das, was er die "wirksame Gegenwart des Herrn" nennt; diese ist zu finden "in den konkreten Bedürfnissen unserer Brüder und Schwestern", im Hunger des Nächsten. "Die Kirche gehört nicht uns, sondern Gott", sagt Franziskus, "und in ihr gibt es Platz, für Gesunde und Kranke, Gute und Böse". Da applaudieren die Menschen.
Berufungen aus einem "Klima voller Widersprüche"
Doch in der "Stadt des ewigen Frühlings" steht die Kirche nicht wirklich vor der Blüte, im Gegenteil: Franziskus verzeichnet eine "Krise" des Engagements von katholischen Jugendlichen. Junge Menschen, die sich für ein Ordensleben oder den Priesterberuf interessieren, stammen längst nicht mehr aus gediegen-katholischen Milieus. Auch in Medellín wachsen Berufungen in einem "Klima voller Widersprüche, Hell und Dunkel, komplexen Beziehungen".
Diese Analyse liefert Franziskus vor Priesteramtskandidaten und ihren Familien, Ordensleuten und Priestern; natürlich fehlt auch nicht hoher Klerus. Der Ort, die ehemalige Stierkampfarena La Macarena, scheint nahezulegen, dass das Treffen für Konfrontation offen ist; tatsächlich reizt der Papst seine Hörer mit Abschweifungen und Scherzen immer wieder zu Lachen und Beifall.
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Franziskus lenkt den Blick der Priesterseminare und Ordensnoviziate auf die Peripherien: Es gelte anzuerkennen, dass Berufungen sich auch "auf dem Weg des Leidens und des Blutes" finden. Vielleicht ist das ein Wink an die Verantwortlichen der Berufungspastoral, sich schwierigen Milieus stärker zu öffnen, auch ehemaligen Angehörigen der Gewalt- und Drogenszene oder deren Opfern.
Wieder richtet er harte Worte gegen Priester, die im Klerikerdienst eine Chance zum sozialen Aufstieg und zu persönlicher Bereicherung sehen, jene, die dem Satan erliegen, der "durch die Brieftasche" kommt. Solche Zweige am Rebstock Christi hätten selbst entschieden, zu verdorren: "Gott befiehlt uns, sie herauszuschneiden." Der eigentliche Skandal ist für Franziskus, wenn Geistliche die Gutwilligkeit der Menschen ausnutzen. Er spricht von einem "Missbrauch des Volkes Gottes".
Franziskus besuchte ein Heim für Gewaltopfer
Der Papst mahnt Geistliche und Ordensleute zu einer lebensnahen Frömmigkeit, getragen von einer "betenden Lektüre" der Bibel im Hören auf das, "was Gott für uns und unser Volk will". Schon das Theologiestudium soll nach seinem Wunsch den Blick auf die Alltagswirklichkeit behalten, ohne Nostalgien zu pflegen, ohne "auf Fragen antworten zu wollen, die keiner stellt".
Nicht fehlen durfte an diesem Tag in Medellín auch ein Besuch in einer Sozialeinrichtung. Unter den vielen fiel die Wahl auf ein Heim für minderjährige Gewaltopfer. Stellvertretend für alle schilderte die 13-Jährige Claudia Yesenia García Ramírez ihr Schicksal. Als sie zwei war, verlor sie durch ein Guerilla-Massaker ihre Familie; sie selbst überlebte verwundet, zusammen mit einer Tante und einigen anderen Kinder. Heute nennt sie sich "ein glückliches Mädchen", dank der Gemeinschaft in ihrem Heim Hogar San José. Franziskus mag Menschen wie sie im Blick haben, wenn er eine Erneuerung der Kirche verlangt.