Für Lehrer eine große Herausforderung
Vor wenigen Tagen haben die deutschen Bischöfe neue Empfehlungen für die Kooperation des katholischen mit dem evangelischen Religionsunterricht herausgegeben. Aber was bedeutet die Handreichung für die Praxis? Maria Jakobs ist Direktorin des "Instituts für Religionspädagogik". Sie hat an der Entwicklung des kooperativen Religionsunterrichts in Baden-Württemberg mitgewirkt. Im Interview spricht sie über deren Ziele.
Frage: Frau Jakobs, die deutschen Bischöfe haben eine neue Handreichung für den Religionsunterricht veröffentlicht. Worum genau geht es dabei?
Jakobs: Die Bischöfe geben in regelmäßigen Abständen Handreichungen für den konfessionellen Religionsunterricht heraus, mit denen sie auf gesellschaftliche Veränderungen reagieren. 1996 erschien ein Papier mit dem Titel "Die bildende Kraft des Religionsunterrichts", 2005 eines mit dem Namen "Der Religionsunterricht vor neuen Herausforderungen". Die Situation in Deutschland hat sich in den vergangenen Jahren noch einmal gravierend verändert. Dieser neuen Realität stellen sich die Bischöfe nun.
Frage: Und wie sieht diese Realität aus?
Jakobs: Wir haben massiv rückläufige Schülerzahlen im Religionsunterricht. Einerseits liegt das am demografischen Wandel, andererseits werden immer weniger Kinder getauft. Darüber hinaus gibt es mittlerweile Fächer wie Ethik, Philosophie oder andere Religionslehren im Fächerkanon, die sich teilweise mit den gleichen Fragen beschäftigen wie der katholische Religionsunterricht.
Frage: Welche Vorschläge machen die Bischöfe, um dieser Entwicklung gerecht zu werden?
Jakobs: Ursprünglich galt gerade in der katholischen Kirche die sogenannte "Trias": Katholische Lehrkräfte unterrichten katholische Schüler auf der Grundlage des katholischen Fachplans. Nun haben die Bischöfe die Vorgaben zu Teilnahme anderskonfessioneller und nicht religiös gebundener Schüler am katholischen Religionsunterricht überdacht. Sie machen jetzt deutlich, dass es dort, wo Unterricht in einer konfessionell homogenen Gruppe nicht mehr möglich ist, durchaus auch gemischt-konfessionelle Lerngruppen geben darf, die über mehrere Schuljahre laufen können, und dass regional bedingt und in besonderen Schulformen nur evangelischer oder katholischer Religionsunterricht angeboten wird. Das war sicher ein schwerer Schritt für die Bischöfe. Aber sie haben ihn nun vollzogen. Ich finde das richtig, weil es der Realität entspricht.
Frage: Was genau bedeuten diese Kooperationen?
Jakobs: Offiziell gibt es verschiedene Formen von Kooperationen ja bereits seit der gemeinsamen Erklärung der Deutschen Bischofskonferenz und der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) "Zur Kooperation von Evangelischem und Katholischem Religionsunterricht" von 1998. Religionsunterricht in konfessionell-gemischten Gruppen, wie ihn die Bischöfe in dem neuen Papier beschreiben, bedeutet, dass dort, wo es die Situation verlangt, ein evangelisches Kind am katholischen Religionsunterricht teilnehmen kann und umgekehrt; das gilt auch für nicht konfessionell gebundene Kinder. Das kann zeitlich begrenzt – zum Beispiel für ein Schuljahr –, aber auch auf Dauer der Fall sein. Die Schüler nehmen, wenn es länderspezifisch nicht anders geregelt ist, im sogenannten Gaststatus mit allen Rechten und Pflichten am Religionsunterricht der anderen Konfession teil, wobei sich die Konfessionalität des Unterrichts nach der der Lehrkraft richtet. Die Bischöfe greifen also im Prinzip nur etwas auf, was schon längst Realität ist. Allerdings stärken sie damit einerseits die Menschen vor Ort, die bereits in dieser Weise arbeiten. Andererseits geben sie den Diözesen einen Rahmen vor, an dem sie sich orientieren können.
Frage: Für diejenigen, die diesen gemischt-konfessionellen Unterricht in der Form noch nicht kennen. Hat das auch Konsequenzen für den Unterricht selbst?
Jakobs: Grundsätzlich sind erst einmal die Lehrenden gefragt. Sie dürfen, sollen und müssen klarstellen, dass es eine evangelische und eine katholische Perspektive auf den jeweils behandelten Inhalt gibt. Es geht darum, eine Offenheit für den Umgang mit anderen religiösen Positionen zu erlernen und eine starke Form von Toleranz einzuüben. Dabei gilt es, zunächst die eigene konfessionelle Prägung oder Identität – insofern diese bei den Schülern heute überhaupt noch vorhanden ist – herauszuarbeiten und zu reflektieren, um sich dann im Austausch miteinander kennen- und schätzen zu lernen. Gemeinsamkeiten sollen herausgefiltert und gestärkt, Unterschiede aber ebenso deutlich benannt werden. Das ist für die Lehrkräfte eine große Herausforderung.
„Das Wort 'Mission' hat meines Erachtens ausgedient.“
Frage: Wie sieht das Modell in der Praxis aus?
Jakobs: Ich würde das gerne anhand des Beispiels Baden-Württemberg erklären. Wir nennen es gerne den "Mercedes" unter den kooperativen Modellen, weil es sehr aufwendig und auch teuer ist. Voraussetzung ist, dass es an der Schule, die einen Antrag auf konfessionell-kooperativen Religionsunterricht stellt, sowohl evangelischen als auch katholischen Religionsunterricht gibt. Die betroffenen Lehrkräfte erstellen gemeinsam einen zweijährigen Unterrichtsplan – das sogenannte Curriculum. In diesem müssen beide offiziellen Fachpläne enthalten sein. Zusätzlich muss ein ausgewogener Lehrerwechsel mit möglichst gleichen zeitlichen Anteilen ausgewiesen werden, so dass die jeweils eigene Perspektive der Konfession zur Sprache gebracht wird. Dieser Plan muss von den Verantwortlichen in den Kirchenleitungen beider Konfessionen genehmigt werden. Zu Beginn des Schuljahres müssen die Religionslehrkräfte eine von beiden Kirchen in Kooperation durchgeführte Fortbildung besuchen.
Bei diesem Modell verantworten also beide Konfessionen die Inhalte. Das ist das Besondere des Baden-Württembergischen Modells, während an Schulen, wo es zum Beispiel entweder katholischen oder evangelischen Religionsunterricht in gemischt-konfessionellen Lerngruppen gibt, der zuvor erwähnte Gaststatus gilt. Und diesen konfessionellen Religionsunterricht verantwortet dann die jeweilige Kirche. Generell aber ist aber bei gemischt-konfessionellen Lerngruppen darauf zu achten, dass die Position der Minderheit im Unterricht zur Sprache kommt. Wie das unterrichtspraktisch gehen kann, da werden die Verantwortlichen sich etwas überlegen müssen.
Frage: Das klingt nach veränderten Anforderungen an die Religionslehrer. Braucht es dafür nicht auch eine andere Ausbildung?
Jakobs: Da wir schon länger mit diesem Modell arbeiten, gibt es durchaus Überlegungen, die didaktischen Prinzipien zu hinterfragen: Was bedeutet es, wenn Schüler anderer Konfessionen nicht mehr die Ausnahme im Religionsunterricht sind? Die bereits angesprochene Didaktik des Perspektivwechsels etwa müsste fester Bestandteil der pädagogischen Ausbildung sein. An diesem Thema sind die Religionspädagogen an den Universitäten unter dem Stichwort "Perspektivenverschränkung" bereits dran. Die Schüler sollen ja ihre eigene Konfession ausprägen. Zusätzlich stehen wir vor der großen Herausforderung, dass die Lehrkräfte selbst häufig nicht mehr aus einem entsprechend konfessionell geprägten Elternhaus kommen. Auch dort bedarf es der Fortbildung. Ob die Pflichtfortbildung, wie wir sie derzeit noch durchführen, ausreicht, ist mehr als fraglich. Deshalb wollen wir das Konzept weiterentwickeln und dabei prüfen, ob und wie diese Thematik Eingang in die Ausbildung während des Studiums finden kann.
Frage: Geht es dann nur um didaktische Prinzipien oder muss sich ein katholischer Religionslehrer auch mit evangelischer Theologie auseinandersetzen?
Jakobs: Wünschenswert wäre das natürlich. Dort wo es möglich ist, sollte Kooperation erst einmal im Austausch bestehen – auch im Austausch mit der anderskonfessionellen Lehrkraft. Wenn es allerdings kein entsprechendes Pendant an der Schule gibt, hat man ein Problem. In der Tat lohnt es sich also zu überlegen, ob während des Studiums entsprechende Module angeboten werden können, um zentrale Aspekte der jeweils anderen Theologie kennenzulernen. Allerdings wird man sich da sicher beschränken müssen. Ansonsten handelt es sich ja schon um ein Doppelstudium.
Linktipp: Beauftragt, um zu unterrichten
Wer später ein bestimmtes Fach unterrichten möchte, der absolviert ein Studium, erhält nach den Prüfungen sein Staatsexamen und kann das Referendariat antreten. Doch bei künftigen Religionslehrern gelten andere Regeln.Frage: Wo kommt der kooperative Religionsunterricht an seine Grenzen?
Jakobs: Er darf nicht zu einem religionskundlichen Unterricht werden. Das ist auch den Bischöfen wichtig. Die katholische Religionslehrkraft, die vor der Klasse steht, muss als solche erkennbar sein – "konfessionsbewusst und konfessionssensibel" wie es die Bischöfe formulieren. Die Schüler müssen sich mit den Lehrenden als authentischen Zeugen ihres Glaubens auseinandersetzen, sich mit ihnen identifizieren oder sich auch an ihnen reiben können. Das trägt dazu bei, dass sie ihren eigenen Standpunkt entwickeln können.
Frage: Noch eine provokante These aus katholischer Sicht: Bieten evangelische und ungetaufte Schüler nicht eine gute Möglichkeit zur Mission?
Jakobs: Das Wort "Mission" hat meines Erachtens ausgedient. Wir verbinden es mit sehr vielen negativen Ereignissen in der Geschichte der Kirche. Es geht im Religionsunterricht um eine reflektierte Auseinandersetzung mit Religion. Wir wollen Schülerinnen und Schülern einen eigenen Zugang zur Weltbegegnung und zu einem Weltwissen aufzeigen, der gleichberechtigt neben dem mathematisch-naturwissenschaftlichen, gesellschaftlich-politischen oder ästhetischen Zugang steht. Es geht um die großen Fragen der Religionen: Wer bin ich? Woher komme ich? Und wohin gehe ich? Letztlich geht es um die Sinnfrage, die auch die Frage nach Gott offenhält. Sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen – aus konfessioneller Perspektive ohne dass die Lehrkraft übergriffig wird – und dazu beizutragen, dass die Schüler Orientierung in der pluralen Welt finden können, darin sehe ich Anliegen und Chance des katholischen Religionsunterrichts.