"Für mich ist Abbé Jacques ein Märtyrer"
Frage: Herr Vikar Stadtmüller, wie kam es dazu, dass Sie beim Requiem für Jacques Hamel konzelebriert haben?
Stadtmüller: Eigentlich wollten ein befreundeter Priester und ich nur in Frankreich ein paar Tage der Erholung verbringen. Genau am Tag des Requiems lag dann Rouen auf unserer Reiseroute. Wir waren genau zur Mittagszeit dort und hatten am Morgen schon beschlossen, zu konzelebrieren. Wir sind einfach in den Dom gegangen, haben uns mit den örtlichen Geistlichen bekannt gemacht und die Messe mitgefeiert.
Frage: Waren außer Ihnen noch andere ausländische Priester anwesend?
Stadtmüller: Die Gruppe der Geistlichen hat auf mich einen sehr homogenen Eindruck gemacht. Soweit ich das beurteilen kann, waren wir die einzigen Ausländer.
Frage: Wie haben es denn der Erzbischof und die Priester aus Rouen gefunden, dass Sie beide gesagt haben, Sie möchten konzelebrieren?
Stadtmüller: Sehr herzlich! Wir wurden wirklich freundlich empfangen. Der Erzbischof hat eine Ansprache gehalten und dabei – soweit ich es mit meinen Französischkenntnissen verstanden habe – den Priestern gesagt 'wir sind die Familie von Abbé Jacques'. Er hat das sehr familiär rüber gebracht, das fand ich schön.
Frage: Es hatten ja schon kurz nach der Tat einige mit Hamel befreundete Geistliche bekundet, wie sehr betroffen sie sind. Wie haben Sie die Stimmung unter den Priestern wahrgenommen?
Stadtmüller: Meiner Meinung nach nicht anders, als wenn Abbé Jacques auf normale Weise gestorben wäre. Als wir uns in der Sakristei eingekleidet haben, waren sehr viele Priester anwesend. Und so, wie es in Deutschland bei einer Priesterbeerdigung eben auch ist, haben sich viele wohl nach langer Zeit wiedergesehen und ausgetauscht. Es gab rege Gespräche, eine Schockstarre oder ähnliches habe ich nicht feststellen können.
Frage: War es für Sie als Priester ein besonders Gefühl, an einem solchen Requiem teilzunehmen?
Stadtmüller: Ja, sicher. Ich empfand das als ein Geschenk der Vorsehung, dass ich dabei sein konnte. Für mich ist Abbé Jacques ein Märtyrer, der für seinen Glauben gestorben ist. Es war ein sehr beeindruckendes Erlebnis und das muss ich sicherlich noch spirituell aufarbeiten, dass ich beim Requiem dabei sein durfte.
Frage: Sie sagen wie viele andere Gläubige auch: Jacques Hamel ist als Märtyrer gestorben. Die Kirche macht es sich ja nicht einfach, das offiziell festzustellen. Wie sehen Sie das?
Stadtmüller: Ich weiß nicht, ob wirklich alle den Gedanken hatten, dass wir da einen Märtyrer beerdigen. Manches machte auf jeden Fall den Eindruck. Am Eingang des Domes konnte man ein Bild von Abbé Jacques mit einem Heiligenschein sehen. Und das hat nicht nur irgendjemand dort abgestellt, sondern es stand ordentlich auf einer Staffelei; ich nehme an, mit Wissen der zuständigen Verantwortlichen. Dieser Heiligenschein rührt ja von der Überzeugung, dass Abbé Jacques als Märtyrer gestorben ist. Im Requiem haben dann alle Mitfeiernden den Toten mit Weihwasser besprengt und dabei gab es etliche Bekundungen, die ich als Verehrung eines Heiligen interpretieren würde. Viele Gläubige haben etwa vor dem Sarg niedergekniet.
Frage: Am Requiem in Rouen und auch an anderen Gedenkfeiern haben viele Nichtchristen, vor allem Muslime, teilgenommen. Wie haben Sie das wahrgenommen?
Stadtmüller: Es waren nicht nur Muslime dabei. Bei der Messe waren auch offizielle Vertreter anderer Weltreligionen anwesend. Im Altarraum saßen ein anglikanischer Bischof und orthodoxe Geistliche. Ich denke, dass man von einer Solidarisierung aller Bürger und ihrer Religionen sprechen kann. Dass die Muslime Präsenz zeigten, wurde natürlich besonders berücksichtigt von den Katholiken. Dabei spielt sicher auch eine Rolle, dass die muslimische Gemeinde einem der Attentäter das rituelle Begräbnis verweigert hat. Das hat sicher dazu beigetragen, dass auch Muslime bei dieser Feier willkommen waren und es ein authentisches Zeichen der Solidarität sein konnte.
Frage: Sie haben ein Requiem für einen Priester mitgefeiert, der auf grausame Weise ermordet wurde. Welche Gedanken bleiben nach diesem Erlebnis?
Stadtmüller: Ich bin letzte Woche durch die Innenstadt von Würzburg gegangen, da hat mich jemand angesprochen und gesagt 'Sie leben gefährlich'. Er meinte damit den Mord an Abbé Jacques. Ich habe dann gesagt, es gibt einfach ein Berufsrisiko. Das ist natürlich leicht daher gesagt. Die Ermordung eines Mitbruders – unabhängig davon, ob es ein Martyrium war oder nicht –, lässt einen selbstverständlich nachdenken. Ich selber habe aber keine Angst und dieses Requiem hat mich wirklich aufgebaut. Der Erzbischof hat gesagt, dass wir nicht Hass mit Hass beantworten dürfen. Ausgehend vom Evangelium: 'Ihr habt gehört, dass gesagt worden ist: Auge für Auge und Zahn für Zahn. Ich aber sage euch: Wenn dich einer auf die rechte Wange schlägt, dann halt ihm auch die andere hin.' (Mt 5, 38 f.) Wir haben als Christen eine andere Botschaft als den Hass.