Bruder Gabriel Zörnig über seine Arbeit in der Gefängnisseelsorge

Gefangene besuchen

Veröffentlicht am 17.03.2016 um 00:01 Uhr – Von Bruder Gabriel Zörnig – Lesedauer: 
Fastenimpuls

Bonn ‐ Während der Fastenzeit stellt katholisch.de die Werke der Barmherzigkeit vor. Dazu erzählen Ordensleute von ihrer Arbeit. Heute schreibt Bruder Gabriel Zörnig von der Gemeinschaft der Franziskaner über seine Arbeit in der Gefängnisseelsorge.

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"Guten Tag, sind sie Herr X? "Ja, das bin ich." "Dann bin ich ja richtig bei ihnen. Ich bin nämlich Bruder Gabriel, der Seelsorger hier in der Jugendanstalt." So beginnt fast immer das Gespräch, wenn ich einen jugendlichen Gefangenen, jeden Neuen, auf seinem Haftraum besuche und sozusagen mit der Tür ins Haus falle. Anders, als dass ich die Leute besuche, geht es im Gefängnis auch nicht.

Einmal antwortete mir ein Inhaftierter: "Ich habe 21 Jahre mit Kirche nichts zu tun gehabt, da fange ich hier drinnen auch nicht damit an!" Die spontane Reaktion meinerseits lies nicht lange auf sich warten. "Und was hat es ihnen gebracht?" Dann kamen wir ganz gut ins Gespräch. Mit Bravour meisterte er, wie viele meiner Leute, das Religionsquiz. "Vier Fragen, vier Antworten. Wenn sie alle Fragen richtig beantworten, gewinnen sie ein Abendessen für zwei Personen." Zugegeben, die Fragen sind relativ leicht. Die Gewinner lade ich dann eine Woche später in unserem Gesprächszimmer ein zu Kaffee und Keksen mit einem Gefangen ihrer Wahl. Dann kommen wir intensiver ins Gespräch. Ich zeige ihnen unsere Gefängniskapelle und wenn sie möchten, schauen wir auch in die Bibel.

Nachdenken über sich, die Vergangenheit und Gott

Ich versuche jeden Jugendlichen bei uns im Gefängnis in Neustrelitz in der ersten Woche zu besuchen. In einer neuen Umgebung, mit engen Regeln, neuen Leuten, eingesperrt, alles fremd, das ist schon eine ziemliche Herausforderung. Da kommen Fragen auf. Da kommen Menschen zur Besinnung, zum Nachdenken über sich, ihre Vergangenheit und über Gott und die Welt.

Linktipp: Franziskaner

Lebenskrisen können Ausgangspunkt für eine ungeahnte Entwicklung sein. Dies zeigt sich auch bei der Gründungsgeschichte der Franziskaner. Es handelt sich um einen der ersten Bettelorden der Kirchengeschichte.

Das Erstgespräch in der Zelle ist nur ein Anknüpfungspunkt, ein Beschnuppern und ein Kennenlernen. Viele unserer Leute haben mit Kirche, Gott und Glauben keine Erfahrung. Eventuell erinnern sie sich, dass sie mit Oma früher manchmal in die Kirche gegangen sind und für Opa eine Kerze angezündet haben. Manche haben schon mal zu Weihnachten einen Gottesdienst besucht. Scherzhafter Weise sage ich öfter, dass es in der Jugendanstalt Neustrelitz nur zwei Katholiken gibt. "Einer davon bin ich."

Aber das macht nichts. In meiner Arbeit als Gefängnisseelsorger, unter anderen in der JVA Neustrelitz geht es nicht in erster Linie um Mission im traditionellen Sinn. Gefangene besuchen ist eines der sieben Werke der Barmherzigkeit. "Am Ende wird der König denen auf der rechten Seite sagen: Ich war im Gefängnis und ihr habt mich besucht. Sie werden sagen: Herr, wann haben wir dich im Gefängnis gesehen und sind zu dir gekommen? Dann wird er ihnen antworten: Was ihr dem geringsten meiner Brüder um meinetwillen getan habt, das habt ihr mir getan!" (vgl. Mt 25,39.40).

Lebensgeschichten voller "Müll"

In den Gesprächen mit den jungen Menschen geht es in erster Linie um die Trennung von Familie oder Freundin, um die Angst, wie man denn hier klarkommen kann, was einen erwartet. Das wichtigste Hilfsmittel in den Gesprächen mit den Jungen und Mädchen als Seelsorger im Gefängnis ist, das ich es schaffe, Vertrauen wachsen zu lassen. "Sie dürfen aber nichts weitersagen?!", "Auf gar keinen Fall!", versichere ich ihnen dann. Schweigepflicht ist das größte Gut, dass ich als Seelsorger habe. Klar können sie auch dem Mitgefangenen oder dem Bediensteten, dem Psychologen oder sonst wem von sich erzählen. Aber sicher, dass es nicht weiter gesagt oder zu ihrem Nachteil verwendet wird, sind sie nicht.

Wenn ich dann die Lebensgeschichte von Menschen höre, weil sie endlich mal jemandem ihren ganzen "Müll" erzählen können, macht es mich oft genug traurig und sprachlos, aber auch dankbar für das Vertrauen, dass meine Leute in mich setzen, aber auch für meine eigene in dieser Hinsicht behütete Kindheit und bunte Jugend. Ein Glück brauche ich niemanden zu ver- oder beurteilen. Das steht mir nicht zu. Das macht die Arbeit dann auch wieder leichter.

Ein Beamter schließt eine Gittertür mit seinem Schlüsselbund in einer Justizvollzugsanstalt.
Bild: ©picture-alliance/dpa/dpaweb

Im Gefängnis mit seinen engen Regeln und dem wenigen Raum kommen bei den Gefangenen existentielle Fragen auf.

Als Mann Gottes, kann ich den Menschen, der mir hinter Gittern begegnet, erst einmal so nehmen wie er ist. Ich sehe jemanden mit Brüchen in der Biographie, mit Wünschen und Hoffnungen, die eben oft genug enttäuscht wurden. Zuerst sind es Menschen, die das Wort Gottes nie gehört haben: "Du bist mein geliebter Sohn, an dir habe ich Gefallen gefunden" (Mk 1,11). Mein Bild für Gefängnisseelsorge ist der Barmherzige Vater oder der Verlorene Sohn (Lk 15). Klar sind die Inhaftierten erst einmal wegen einer Straftat, die sie begangen haben, im Gefängnis und rechtskräftig verurteilt. Nur bei Untersuchungsgefangenen gilt weiterhin die Unschuldsvermutung. "Bruder Gabriel, ich habe das und das getan, aber dafür stehe ich auch ein!"

"Macht hoch die Tür..." ist im Gefängnis schwierig

Wir lachen auch in unseren Gesprächen. Das gehört für mich dazu und erleichtert manches. "Wie nennt man die Nachspeise im Knast? - Haftcreme." "Hä?" "Frag mal deine Oma." Es hilft, mal von den alltäglichen Problemen abzulenken, nicht immer nur, um sich selbst zu kreisen, an sich und seine Situation zu denken. Die Welt ist größer, die Probleme sind schwerwiegender als das, was gerade vor Ort  nicht stimmt. Aber ich erlebe auch Verzweiflung, Hoffnungs- und Lebensmüdigkeit. "Ich habe so viel vergeigt, habe so vielen Menschen Unrecht getan, wie soll es denn nur weitergehen mit mir?" Auch erlebe ich Schuld und Scham über das, was sie anderen Menschen angetan haben.

Zu meiner Aufgabe gehört es auch, dass ich Gottesdienste im Gefängnis feiere. Die Sonntagsgottesdienste halten wir in ökumenischer Verbundenheit. Gemeinsames Zeugnis von Gott, unterschiedliche Predigten, aber auch die Erfahrung, dass Gottes Liebe nicht getrennt werden kann. Die Adventszeit ist schwierig: "Macht hoch die Tür, die Tor macht weit..." heißt es im bekannten Lied in der Vorbereitung auf Weihnachten. Das ist eine Herausforderung im Gefängnis. Aber auch das Exsultet zu Ostern ist spannend: "O wahrhaft selige Schuld des Adam. In Christus hast du Erlösung gefunden." Jesus Christus hat alle Menschen ein für allemal erlöst in Tod und Auferstehung.

Fünf Jahre bin ich im schon Gefängnis, immer noch gern.

Themenseite: Heiliges Jahr

Vom 8. Dezember 2015 bis zum 20. November 2016 findet das von Papst Franziskus ausgerufene "Heilige Jahr der Barmherzigkeit" statt. Diese Themenseite bündelt die Berichterstattung von katholisch.de zum Heiligen Jahr.
Von Bruder Gabriel Zörnig