Gericht erklärt Kopftuchverbot für unzulässig
Das Münchner Oberlandesgericht, das die Frau eingestellt hatte, hatte sich bei der Auflage an einer Verordnung des bayerischen Justizministeriums von 2008 orientiert. Danach müssen Referendarinnen beispielsweise im Gerichtssaal oder bei Zeugenvernehmungen auf ihr Kopftuch verzichten. Die Augsburger Richter bemängelten nun, dass es für einen solchen Eingriff in die Religions- und Ausbildungsfreiheit keine gesetzliche Grundlage gebe.
Bayerns Justizminister Winfried Bausback (CSU) kündigte an, Rechtsmittel beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in München einlegen zu wollen. "Wir können das Ergebnis so nicht stehen lassen", sagte Bausback. "Jede Partei, jeder Angeklagte und jeder sonstige Verfahrensbeteiligte, der der Dritten Gewalt im Gerichtssaal gegenüber steht, muss auf die Unabhängigkeit, die Neutralität und erkennbare Distanz der Richter und Staatsanwälte vertrauen können." Für Referendare dürfe im Gerichtssaal nichts anderes gelten.
Studentin sieht sich diskriminiert und stigmatisiert
Die 25 Jahre alte Studentin sieht sich als diskriminiert und stigmatisiert. Deswegen hat sie mittlerweile auch eine Klage auf 2.000 Euro Schmerzensgeld gegen den Freistaat eingereicht. Nach Ansicht der Verwaltungsrichter ist solch eine Amtshaftungsklage nicht grundsätzlich unbegründet.
Nach Angaben des Justizministeriums in München ist der Fall in Bayern einmalig, bislang habe es keine Klage gegen die Kopftuch-Auflage gegeben. In Berlin war kürzlich eine abgelehnte Lehramts-Bewerberin mit einer Klage gescheitert. Derzeit befasst sich auch der Europäische Gerichtshof (EuGH) mit der Frage, ob das Tragen eines Kopftuch am Arbeitsplatz zulässig ist. Mit einem Urteil wird in einigen Monaten gerechnet. (dpa)
Chronologie: Der Streit um das Kopftuch
Das in Bayern praktizierte Kopftuchverbot für Rechtsreferendarinnen ist nach einem Urteil des Verwaltungsgericht Augsburg rechtswidrig. Bayerns Justizminister Winfried Bausback kündigte am Donnerstag kurz nach dem Urteil Berufung an. Wichtige Stationen im Streit um das Kopftuch.
1961: Die Bundesrepublik und die Türkei vereinbaren ein Anwerbeankommen. In den folgenden Jahrzehnten kommen Millionen Türken als Gastarbeiter nach Deutschland - die meisten bleiben. Damit kommt auch das Kopftuch als Kleidungsstück muslimischer Frauen in die Gesellschaft.
2002: In seiner Islam-Charta bekennt sich der Zentralrat der Muslime in Deutschland zum Grundgesetz und fordert zugleich, in der Bundesrepublik müsse eine würdige muslimische Lebensweise möglich sein. Dazu zählt der Zentralrat das Kopftuch.
2003: Nach jahrelangem Rechtsstreit entscheidet das Bundesverfassungsgericht im Fall Fereshta Ludin mit fünf zu drei Stimmen, dass einer muslimischen Lehrerin nicht ohne ein konkretes Gesetz verboten werden darf, im Unterricht ein Kopftuch zu tragen. Damit sind die Länderparlamente als Gesetzgeber am Zuge und erlassen in den folgenden Jahren unterschiedliche Regelungen.
2003: Das Bundesverfassungsgericht bestätigt das Urteil des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt von 2002, nach dem das Tragen eines Kopftuchs aus religiösen Gründen an einem nicht-staatlichen Arbeitsplatz kein ausreichender Kündigungsgrund ist.
2004: Der Europäische Menschenrechtsgerichtshof (EGMR) befasst sich erstmals mit dem Kopftuch und billigt das von türkischen Ausbildungseinrichtungen verhängte Verbot. Die Klage wegen eines Verstoßes gegen das Recht auf Religionsfreiheit und das Recht auf freie Meinungsäußerung weisen die Straßburger Richter ab.
2011: Das Tragen einer Mütze in der Schule kann aus Sicht des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt als religiöse Bekundung gewertet und damit verboten werden. Das Gericht stellt darauf ab, dass die Kopfbedeckung "erkennbar als Ersatz für ein islamisches Kopftuch getragen wird". Der Fall kommt nach Karlsruhe.
2015: Das Bundesverfassungsgericht kippt ein pauschales Kopftuchverbot für muslimische Lehrerinnen in öffentlichen Schulen. Ein Verbot sei nur dann möglich, wenn das Tragen der muslimischen Kopfbedeckung eine konkrete Gefahr für den Schulfrieden bedeute.
2016: Das Verwaltungsgericht Augsburg entscheidet, dass das in Bayern seit acht Jahren geltende Kopftuchverbot für Rechtsreferendarinnen rechtswidrig sei. Es handele sich um einen Eingriff in die Religions- und Ausbildungsfreiheit ohne gesetzliche Grundlage. (KNA)