"Gibt es im Himmel Nutella?"
Frage: Herr Barth, welche Kinder kommen in Ihr Hospiz?
Barth: Zu uns kommen Kinder und Jugendliche, die per Attest unheilbar krank sind. Wir sind kein Krankenhaus, das heißt, wir fangen keine neuen Therapien mehr an, sondern wir gestalten die Zeit, die dem kranken Kind noch bleibt, möglichst schön und sinnvoll. Es ist oft ein langer Abschied, der über Monate und auch länger gehen kann.
Frage: Was ist das Besondere im Hospiz bei so einem schweren Abschied?
Barth: Wir erfahren, dass Familien mit der Diagnose oft hoffnungslos überfordert sind. Das kann man sich ja auch denken. Es ist die schlimmste Tatsache, der man sich als Eltern stellen muss, wenn das eigene Kind vor einem sterben wird. Das gibt es zum Glück nicht häufig, dennoch fühlen sich die Betroffenen oft im Stich gelassen und haben im nahen Umfeld niemanden, mit dem sie darüber sprechen können. Daher sind die Familien froh, hier bei uns im Hospiz einen Ort zu haben, wo sie mit ihren Kindern ungestört sein können, wo sie sich angenommen fühlen und sich in einer schönen und positiven Atmosphäre auf den Abschied vorbereiten können. Wir lassen hier niemanden alleine.
Frage: Sind Sie dann auch so etwas wie ein Seelsorger für die Familien?
Barth: Seelsorge ist eine klassische Aufgabe im Hospiz. Sich um die Seele des Menschen zu sorgen, sich um die Seele der Kinder zu sorgen, darum geht es bei uns jeden Tag. Und Kinder stellen viele Fragen, die sie sofort beantwortet haben wollen. Vor kurzem hat mich ein fünfjähriges Kind hier im Haus gefragt: "Gibt es im Himmel auch Nutella?" Ich kann dann nicht sagen, ich hole dir gleich einen Seelsorger oder warte mal in zwei Stunde habe ich Zeit für deine Frage. Nein, ich muss sofort eine Antwort geben. Das ist wichtig und das wissen bei uns alle Mitarbeiter im Haus, dass solche Fragen kommen und dass sie darauf vorbereitet sein müssen. Wichtig ist, dass man das sagt, woran man selbst glaubt.
Frage: Was war Ihre Antwort für den Fünfjährigen?
Barth: Ja, ich glaube daran, dass es einen ganzen LKW voll mit Nutella im Himmel gibt.
Frage: Und was antwortet man Eltern, die fragen, warum gerade ihr Kind sterben muss?
Barth: Natürlich spielt in einer so schwierigen Lebenssituation die Frage nach Sinn oder Unsinn von Tod und Krankheit eine große Rolle. Die Frage nach dem Warum und nach dem Wohin wird bei uns oft gestellt. Und letztendlich wissen alle, die hier im Hospiz beschäftigt sind, dass diese oder ähnliche Fragen kommen. Es gibt Eltern, die bisher gläubige Menschen waren und hier bei uns zu zweifeln beginnen. Oder Eltern, die mit Gott nichts am Hut haben und hier bei uns nach ihm fragen. Die Frage, wo ist Gott und warum lässt er das zu, bestimmt unseren Alltag. Wir versuchen einfach da zu sein und das auszuhalten.
Frage: Aber wie geht man mit dem Schmerz einer verzweifelten Mutter um?
Barth: Ganz wichtig ist, dass ich ehrlich bin. Ich darf auch sagen, dass ich selbst keine Antwort habe, dass mich der Tod selbst zutiefst erschüttert. Auf jeden Fall ist es wichtig, keine Phrasen oder Floskeln zu bemühen oder Dinge wiederzugeben, die man schon irgendwo mal gehört oder von irgendwem gelernt hat. Ich muss ehrlich damit umgehen, was ich hier erlebe. Wenn Tränen fließen, dann ist das Hospiz genau der richtige Ort dafür. Weinen hat hier genauso seinen Platz wie lachen und fröhlich sein.
Frage: Weinen Sie manchmal auch mit den Angehörigen?
Barth: Emotionen sollen sein, also ja. Wenn ich Nähe zulassen kann, tut das auch dem anderen gut. Aber dennoch gilt es für mich, einen genügend großen Abstand zu der Situation zu halten. Ich darf als Mitarbeiter im Hospiz nicht zu nah an die Gefühle der betroffenen Familien ran gehen. Ich kann letztlich nicht mit jedem Kind mitsterben. Aber eine Professionalität, die über allem steht, gibt es hier auch nicht. Wenn Kinder sterben, geht mir das immer wieder sehr zu Herzen.
Frage: Welche Rituale pflegen Sie im Hospiz, um mit der Trauer umzugehen?
Barth: Wichtig in der Kinderhospizarbeit ist es, dass Kinder und Jugendliche Spuren hinterlassen. Jedes Kind ist einmalig und hat seine ganz besondere Würde. Und das bedeutet, dass es nicht irgendein Kind ist, das hier verstirbt, sondern dass jedes Kind seinen eigenen Platz hat. Daher gibt es bei uns im Hospiz ein besonderes Gästebuch. Es ist eigentlich eine Wand im Flur. Hier hinterlässt jedes Kind einmal seinen Fuß- oder Händeabdruck. Wir schreiben auch den Namen jedes Kindes, wenn es verstorben ist, auf die Flügel eines bunten Windrades. Es stehen schon viele Windräder bei uns im Garten. Wir haben auch ein Erinnerungsbuch, in dem alle Namen unserer Gäste verzeichnet sind. Hier schreiben Eltern oder Geschwister ganze Buchseiten voll mit Erinnerungen oder kleben Fotos ein. Gleich beim Eingangsbereich im Hospiz steht auch eine Kerze, die immer dann brennt, wenn ein Kind verstorben ist. Oft kommen Eltern nach Monaten wieder zu uns ins Hospiz, um im Erinnerungsbuch zu blättern oder die Wand nach den Spuren des eigenen Kindes abzusuchen.
Frage: Ist das der Moment, in dem Sie spüren, dass Ihre Arbeit im Hospiz Sinn macht?
Barth: Ja, ich bin immer froh, wenn Eltern mit einem guten Gefühl aus dem Hospiz rausgehen und uns "Danke!" sagen. "Danke, dass ihr in dieser Zeit da wart, dass ihr uns Halt und Stütze gegeben habt. Ihr habt genau das Richtige getan." Denn sie wissen, obwohl das Kind verstorben ist, bleibt es immer ein Teil von uns.