Flüchtlingsbischof erkundet Situation auf Sizilien

Heße gegen Rückführung von Flüchtlingen nach Libyen

Veröffentlicht am 06.09.2017 um 16:40 Uhr – Lesedauer: 
Flüchtlinge

Pozzallo/Catania ‐ Flüchtlingsbischof Stefan Heße besucht derzeit Sizilien, um sich ein Bild der Lage zu machen. Die Flüchtlingseinrichtungen dort findet er vorbildhaft - die Politik der Regierung allerdings nicht.

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Der Flüchtlingsbeauftragte der Deutschen Bischofskonferenz, Erzbischof Stefan Heße, hat die Rückführung von Flüchtlingen nach Libyen kritisiert. Wer auf dem Mittelmeer in Seenot sei, müsse aufgenommen und in ein sicheres Land gebracht werden, sagte Heße katholisch.de am Mittwoch im sizilianischen Pozzallo. "Und Libyen scheint mir nicht unbedingt das sicherste Land zu sein, das es gibt." Der Erzbischof hält sich noch bis Freitag auf der süditalienischen Insel auf, um sich über die Lage der Flüchtlinge vor Ort und die Situation an den EU-Außengrenzen zu informieren.

Heße warnte auch davor, die Grenzen Europas zu schließen. Man müsse den Grenzverkehr zwar kanalisieren, um die Situation vernünftig zu bewältigen. "Aber Grenzen zu schließen oder gar Mauern oder Zäune zu bauen, kann nicht die Antwort auf das menschliche Problem sein, das hinter der Flucht steckt." Entgegen mancher Behauptung handele es sich bei den Flüchtlingen nicht einfach um "Wirtschaftskriminelle", sondern um Menschen, die unter Krieg und Terror litten oder für ihre Kinder keine Perspektiven sähen.

Heße: Flüchtlinge kommen nicht in Europa an

Ausdrücklich lobte der Hamburger Erzbischof bei seinem Besuch die gute Organisation des Hotspots in Pozzallo und die Zusammenarbeit zwischen staatlichen Einrichtungen und den privaten Organisationen (NGOs). Als negativ habe er lediglich empfunden, dass "ich so wenig Flüchtlinge gesehen habe". Sie kämen offenbar nicht so nach Europa durch, dass sie in dieser vorbildlichen Einrichtung aufgenommen werden könnten.

Themenseite: Auf der Flucht

Die Flüchtlingskrise fordert Staat, Gesellschaft und Kirchen mit ganzer Kraft heraus. Auch die katholische Kirche in Deutschland engagiert sich umfangreich in der Flüchtlingsarbeit. Weitere Informationen dazu auf der Themenseite "Auf der Flucht".

In der 20.000-Einwohner-Stadt Pozzallo befindet sich einer von insgesamt vier sogenannten Hotspots in Italien. Dort werden alle ankommenden Asylsuchenden registriert. Zuständig sind die nationalen Grenzbehörden, die Europäische Agentur für die Grenz- und Küstenwache "Frontex" sowie das Europäische Unterstützungsbüro für Asylfragen (EASO). Die drei weiteren Hotspots befinden sich auf der Insel Lampedusa, in Tarent in der Region Apulien sowie in Trapani im Westen Siziliens. Seit Jahresbeginn sind in Süditalien rund 94.000 Flüchtlinge an Land gegangen. Seit 2014 liegt die Zahl insgesamt bei etwa 600.000.

Seenotretter kritisieren italienische Regierung

Bei privaten Seenotrettern geriet die italienische Regierung unterdessen wegen ihrer geänderten Flüchtlingspolitik in die Kritik. So beklagte die Gründerin der Organisation Migrant Offshore Aid Station (Moas), Regina Catrambone, die Grenzbehörden hätten sie aufgefordert, Flüchtlinge zur Umkehr zu zwingen. Die Helfer sollten die Geflüchteten an die libysche Küstenwache übergeben, anstatt sie nach Italien zu bringen, erklärte sie am Dienstagabend in Catania.

Bis vor kurzem habe man gewusst, dass man die Flüchtlinge an einen sicheren Ort bringe. "Das ist jetzt aber nicht mehr so." Erst am Montag hatte Moas erklärt, den Einsatz im Mittelmeer vorerst beenden zu wollen. Bisher hat die Organisation nach eigenen Angaben seit 2014 etwa 40.000 Menschen auf dem Mittelmeer gerettet. Sie erhält bei Ihrer Arbeit unter anderem Unterstützung von der katholischen Kirche in Deutschland.

Helfer retten Flüchtlinge von einem Holzboot vor der libyschen Küste
Bild: ©picture alliance/Laurin Schmid/SOS MEDITERRANEE

Nach dem Willen der italienischen Regierung sollen private Seenotrettungsorganisationen Geflüchtete auf dem Mittelmeer zukünftig direkt zurück an die libyische Küste bringen.

Catrambone zeigte sich enttäuscht über das erzwungene Ende ihrer Arbeit im Mittelmeer. Zumal es in libyschen Internierungszentren unter anderem zu Gewalt, sexuellem Missbrauch, Folter, Erpressung, Zwangsarbeit und Versklavung gekommen sein solle. Die Zentren befinden sich teilweise unter der Zuständigkeit bewaffneter Milizen und krimineller Banden. Dass Italien die Asylsuchenden hierher zurückschicke, bedeute für den Staat "einen Verlust der Glaubwürdigkeit", sagte Catrambone.

EuGH weist Klagen gegen Flüchtlingsquoten ab

Unterdessen machte der Europäische Gerichtshof (EuGH) am Mittwoch den Weg zu einer besseren Verteilung der Geflüchteten auf die europäischen Staaten frei. Die Richter in Luxemburg erklärten verbindliche Quoten zur Aufnahme von Flüchtlingen für rechtens. Heße zeigte sich in Sizilien erfreut über die Nachricht: "Die ankommenden Flüchtlinge müssen nach ihrer Erstaufnahme gerecht verteilt werden - das ist unsere moralische Pflicht."

"Hier vor Ort in Sizilien sehe ich, welche großen Herausforderungen für einen Staat an der EU-Außengrenze mit der großen Zahl von Flüchtlingen verbunden sind." Zwischen den EU-Ländern sei Solidarität notwendig.

Mit seinem Urteil hat der EuGH eine Klage von Ungarn und der Slowakei gegen die Flüchtlingsquote abgewiesen. Diese Länder sperren sich gegen eine Umverteilung von Flüchtlingen. Insbesondere die Erstaufnahmestaaten Italien und Griechenland tragen die größte Last. Ungarn hat bislang keinen der für das Land errechneten knapp 1.294 Flüchtlinge aufgenommen. Die Slowakei bot 60 Plätze an und nahm 16 Flüchtlinge aus Griechenland tatsächlich auf; vorgesehen sind im Rahmen der Umverteilung 902 Flüchtlinge. Polen stellte 100 Plätze bereit, aber nahm bisher niemanden tatsächlich auf. (bod/kim/KNA)