Heiligkeit ist weiblich
In der apostolischen Exhortation "Gaudete et Exsultate" stellt Papst Franziskus Frauen in den Vordergrund – das ist das erste, was mir beim Lesen aufgefallen ist. Frauen kommen normalerweise nur im Hintergrund päpstlicher Schreiben vor, wenn überhaupt. Hier nicht. Hier sind sie weit vorne und sichtbar.
Gleich zu Beginn im dritten Absatz führt Franziskus das Beispiel Saras vor Augen (zusammen mit Abraham), und ruft die Rolle der eigenen Mütter und Großmütter in Erinnerung, als Zeuginnen des Heiligen, die den Glauben ihrer Kinder und Enkel formen. Und er führt noch mehr herausragende Glaubenszeuginnen in seinem Schreiben an. Dazu gehören die Ordensfrauen Maria Gabriella Sagheddu (Nr. 5), Josephine Bakhita (Nr. 32) und Mutter Teresa (Nr. 100), die sieben seligen Salesianerinnen des Heimsuchungsklosters in Madrid (Nr. 141), Scholastika, die Schwester des heiligen Benedikt, (Nr. 142), Monika, die Mutter des Augustinus, (Nr. 142) und natürlich Maria, die Mutter Jesu (Nr. 124 und 176). Päpstliche Schreiben enden oft mit einer Anrufung der Muttergottes, aber in diesem spielt sie auch im Text eine wichtige Rolle als Beispiel für die Freude (Nr. 124).
Franziskus hebt besonders den "weiblichen Genius" hervor (Nr. 12) und richtet so den Blick darauf, wie der Heilige Geist durch weibliche Heilige wie Hildegard von Bingen, Birgitta von Schweden, Katharina von Siena, Teresa von Avila und Therese von Lisieux gewirkt hat, die in bedeutenden historischen Momenten Zeugnis gegeben haben und deren Wirken "zu neuen geistlichen Dynamiken und wichtigen Reformen in der Kirche" führte. Gleichzeitig erinnert Franziskus an "so viele unbekannte oder vergessene Frauen", die "Familien und Gemeinschaften mit der Kraft ihres Zeugnisses getragen und verwandelt haben".
Heiligkeit im Alltag
Das eine Beispiel, das Franziskus besonders als Beispiel für Heiligkeit im Alltag wählt (Nr. 16), ist der Alltag einer Frau. Er beschreibt, wie sie den Tag über vier Entscheidungen zu treffen hat. Jedes Mal entscheidet sie sich für Barmherzigkeit, Gerechtigkeit, Mitgefühl und den Glauben – jeder dieser Momente, so beschreibt es Franziskus, ist ein Schritt hin zur Heiligkeit. Auch von der Heiligkeit von Männern und Frauen, die hart arbeiten, um ihre Familien zu unterstützen, "um das tägliche Brot nach Hause zu bringen", schreibt Franziskus (Nr. 7). Es ist bemerkenswert, wie der Papst hier Frauen als wirtschaftliche Akteurinnen würdigt.
Und es geht weiter: Franziskus führt Autorinnen häufig und ausführlich an. Schon am Anfang zitiert er die heilige Philosophin Edith Stein (Nr. 8). Auch Mutter Teresa (Nr. 107), Teresa von Avila (Nr. 149) und Therese von Lisieux (Nr. 54 und 105) finden sich in seinen Zitaten.
Natürlich zitiert der Papst auch Männer, und männliche Heilige kommen ebenso vor. Doch dass Franziskus so viele Frauen anführt, ist beachtlich. Es scheint, als wolle er damit einen Punkt setzen: Frauen sind wichtig dafür, was die Kirche als "heilig" versteht und wahrnimmt.
Die ersten Reaktionen auf die Exhortation haben sich mit der "Mittelschicht der Heiligkeit" beschäftigt, damit, wie Franziskus sich gegenüber seinen konservativen Kritikern positioniert, sein Engagement für Migranten und Flüchtlinge, seine pastorale Reflexion der Seligpreisungen, seine Warnung, dass der Kampf gegen Satan und das Böse real ist, und seine mittlerweile vertraute Kritik am heutigen Pelagianismus und Gnostizismus in der Kirche. All das sind richtige Beobachtungen. Aber es wäre doch schade, wenn man darüber etwas anderes wichtiges und wahres in dieser Exhortation übersehen würde: Es gibt dort auch die Frauen!