"Heiligmittag" bei Gefangenen
"Am Anfang des ersten Gottesdienstes war die Tür geschlossen. Ich habe die Gefangenen einfach raten lassen, was sich hinter der Tür verbirgt", erzählt Bär. "Erst waren die Antworten etwas zögerlich, aber dann kamen richtig gute und interessante Vorschläge." Die Tür zum Himmel oder die Krippe noch ohne die heilige Familie. Dann öffnet er die Tür. Dahinter: nichts. Ein Nichts, das für die Situation der Gefangenen in Untersuchungshaft steht. Ein Nichts, das besonders in der Adventszeit für die Männer hinter Gittern präsent ist. Mit der symbolischen Heiligen Pforte möchte Bär sichtbar machen, was die Menschen im Inneren aufwühlt. Angst, Zweifel, Traurigkeit, Nichts.
Der zweite Teil des Gottesdienstes beschäftigt sich näher mit diesem Nichts. Was ist es genau? Was bedeutet dieses Nichts für die Gefangenen in ihrem Alltag? 23 Stunden pro Tag in einem Raum. Ein Raum, der zwei Meter breit und vier Meter lang ist. Eine Stunde Hofgang; Arbeit gibt es in U-Haft so wie keine. Frühstück, Mittagessen, Abendessen: alles in der Zelle. Und die ist still. Dann das Warten auf Briefe von außen, von der Familie. "Da kommt auch wirklich erst einmal lange Zeit nichts. Die Gefangenen wissen nicht einmal, ob ihre Familie nicht geschrieben hat oder die Briefe bei der Staatsanwaltschaft fest hängen. Es sagt ihnen ja auch niemand etwas, es interessiert einfach nicht, wie es den Leuten eigentlich geht", erklärt Bär.
Keine Ausnahmen wegen Weihnachten
Das spüren die Gefangenen vor allem an Weihnachten. Im Gefängnis gibt es keine Ausnahmen, keine Sonderbesuche. Die Familie feiert zuhause, ohne den Vater, Bruder oder Sohn. Gerade an Weihnachten sei die Suizidgefahr besonders hoch, weil die Nerven der Gefangenen an so einem besonderen Anlass einfach blank lägen, so Bär. Deswegen versuche man, in den Tagen zwischen Weihnachten und Silvester immer wieder Leute zu gewinnen, die besondere Angebote für die Gefangenen machen, und macht "Weihnachtsumschluss". Ein Gefangener kann dann mit zwei anderen zusammen in einem anderen Haftraum zusammen sitzen und zum Beispiel Karten spielen.
Außerdem gibt es Geschenke für diejenigen, die mittellos sind, also mit weniger als 30 Euro im Monat auskommen müssen. Gemeinsam mit der evangelischen Gefängnisseelsorge wird das ganze Jahr über erhoben, wer ein Geschenk bekommen soll. Wer über Weihnachten inhaftiert wird, bekommt automatisch ein Päckchen. Die Caritas, Diakonie und die christliche Strafentlassungshilfe sorgen für die Weihnachtspakete. Eine Packung Tabak, Zigarettenpapier, ein Feuerzeug, eine Tafel Schokolade, löslicher Kaffee und Erdnüsse. Doch die Geschenke werden nicht sofort an die 120 Personen übergeben, die Anspruch darauf haben. Drogenkontrolle, scannen, untersuchen. Alle Päckchen sind gleich und nicht für eine bestimmte Person bestimmt. Das wäre zu gefährlich.
"Ich erlebe das hier im Gefängnis täglich, dass die Menschen nur auf das Negative reduziert werden, von denen ein Risiko ausgeht. Aber sie sitzen gerade ihre Strafe ab und haben Ängste vor dem, was sein wird. Auch danach wird derjenige immer stigmatisiert bleiben", sagt Bär. Deswegen versuche er immer, auch seine Gottesdienste nicht rein monologisch zu halten und sie an der Lebenswirklichkeit der Gefangenen auszurichten. Da sei es auch völlig legitim, wenn während des Gottesdienstes Wortmeldungen kommen.
Weihnachten findet für Bär am Arbeitsplatz statt
Andreas Bär ist der einzige Ansprechpartner im Gefängnis, der keine Meldepflicht hat. Für Gruppensitzungen bleibt momentan keine Zeit, zu groß sei der Andrang nach Einzelgesprächen. Dennoch feiert er täglich mit den Gefangenen die Laudes, beim Sonntagsgottesdienst wechselt er sich mit seinem evangelischen Kollegen ab.
Die Messe zum Heiligabend ist im Gefängnis vorverlegt. Die normalen Strukturen müssen eingehalten werden. Heiligmittag um 13 Uhr. Danach fährt Andreas Bär ins nächste Gefängnis 30 Kilometer entfernt. Dort feiert er mit den Gefangenen einen weiteren Gottesdienst, bleibt dann noch zum Essen und gemeinsamen Film ansehen. Weihnachten findet für den Gefängnisseelsorger am Arbeitsplatz statt. Unter Verbrechern. Erst spätabends kommt er nach Hause. Von seiner Familie hat auch er an Weihnachten nichts, denn am nächsten Tag beginnt die Arbeit wieder früh. "Am ersten Weihnachtsfeiertag halte ich einen Gottesdienst um sieben Uhr morgens. Anfangs ist alles dunkel und wir singen 'Stille Nacht'. Erst später mache ich das Licht an, damit niemand sieht, wenn der andere weint. Die Dunkelheit ist hier Schutz", erzählt Bär.
Holztür symbolisiert Barmherzigkeit im Alltag
Einen persönlichen Schutz, den er sich vor allem im Alltag für die Gefangenen wünscht. Bessere Haftbedingungen zum Beispiel. Erst seit kurzem gibt es vor der Toilette in der Zelle eine Wand. "Es gibt eben auch Bedienstete, die nicht anklopfen, sondern gleich reinstürmen. Das ist nicht nur respektlos, sondern auch für den Gefangenen unangenehm", sagt Bär. Der Hintergrund und das Schicksal der Einzelperson zähle im Gefängnis sehr wenig.
Denn obwohl es immer einen Grund hat, dass ein Mensch hinter Gittern sitzt, trotz aller Fehler besitzt dieser Mensch seine Würde. Deshalb hat Andreas Bär große Hoffnungen auf das Heilige Jahr der Barmherzigkeit: "Nicht mal direkt religiöse, sondern im Bereich der Menschenwürde, dass der Blick auf den Menschen als Ganzes gelenkt wird." Strafvollzug kann in seinen Augen immer etwas Menschliches haben, die einzelne Person berücksichtigen. Gelebte Barmherzigkeit im Alltag. Symbolisiert mit einer Holztür.