Der Papst reist unangekündigt in Italiens Erdbebenregion

Hoffnungsbote mit leeren Händen

Veröffentlicht am 05.10.2016 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Papst Franziskus, bei seinem Überraschungsbesuch, mit einem Feuerwehrmann vor den Trümmern des vom Erdbeben zerstörten Amatrice am 4. Oktober 2016.
Bild: © KNA
Naturkatastrophen

Rom ‐ Am Dienstag tauchte Papst Franziskus unversehens in Italiens Erdbebenregion auf - ohne Protokoll und mit nichts als Zeit zum Zuhören. Sein fast wortloser Besuch hatte dennoch eine große Wirkung.

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"Unerwartet, überraschend - ein bisschen wie das Erdbeben" - so kam nach den Worten von Amatrices Priester Savino D'Amelio Papst Franziskus in den Ort, den es seit dem 24. August praktisch nicht mehr gibt. Ein Besuch ohne Reden und Gottesdienste. Ein kühler, etwas nebelverhangener Herbstmorgen über den schönen Bergen Umbriens und den tristen Ruinen. Die bunt lackierten Container der provisorischen Schule versuchen das Grau aufzuheitern. Ein dunkler Golf fährt vor, italienisches Kennzeichen, getönte Scheiben. Der Papst steigt aus und betritt die Baracke, als käme der Dorfgeistliche zum Religionsunterricht.

Der Vatikan und die Behörden hatten den Besuch bis zuletzt geheim gehalten. Aber er hing in der Luft. Noch am Sonntagabend, auf dem Rückflug von Aserbaidschan, hatte Franziskus vor mitreisenden Journalisten bekräftigt, er wolle "privat, allein, als Priester, als Bischof, als Papst" kommen. "Ich möchte nahe bei den Menschen sein", ergänzte er. Dienstag ist der freie Tag für Päpste. Am Morgen hieß es in Amatrice, Rietis Bischof Domenico Pompili wolle überraschend die Schule besuchen. Da verdichteten sich Mutmaßungen, der Bischof käme nicht allein.

Linktipp: Amatrice: Es gibt "keine einzige Kirche mehr"

Sie wissen nicht, wie sie die Toten bestatten sollen: Amatrice trauert nach dem schweren Erdbeben um über 200 Todesopfer. Kirchen stehen für die Trauerfeiern nicht zur Verfügung - sie sind alle zerstört.

"Wir bekamen das Aufgebot der Journalisten mit, Radio, TV, verschiedene Teams", sagte Don Savino dem Sender Radio Vatikan. Aber für ihn war auch klar: Franziskus wollte "keiner äußerlichen Kundgebung Raum geben". Amatrice ist ein geschundener Ort. Er zahlte den höchsten Blutzoll. Als die Toten mit einem Staatsakt verabschiedet werden sollten, mussten sich die Angehörigen querstellen, um eine Rückverlegung der Trauerfeier von Rieti in ihr Dorf durchzusetzen. Die Ortsverwaltung steht in der Kritik, weil sie in den vergangenen Jahren lieber in den Erhalt eines kleinen Krankenhauses und einer Hotelfachschule investierte als in Erdbebensicherheit. Inzwischen nutzen Betrüger den Namen Amatrice, um von Gutgläubigen Spenden abzuzocken.

Keine Ansprache, keine Ratschäge

Als Franziskus kommt, hält er keine Ansprachen, erteilt keine Ratschläge. Er spricht mit den Kindern, lässt sich selbstgemalte Bilder zeigen. Vielleicht, weil Bilder mitteilen können, was Worte schwer fassen. Dann lässt er sich in die Ortsmitte fahren. Vor der Ruine der Kirche Sant'Agostino steigt er aus und geht auf der Hauptstraße in die Trümmer hinein. Ein Plakat wirbt für ein Volksfest am 23. August. Wer hat sich am Morgen danach noch dafür interessiert. Hier ist die "Rote Zone". Schuttberge, akut einsturzgefährdete Ruinen. Ein Ort ohne Leben. Der Papst betet.

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Allein in Amatrice starben 236 Menschen. Weitere 51 Opfer gab es in der Region der Marken, allein 46 in dem zu Arquata gehörenden Weiler Pescara del Tronto; 11 Personen kamen in Accumoli ums Leben. Auch dorthin fährt Franziskus, jedoch nicht ohne einen Umweg über das Pflegeheim San Raffaele in Borbona. Viele der 60 Senioren dort verloren durch das Beben ihr Zuhause. Franziskus reiht sich bei ihnen zum Mittagessen ein. Dann Accumoli: Stilles Innehalten vor der Kirche San Francesco. Heute wäre ihr Patronatsfest. Am 24. August stürzte der Turm auf ein benachbartes Wohnhaus und erschlug eine Familie - die Eltern und Kinder im Alter von sieben und acht. Ihr Tod wurde zur bekanntesten Einzeltragödie des Unglücks.

In Accumoli und Arquata del Tronto bebte in der Nacht auf Montag erneut die Erde. Die Stärke der Erdstöße betrug 3,4. Das Rütteln und Grollen gehört fast zum Alltag. Aber es erinnert auch daran, wie weit der Weg zur Normalität noch ist in einer Region, die teils noch nicht einmal die Folgen des Umbrien-Bebens von 1997 bewältigt hat. In Amatrice wandte sich Franziskus einmal kurz an die Umstehenden: In den ersten Tagen nach dem Unglück wäre seine Anwesenheit "vielleicht eher ein Hindernis als eine Hilfe" gewesen, sagt er. "Aber vom ersten Augenblick habe ich gespürt, dass ich kommen musste, einfach um zu sagen, dass ich nahe bin ... dass ich nahe bin, nichts weiter. Und dass ich bete, bete für euch." Dann spricht er für die Toten ein Ave Maria mit den Leuten. Zum Schluss applaudieren sie.

Von Burkhard Jürgens (KNA)