"Ich will nicht mehr"
Der Seelsorger vertraut seiner Intuition, schlägt dem Fahrer einen Deal vor: "Sie fahren rechts ran und ich spreche so lange mit Ihnen, wie Sie wollen." Der Fahrer hält an. Der Helfer muss das hinterher verarbeiten und macht das mit dem Leiter der Aachener Telefonseelsorge, mit Frank Ertel. "Wenn Menschen anrufen, gehen wir davon aus, dass es irgendetwas in ihnen gibt, das noch leben will", sagt Ertel: Sie wollen sprechen, suchen jemanden, der zuhört, sie ernst nimmt. Alle zwei Tage rufe in Aachen jemand an, der deutlich macht: "Ich will nicht mehr".
Der Umgang mit lebensmüden Menschen ist das zentrale Thema beim Weltkongress der Telefonseelsorge von Mittwoch an (20. bis 22. Juli) in Aachen. Was ist der richtige Umgang, warum hilft Zuhören, was bewirkt die Stimme, das Wort und wie kommt es beim Anrufer zu Entlastung, Erleichterung, Loslassen? Wissenschaftler halten Vorträge, es gibt Workshops - insgesamt über 200. Es sind auch Menschen wie Kevin Briggs aus San Francisco dabei. Der Mann hat als Polizist 20 Jahre lang an der Golden Bridge Dienst getan. Von der Brücke springen immer wieder Menschen in den Tod. Briggs sollte sie davon abhalten.
"Gibt es wirklich nur diese eine Lösung?"
Zuhören ist wichtig, Anonymität und Ehrlichkeit, wie Gabi betont. Die Frau ist 72 und seit über 30 Jahren ehrenamtliche Telefonseelsorgerin in Aachen. "Wenn jemand keine Arbeit hat, die Beziehung kaputt ist, sich die Freunde abgewandt haben, niemand mehr zu Besuch kommt - dann kann ich nur sagen: Ihr Leben ist aber traurig", sagt sie. Und sie frage dann: Gibt es wirklich nur diese eine Lösung, den Tod? Manchmal wolle sie auch wissen, wie er oder sie "es" denn tun wolle.
Weltkongress der Telefonseelsorger tagt in Aachen
Fußballer-Witwe Teresa Enke und der Polizist Kevin Briggs sprechen beim Weltkongress der Telefonseelsorger in Aachen, der sich diese Woche mit den Themen Suizidprävention und Bewältigung beschäftigt.Anliegen der Telefonseelsorge ist, dass der Mensch es nicht tut, wie die katholische Sprecherin der Telefonseelsorge Deutschland, Barbara Sönksen sagt: "Es geht erst mal um das Gespräch, um das Zuhören, um einen ersten Kontakt." Aber selbst wenn sich daraus keine Brücke weg vom Suizid und hin zum Leben ergebe, seien die Seelsorger für diesen Menschen da.
In der Nacht ist die Seele anders als am Tag
Gleich wird Gabi in Aachen ihre Schicht beginnen, ein paar Türen weiter an einem Schreibtisch. Es ist später Vormittag. Die Nacht wird anders sein. "In der Nacht ist die Seele anders als am Tag", sagt Pfarrer Ertel: Bis 1.00, 2.00 Uhr in der Nacht rufen Menschen an. "Dann sind auch die Belasteten erschöpft." Um 5.00 Uhr kommen dann wieder die ersten Anrufe: "Die Depressiven wachen früh auf, wenn die Seele den Schlaf zerquält."
"Damit das Leben weitergeht", ist der Weltkongress überschrieben. Und meint damit auch die Angehörigen nach einem Suizid. "Da gibt es die Scham der Angehörigen, die hinterher nicht dazu stehen und den Trauernden erzählen, dass es ein Herzinfarkt war", sagt Pfarrer Ertel. Teresa Enke gehört nicht dazu. Ihr Mann, Nationaltorhüter Robert Enke, nahm sich 2009 das Leben. Er litt unter Depressionen. Teresa Enke will laut Ertel erzählen, wie es ihr ergangen ist. Davor und danach.