Im Reich des Guten
Die Reise durch die deutsche Stiftungslandschaft beginnt abseits der großen Metropolen. Plittersdorf, ein Ortsteil von Bonn. Der Turm der katholischen Sankt-Evergislus-Kirche ist schon von weitem am Rheinufer zu sehen. Hier, im Schatten des Gotteshauses, entstand vor über zehn Jahren die Idee zur Bürgerstiftung Rheinviertel. "Wir wollten den Sparkonzepten in der Jugendarbeit und der Altenpflege etwas entgegensetzen", erinnert sich Pfarrer Wolfgang Picken. Heute stellt er fest: "Die Rechnung ist aufgegangen."
So stellte die Stiftung unter anderem einen ambulanten Palliativdienst auf die Beine, gab den Anstoß zur Gründung eines Kindergarten-Netzwerks. Inzwischen ist sie laut Picken zu einem "von Bürgern getragenen Sozialunternehmen" herangewachsen. Ein Teil ihrer Tätigkeiten wird aus den Erträgen des Stiftungsvermögens finanziert, aktuell rund acht Millionen Euro. Hinzu kommen Spenden und Schenkungen. Aber: "Es geht nicht nur um das Geld", betont Picken. "Wir möchten die Menschen anstiften, selbst aktiv zu werden." Rund 1.200 ehrenamtliche Mitarbeiter engagieren sich in der Initiative.
Mehr als 100.000 Stiftungen in Deutschland
Am Stadtrand von Gütersloh residiert in einem lichtdurchfluteten Bau die Bertelsmann Stiftung. Sie gehört mit einem Vermögen von 1,1 Milliarden Euro zu den zehn größten Stiftungen in Deutschland. Wenn die Experten aus Gütersloh ihre Studien über Rückenleiden oder Kinderarmut veröffentlichen, dann ist Aufmerksamkeit quer durch die Republik garantiert: von den Fernsehnachrichten bis zur Tageszeitung.
Zwischen Plittersdorf und Gütersloh, Kirchturm und gläsernem Bürokomplex hat sich eine bunte Stiftungslandschaft etabliert. Allein die Zahl der "rechtsfähigen Stiftungen bürgerlichen Rechts" beziffert der Bundesverband Deutscher Stiftungen auf 21.000. Hinzu kommen mindestens ebenso viele nicht rechtsfähige Treuhandstiftungen und die kirchlichen Stiftungen, deren Gesamtzahl auf rund 100.000 geschätzt wird.
Die Stiftungen tasten in der Regel ihr Vermögen nicht an, sondern setzen lediglich die aus dem Kapital erwirtschafteten Erträge für gemeinnützige Ziele ein. Viele Stiftungen, besonders im kirchlichen Bereich, sind bedeutende Sozialunternehmen, die ihre Arbeit aus ihrer Tätigkeit heraus finanzieren müssen.
Nahezu alle dieser Stiftungen sind als gemeinnützig, mildtätig oder kirchlich anerkannt. Das bedeutet: Sie sind steuerbegünstigt. Im Gegenzug verzichten die Stifter auf einen Zugriff auf das von ihnen eingebrachte Vermögen. Warum? "Weil sie ihr zivilgesellschaftliches Engagement langfristig auf stabile Füße stellen wollen", heißt es beim Bundesverband Deutscher Stiftungen.
Der "reiche Stifter" ist die Ausnahme
Gutes tun - davon lebt die Idee der Stiftung: Fast die Hälfte engagiert sich im sozialen Bereich, es folgen Bildung und Erziehung sowie Kunst und Kultur. Trotzdem gibt es Kritik. "Die Vorstellung, dass wir aus einem Volk der Dichter und Denker zu einem Volk der Stifter und Schenker werden könnten, bereitet mir erhebliche Bauchschmerzen", sagt etwa Politikwissenschaftler Christoph Butterwegge, Bundespräsidentschaftskandidat der Linken. "Ich persönlich möchte nicht, dass reiche Menschen durch den Einsatz ihrer finanziellen Mittel entscheiden, wohin sich die Gesellschaft als Ganzes entwickelt."
Gegen Butterwegges These spricht, dass fast zwei Drittel der Stiftungen ein Vermögen von unter einer Million Euro aufweisen, der "reiche Stifter" also eher die Ausnahme als die Regel ist. Und warum soll die Gesellschaft auf das Geld Vermögender verzichten? "Pharisäerhaft" findet Pfarrer Picken solche Debatten. "Wollen wir uns nur um die kümmern, die wir als bedürftig definieren, und denen, die Geld haben und sich sozial engagieren, sagen: 'Du darfst hier nicht mitmachen'?"
Natürlich sei es besser, wenn sich ein Wohlhabender mit seinem Vermögen für die Gesellschaft engagiere, "als wenn er gar nichts tut", räumt Butterwegge ein. Aber warum müsse dies dann steuerlich begünstigt werden? Ein weiterer Einwand des Wissenschaftlers: mangelnde Transparenz. Gesetzlich ist der Begriff Stiftung nicht definiert, ein zentrales Register gibt es nicht. "Jeder Betreiber einer Würstelbude muss mehr offenlegen als eine Stiftung", heißt es in einem soeben veröffentlichten Papier des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung WZB.
"In der Tat sind Stiftungen - ebenso wie Vereine - gesetzlich nicht verpflichtet, der Öffentlichkeit irgendwelche Auskünfte zu erteilen", sagt Rupert Graf Strachwitz, Direktor des Maecenata Instituts für Philanthropie und Zivilgesellschaft, einer außeruniversitären Forschungseinrichtung in Berlin. Freiwillige Selbstverpflichtungen hätten nichts gebracht, gesetzliche Regelungen seien notwendig.
Nachfrage nach Stiftungen wird steigen
Umstritten ist schließlich, welchen Einfluss große Stiftungen haben. "Natürlich sind sie auch als politische Akteure aktiv", sagt Christina Deckwirth von der Organisation LobbyControl und verweist auf die TTIP-Studien der Bertelsmann Stiftung. Sie stützten letzten Endes die Linie des Bertelsmann-Konzerns, der von dem umstrittenen Freihandelsabkommen zwischen der EU und den USA profitieren würde. Die Stiftung sehe ihre Arbeiten "als einen Beitrag zur demokratischen Debatte", entgegnet Stiftungssprecherin Katrin Wißen. "Dabei handelt es sich um Reformvorschläge und Impulse für Veränderung."
Dessen ungeachtet wird die Nachfrage ansteigen - und die Politik die Errichtung von Stiftungen weiter erleichtern, meint Berthold Theuffel-Werhahn, in Kassel ansässiger Leiter der Stiftungsberatung bei PricewaterhouseCoopers (PwC). Ein Grund: "Die öffentlichen Haushalte werden durch die Initiative Privater entlastet; so können diese ihre dringenderen Aufgaben für das Gemeinwohl besser erfüllen."
Die Kritik an "großen" Stiftungen und fehlender Transparenz teilt Theuffel-Werhahn in dieser Form nicht: "Stiftungen werden in regelmäßigen Abständen von der Finanzverwaltung daraufhin überprüft, ob sie ihre steuerbegünstigten, satzungsgemäßen Zwecke tatsächlich erfüllen. Auch die Stiftungsaufsicht wacht unabhängig darüber."
Aus den Negativbeispielen vergangener Jahre habe man im Stiftungssektor viel gelernt, sowohl im Hinblick auf die eigene Governance, aber auch im Sinne einer deutlich größeren Transparenz. Diese sei aber kein Selbstzweck "und sollte es auch nie sein", so Theuffel-Werhahn. "Ebenso wenig gibt es Anlass, Stiftungen oder Stifter dann von Steuerbefreiungen auszuschließen, wenn sie - freiwillig! - mehr spenden, als andere es tun."