Ist Sinterklaas ein Rassist?
Alle Jahre wieder flammt die Piet-Debatte auf. Doch nie war sie so heftig wie jetzt. "Hände weg von unserem Piet", wüten über 90 Prozent der Niederländer. Fast zwei Millionen unterzeichneten bisher die "Pietitie" auf Facebook. Am Samstag wollen sie sogar demonstrieren. Die 16-jährige Mandy Roos aus Den Haag rief zur Demo gegen die UN auf. "Das ist unsere niederländische Tradition, und davon müssen sie ihre Finger lassen."
Das Sinterklaas-Fest ist einzigartig in der Welt und ein unschuldiges Kinderfest - so sehen es die Niederländer. Wer kann eigentlich dagegen sein? Auch nicht die UN-Expertin, wenn sie es selbst miterlebt, meint die Stadt Groningen und lud Shepherd am Donnerstag ganz offiziell zur Ankunft des Nikolauses ein. So soll das niederländische Nikolausfest in diesem Jahr unter Beobachtung der Vereinten Nationen beginnen.
Nikolaus kommt mit dem Schiff
Nach der Legende kommt der weiße Bischof immer Mitte November mit einem Dampfschiff aus Spanien in den Niederlanden an. Der gütige Mann mit langem Bart und rotem Mantel reitet auf seinem Schimmel durchs Land, begleitet von einer Schar schwarzer Helfer.
Die Zwarte Pieten tragen Pumphosen, bunte Jacken und Pagenkappen mit Feder auf dem Kopf. Sie sind immer zu Späßen aufgelegt, streuen Pfeffernüsse und - nicht ganz unwichtig - sie bringen den Kindern am Abend des 5. Dezember die Geschenke.
Nur sind die Pieten eben schwarz. Doch die Farbe, so sagen fast alle der 17 Millionen Piet-Experten im Lande, komme vom Ruß der Schornsteine. Durch die klettern die Pieten der Legende nach in die Wohnungen, um die Päckchen abzuliefern.
Das ist hübsch, kann die Vorwürfe aber nicht ganz entkräften. Denn schließlich singt das Land auch ab Mitte November vollmundig Nikolauslieder mit Texten wie "Auch wenn du schwarz bis wie Ruß, du meinst es nur gut." Und das Pagenkostüm erinnert an die Kleidung, mit denen reiche holländische Kaufleute ihre schwarzen Sklaven im 17. Jahrhundert ausstaffierten, die sie sich wie ein dekoratives Accessoire hielten.
"Das Fest ist eine Rückkehr zur Sklaverei", kritisierte die UN-Expertin. Auch viele schwarze Niederländer aus den früheren Kolonien Surinam und den Antillen klagen. "Er ist ein koloniales Relikt", sagt der Amsterdamer Künstler Quinsy Gario; er reichte Klage beim Europäischen Menschenrechtsgerichtshof ein. Schwarze würden als dumm, lustig und vor allem als Knechte dargestellt. "Das verletzt viele", sagt Gario.
Für viele Schwarze ist der Kinderfreund das Symbol für die alltägliche Diskriminierung auf dem Arbeitsmarkt, bei der Polizei bis hin zu den Diskotheken. "In den Niederlanden wird die Stimme der Schwarzen nicht gehört," sagt Gario.
Hetze von rechts
Einige Stimmen in der derzeitigen Volkswut geben ihm Recht. "Geht doch zurück in dein eigenes Land, Neger", twitterten Sinterklaas-Fans. Ein Verein, der für arme Kinder ein Nikolausfest organisieren und fünf der 20 Pieten bunt anmalen wollte, erhielt Dutzende von Todesdrohungen. Erschrocken wurde die Idee zurück gezogen.
Nun versuchen Historiker, Nikolausvereine und Kommentatoren, die Gemüter zu beruhigen. "Die Tradition war nie in Beton gegossen", mahnt etwa die Tageszeitung "De Volkskrant".
Seit dem Mittelalter hat sich das Fest verändert. Wie der deutsche Kollege seinen Knecht Ruprecht hatte auch der holländische Nikolaus einst einen düsteren Gehilfen mit Rute und Sack. Erst rund 1850 machte der Schulmeister Jan Schenkemann daraus den fröhlichen Mohren.
Inzwischen ist der "Sint" auch Medienstar. Seine Ankunft wird live im Fernsehen übertragen, und natürlich hat er eine eigene tägliche TV-Show, das "Sinterklaasjournaal".
Daran soll sich auch in diesem Jahr nichts ändern. "Zwarte Piet ist nun einmal schwarz", sagte Ministerpräsident Mark Rutte. Nur einer hat sich noch nicht eingemischt. Der Chef der Pieten, Sinterklaas, hat zu tun. Er bereitet sich auf seine große Reise vor. Am 16. November soll sein Boot in Groningen anlegen.
Von Annette Birschel (dpa)