COMECE-Präsident Erzbischof Hollerich zur Lage in Europa

"Katholiken haben das Recht, konservativ zu sein"

Veröffentlicht am 14.06.2018 um 00:01 Uhr – Lesedauer: 
Europa

Luxemburg/Brüssel ‐ Rechtsruck in Italien, offene Migrationsfragen, Europawahlen in 2019: Die EU steht vor großen Herausforderungen. Über die spricht der Präsident der EU-Bischofskommission, Jean-Claude Hollerich, im Interview.

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Frage: Herr Erzbischof, ist die EU bei der Reform des Gemeinsamen Asylsystems in eine Sackgasse geraten?

Hollerich: Es darf nicht sein, dass Italien und Griechenland mit einer großen Anzahl von Flüchtlingen allein gelassen werden. Gleichzeitig wollen sich einige Länder aus Mittel- und Osteuropa aufgrund ihrer Geschichte nichts aufdrängen lassen, etwa, wenn es um die Umverteilung von Flüchtlingen geht. Hier wäre es wichtig, mehr miteinander zu reden, ohne den anderen zu verurteilen. Europa war immer ein Resultat von Kompromissen. Wenn man diesen Weg verlässt, dann wird die europäische Idee sehr geschwächt.

Frage: Was raten Sie den EU-Staaten in dieser Situation?

Hollerich: Die Flüchtlingsfrage muss anders gestellt werden: Was können wir tun, damit keine Flüchtlinge mehr kommen? Die Leute haben ein Recht auf ein menschenwürdiges Leben in ihrer Heimat. Natürlich muss man Menschen aufnehmen, die in Not sind. Aber die Frage ist, wer Schutz braucht, und wer nicht. Es ist klar, dass die Außengrenzen gesichert werden müssen, aber wie? Es muss mit Respekt für die Menschenwürde geschehen.

Frage: Wie kann sich die Kirche einbringen?

Hollerich: Auch wir müssen diskutieren. Die COMECE, in der die Bischofskonferenzen aller EU-Mitgliedstaaten vertreten sind, ist ein Ort des Dialogs, wo wir aufeinander hören und Argumente austauschen. Wir müssen dieselbe Arbeit machen wie die Minister der EU-Staaten. Ich möchte im kommenden Jahr die verschiedenen Bischofskonferenz-Vorsitzenden besuchen und diesen Dialog pflegen. Sicherlich werde ich auch nach Polen und Ungarn fahren, denn ich schätze diese Bischöfe sehr.

Bild: ©Erzbistum Luxemburg

Jean-Claude Hollerich ist seit 2011 Erzbischof von Luxemburg und seit 2018 Vorsitzender der EU-Bischofskommission COMECE.

Frage: Österreich übernimmt am 1. Juli die EU-Ratspräsidentschaft. Was erwarten Sie?

Hollerich: Österreich hat aufgrund seiner Geschichte eine besondere Beziehung zum Westbalkan. Nach einigen Jahren ohne eine Erweiterung der EU muss man klare Anreize und Beitrittsperspektiven geben, um die Stabilität zu sichern. Ich habe manchmal den Eindruck, dass die erreichte Stabilität leicht wieder zerbrechen kann. Man braucht eine politische und wirtschaftliche Entwicklung. Die Kirchen mit ihren Erfahrungen auf dem Westbalkan können zu diesem Dialog zwischen den Ländern und der EU sicher einen Beitrag leisten.

Frage: Der Ton zwischen den USA und der EU wird immer rauer. Welche Rolle spielt die EU auf dem diplomatischen Parkett der Welt?

Hollerich: Wenn die EU wie ein Staat in einem Machtgefüge agiert, wird sie der europäischen Idee nicht mehr gerecht. Sie muss Anreize für Frieden und Wohlstand schaffen. Besonders für den Frieden in Syrien und im Nahen Osten müssen wir uns mehr engagieren. Die EU muss zu einem Initiator für Frieden in der Welt werden. Ich glaube, die Welt ist sicherer mit der EU als ohne die EU in Zeiten, in denen die anderen Mitspieler auf dem internationalen Parkett USA, Russland und China heißen. Überall in der Welt hat sich das politische Klima verändert.

Frage: Was bedeutet das für Europa?

Hollerich: Wenn die Menschen keine Perspektiven mehr sehen, wenden sie sich ab von altvertrauten Parteien und auch von der EU. Wir müssen die Menschen verstehen. Wir müssen auch verstehen, dass es einen Rechtsruck in Europa gibt. Einige Menschen, darunter auch Katholiken, können sich mit einem sehr liberalen Staat nicht identifizieren. Man braucht Parteien, die konservativ sind, ohne populistisch zu sein. Sie müssen Menschen im demokratischen Wandel eine Heimat geben. Als Katholik hat man ein Recht darauf, auch konservativ zu sein, solange das Evangelium im Blickfeld bleibt.

Als Bischof treffe ich manchmal Leute, die sich in einen Zorn oder in eine Enttäuschung hineinsteigern, weil ihre Meinungen tabuisiert werden. Sie haben zum Beispiel das Gefühl nicht mehr sagen zu dürfen, dass sie gegen die gleichgeschlechtliche Ehe sind. Die Leute fühlen sich dann nicht ernst genommen. Da brauchen wir Debatten und Dialog, damit die Leute sich nicht ausgegrenzt fühlen und am Ende rechtspopulistische Parteien wählen.

Von Franziska Broich (KNA)