Journalistin Livia Leykauf über die Lage syrischer Flüchtlinge

Kaum Hoffnung auf Rückkehr

Veröffentlicht am 24.03.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Flüchtlinge

Amman/Jerusalem ‐ Angesichts anhaltender Gewalt in Syrien und andauernder Flüchtlingsströme bedarf es massiver finanzieller Unterstützung aus dem Westen, sagt Livia Leykauf. Die Journalistin und frühere Medienkoordinatorin von Caritas Schweiz hat Caritas-Projekte in Amman und Nord-Jordanien besucht. Im Interview beschreibt sie die sich zuspitzende Lage der syrischen Flüchtlinge in Jordanien.

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Frage: Frau Leykauf, der blutige Bürgerkrieg in Syrien ist in diesen Tagen anlässlich des dritten Jahrestags seines Beginns besonders präsent. Welche Rolle spielt er für die Flüchtlinge?

Leykauf: Die Daten, mit denen wir uns die Syrienkrise vergegenwärtigen, spielen für die syrischen Flüchtlinge keine Rolle. Vielmehr hat jede Familie ihre eigenen Jahrestage: der Tag, an dem ein Familienmitglied erschossen wurde, der Tag, an dem das Haus zerbombt wurde, der Tag der Flucht. Unabhängig von der faktischen Dauer des Kriegs herrscht überall die Überzeugung, dass er zu lange andauert. Insbesondere bei älteren Menschen herrscht eine geradezu existenzielle Verzweiflung, weil sie ihr gewohntes Leben nicht weiterführen können, sondern über Jahre in der Unsicherheit sind.

Frage: Glauben die Menschen noch an eine baldige Rückkehr in ihre syrische Heimat?

Leykauf: Auf diese Frage erntet man nur noch ein Schulterzucken. Der Glaube an eine baldige Rückkehr scheint inzwischen verloren. Im Vordergrund steht der Kampf um das tägliche Überleben, da bleibt nicht viel Raum für Hoffnung auf Rückkehr.

Frage: Die Mehrheit der Flüchtlinge lebt außerhalb der offiziellen Flüchtlingslager. Wie sieht die durchschnittliche Wohnsituation dieser Menschen aus?

Leykauf: Die Menschen kommen mit dem, was sie am Leib haben. Das heißt, eine ganze Familie kann ihren Besitz an einer Kleiderstange aufhängen. Im "guten" Fall leben sechs Personen auf zwölf Quadratmetern. Sie besitzen Matratzen und ein kleines Öfchen für einen Topf. Es gibt nur Kaltwasser und keine Duschen; von Spielzeug für die Kinder ganz zu schweigen. Im krasseren Fall lebt eine zwölfköpfige Familie im Zelt abseits der Zivilisation. Es herrschen rudimentärste Verhältnisse. Schimmel, Feuchtigkeit und Ungeziefer stellen eine Gefahr für die Gesundheit dar. Viele Kinder sind krank.

Bild: ©KNA

Livia Leykauf ist Journalistin und frühere Medienkoordinatorin der Schweizer Caritas.

Frage: Wie wird diesen Menschen geholfen?

Leykauf: Es fehlt an allem. In den Nächten gehen die Temperaturen immer noch auf bis zu zwei Grad zurück. Die Unterkünfte haben zum Teil kein Dach, es gibt keine Heizungen und nicht ausreichend Decken. Es fehlt das Geld für Lebensmittel. Die Caritas schaut bei ihrer Hilfe auf die konkrete Wohnsituation der Menschen, versucht etwa, mit kleinen baulichen Veränderungen die Wohnungen bewohnbarer zu machen, verteilt Decken, Heizkörper und Lebensmittelgutscheine. Ein weiteres großes Problem ist, dass die Flüchtlinge nicht arbeiten dürfen. Dadurch geraten sie mit der Miete in Verzug und drohen ihre Unterkunft zu verlieren.

Frage: Häusliche Gewalt ist ein weiteres Thema ?

Leykauf: Syrische Männer sind es gewohnt, für den Unterhalt ihrer Familie verantwortlich zu sein. Jetzt dürfen sie nicht arbeiten, und die Familien sitzen den ganzen Tag zu Hause, ohne Geld. Mit dieser Situation können viele nicht umgehen. Die Psychologen der Caritas haben immer wieder mit Fällen zu tun, in denen liebende Ehemänner und Familienväter plötzlich zur Gewalt greifen. Im Gespräch suchen sie nach Hilfestellungen.

Frage: Spielt die Kirche eine besondere Rolle in der Flüchtlingshilfe?

Leykauf: Die Kirche ist da, wo sie gebraucht wird und hilft jenen, die es brauchen. Von christlicher Seite ist ein intensives freiwilliges Engagement vorhanden. Die Religionszugehörigkeit ist kein Thema in der Flüchtlingshilfe . Auch viele Syrer betonen das gute Miteinander von Christen und Muslimen.

Frage: Sie waren zuletzt vor anderthalb Jahren in Jordanien. Wie hat sich die Lage seither verändert?

Leykauf: Die Situation hat sich zugespitzt, nicht zuletzt, was die Aufnahmefreude der Jordanier angeht. Nordjordanien ist seit jeher die ärmste Region des Landes. Jetzt kommen Zehntausende Flüchtlinge hinzu. Die Krankenhäuser sind überfüllt, der Wohnraum wird knapp. Die Flüchtlinge bekommen zu spüren, dass sie nicht willkommen sind. Das macht es für sie zusätzlich schwierig, in Jordanien sein zu müssen. Insgesamt ist die Atmosphäre resignierter geworden. Insbesondere die Kinder fühlen sich angefeindet und haben Angst, in die Schule zu gehen.

Frage: Sehen Sie persönlich einen Ansatz zur Lösung der Krise oder zumindest der Besserung der Lage?

Leykauf: Es müsste enorm viel Geld aufgewendet werden , um die Situation der Flüchtlinge, aber auch der ärmsten Jordanier zu verbessern und so der Situation die Explosivität zu nehmen. So würde nicht der Eindruck entstehen, dass nur den Syrern allein geholfen wird. Die Bewältigung dieser Krise darf nicht allein auf Jordanien abgeschoben werden, sondern da müssen wir helfen. Und, was ich von so vielen Flüchtlingen als Bitte gehört habe: Belasst es nicht bei der Hilfe, sondern setzt Euch für ein Ende des Kriegs ein.

Das Interview führte Andrea Krogmann (KNA)