"Keine allzu fromme Verkündigung"
Das war 2008. Bis heute hat Esser nicht nur sein Versprechen eingelöst, den Artikel über Ersdorf angelegt und kontinuierlich erweitert. Außerdem hat er etwa 100 weitere Artikel der Online-Enzyklopädie beigesteuert - nebst rund 28.000 Bearbeitungen an anderen Einträgen. "Darunter fällt alles", sagt er, "auch einfache Kommakorrekturen."
Seine Begeisterung für das Mitmach-Nachschlagewerk hat nicht nachgelassen. Jeden Tag setzt er sich an seinen Computer und loggt sich bei Wikipedia ein. "Ich schaue dann immer, was passiert ist, wo es noch was zu tun gibt." Und die Liste ist lang, denn Esser hat ein breites Themenspektrum: Natürlich interessieren ihn kirchliche Themen, Liturgie und Orden etwa, oder katholische Persönlichkeiten. Aber ebenso schreibt er über Weltliches wie Stolpersteine in Berlin, Eisenbahn und Verkehr oder Städte und Orte.
Viele Einträge über Kirchen
Besonders am Herzen liegen ihm allerdings Einträge über Kirchen: "Viele, die schon eingestellt sind, behandeln nur Baugeschichte, Architektur, Glocken und vielleicht noch die Orgel. Da füge ich dann etwas zur Pfarrgemeinde hinzu." Die selbst seien nämlich bei Wikipedia nicht "lemmawürdig". Das bedeutet, dass sie nach Ansicht der Wikipedianer keinen eigenständigen Eintrag verdienen. Franz-Josef Esser stört das nicht. "Ich bin zufrieden, dass viele katholische Themen lemmawürdig sind, aber ich muss auch akzeptieren, dass es manchmal andere Ansichten gibt."
Das mit den anderen Ansichten, daran hat Franz-Josef Esser sich gewöhnt, und auch, dass der Umgangston auf den Diskussionsseiten sehr rau sein kann. "Im Bereich Politik geht es zum Beispiel heiß zu", meint er. "Manche Kommentare lesen sich so, dass man denkt, der Schreiber sei ein armes Würstchen, das sich laut äußern müsse." Aber im Bereich Theologie und Glaube sei es nicht so wild. Und sowieso: "Mittlerweile halte ich mich aus den Streitereien raus und schreibe lieber in meinen Nischen weiter."
Er setzt auf Kooperation: "Bei theologischen Themen frage ich die evangelischen Kollegen manchmal, ob das, was ich geschrieben habe, auch für sie stimmt." Persönlich kennt er nur die wenigsten Mitschreiber, die meisten arbeiten unter Pseudonymen und wollen anonym bleiben. Esser selbst hat sich den Nutzernamen "Der wahre Jakob" ausgesucht - aus mehreren Gründen: Auf Jakob kam er durch die Ersdorfer Pfarrkirche, die den Heiligen Jakobus den Älteren als Patron hat. "Man sagt ja als Redewendung "Das ist nicht der wahre Jakob. Das fand ich gut." Er schmunzelt.
"Abendmahl" als virtuelle Ökumene
Aber auch, wenn die Autoren Pseudonyme nutzen, dürfen sie nur aus anerkannten Informationsquellen zitieren, so sind die Regeln. Esser leiht sich dafür gerne Fachbücher aus der Pfarrei oder verschiedenen Bibliotheken aus. "Oder ich schaue in das Lexikon für Theologie und Kirche", sagt er und schmunzelt wieder. "Die Anschaffung meines Lebens." Positive Rückmeldungen hat er für seine Mitarbeit schon bekommen: Sein Eintrag über die Berliner Kirche Maria Regina Martyrum ist von der Wikipedia-Community als "lesenswert" ausgezeichnet worden.
Doch es ist etwas anderes, das ihn strahlen lässt. Vor etwa fünf Jahren entdeckte Esser, dass die Theologie der Eucharistie unter dem Begriff "Abendmahl" zu finden war - eine evangelische Bezeichnung. Außerdem fehlten die differenzierte Darstellung und andere Glaubensauffassungen. "Ich hab dann mit Fachkollegen diskutiert, wie man das lösen kann." Mit Erfolg: Wer nun bei Wikipedia "Abendmahl" nachschlägt, kommt auf eine Seite zur Begriffsklärung. Dort findet sich unter anderem der Eintrag "Eucharistie", in dem auch die Ansichten der verschiedenen Glaubenslehren aufgeführt sind. Glücklich ist er nicht nur, weil der Artikel geordnet wurde und nun eine "gewisse Vollständigkeit", wie er sagt, erreicht hat, sondern vor allem über die Zusammenarbeit mit anderen Autoren: "Wir haben es geschafft, das einvernehmlich hinzukriegen. Das ist eine Art virtuelle Ökumene."
„Ich will dokumentieren, dass das Christentum nicht nur aus Brauchtum und Architektur besteht.“
Das Schreiben begleitet ihn überall, lässt ihn nicht los. "Im Urlaub frage ich mich bei jeder Kirche, ob sie schon drin ist." Wenn nicht: "Dann mache ich ein paar Fotos, gucke, ob ich eine Festschrift der Kirche bekommen kann, und dann stelle ich einen Artikel über sie ein." Seine Familie sei manchmal schon genervt von seinem Engagement. Doch das Schreiben für Wikipedia ist nur eines seiner Steckenpferde: Er hat Lehraufträge an der katholischen Hochschule für Sozialwesen in Berlin, spielt Orgel und ist im Kirchenvorstand.
Eine Art Online-Verkündigung
Und Wikipedia kann warten, denn so richtig fertig werde man dort nie. Positiv, wie Esser findet: "Man muss nicht, wie bei einem Buch, erst alle Kapitel fertig haben, man kann es sofort veröffentlichen." Anregungen für neue Einträge findet Esser überall, vieles auch aus seinem bisherigen Leben. Seine Artikel und Listen zum Thema Franziskanerorden zum Beispiel: "Ich war während meines Studiums für vier Jahre bei den Franziskanern." Er meint: "Ich brauche nicht die großen Projekte, ich bin auch nicht der Fließbandautor."
Manchmal sind es aktuelle Anlässe, die ihn zu Tastatur und Maus greifen lassen. "Als Heiner Koch zum Erzbischof von Berlin ernannt wurde, saß ich vor dem Fernseher und habe die Live-Übertragung gesehen. Da habe ich nur auf den bestätigenden Satz gewartet, um ganz schnell im Wikipedia-Artikel zu ergänzen, dass er jetzt Erzbischof ist." Er lacht. Beim Eintrag über Weihnachten fehlte hingegen etwas Wesentliches: Esser fügte unter anderem den Abschnitt über die biblischen Grundlagen hinzu. "Ich will dokumentieren, dass das Christentum nicht nur aus Brauchtum und Architektur besteht", meint er. Ja, so gesehen sei das Schreiben bei Wikipedia auch eine Art Verkündigung, "wenn auch keine allzu fromme". Sein Antrieb? "Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt", zitiert er den Apostel Petrus (1 Petrus 3,15).