Keine Spur von Weihnachten im Krieg
Weihnachten in Aleppo? Das klingt wie ein zynischer Widerspruch. Wie könnte man in der vom Bürgerkrieg zerstörten syrischen Stadt, in der das Grauen alltäglich geworden ist, eine besinnliche Zeit haben? Franziskanerpater Firas Lutfi (41) harrt mit drei weiteren Ordensbrüdern in Aleppo aus, um die Menschen mit Wasser und Nahrungsmitteln zu versorgen. Im Telefon-Interview spricht er über die Situation vor Ort.
Frage: Pater Lutfi, während weltweit der Beginn der Vorweihnachtszeit gefeiert wird, geht es für die Menschen in Aleppo ums nackte Überleben. Was empfinden Sie bei diesem Widerspruch?
Lutfi: Wir haben bislang unter Bomben gelebt - aber wir sind voller Hoffnung, dass sich dieses Weihnachten etwas ändern wird. Wir hoffen, dass an diesem Christfest alle Konflikte um Aleppo endgültig ein Ende haben und sich der Friede auf ganz Syrien ausweitet. Das hieße dann, dass es wirklich Weihnachten wird. Aber im Moment, da ich mit Ihnen spreche, sind wir noch mitten im Krieg. Ich höre gerade Bombeneinschläge. Und jeden Tag gibt es dieses Leiden der Menschen hier. Die Liebe und Menschlichkeit kommt zu kurz, täglich.
Frage: Gibt es in Aleppo irgendwelche äußeren Symbole, die auf Weihnachten hindeuten: Kerzen, Adventskränze, Christbäume, Lichterschmuck?
Lutfi: Nein, wir können hier keine Weihnachtsbäume aufstellen, wir haben einfach keine. Wir haben oft nicht mal Elektrizität, um etwas zu beleuchten. Unser Advent und unser Weihnachten ist ziemlich ähnlich dem ersten Weihnachten in Bethlehem vor 2.000 Jahren: Weihnachten in ärmlichen und spärlichen Verhältnissen. Wir haben nur die Liebe Gottes, seine Gegenwart und seine Gnade.
Frage: Sie befinden sich im Franziskanerkloster St. Anthony of Padua, in das täglich Dutzende Menschen kommen. Wie bereiten sich die Ordensbrüder auf Weihnachten vor?
Lutfi: Wir haben zwei Messen, eine morgens und eine nachmittags. An Sonntagen haben wir eine Messe für Kinder, die wir "Frieden für die Kinder" nennen. Die Kinder versuchen, für Frieden zu beten - denn wir Erwachsenen haben es nicht geschafft, Frieden zu erreichen. Seit mehr als fünf Jahren versuchen wir, einen Friedensprozess in Gang zu bringen. Die Kinder müssen uns das lehren.
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Der Franziskaner Firas Lutfi (r.) sieht sich mit einem Ordensbruder das Ausmaß der Zerstörung im syrischen Aleppo an.
Frage: Unterscheidet sich das diesjährige Weihnachten in Aleppo vom Weihnachten 2015?
Lutfi: Es gibt hier viel weniger Christen als im vergangenen Jahr. Von den 150.000 Christen, die vor dem Krieg in Aleppo lebten, sind jetzt nur noch 30.000 hier. Jedes Jahr, in dem man den Krieg nicht stoppen kann, ist schlimmer als das vorige, denn die Probleme nehmen zu. Jeder Tag Krieg, das bringt mehr soziale und wirtschaftliche Schwierigkeiten für die Menschen.
Frage: Was haben Sie für den Weihnachtstag geplant?
Lutfi: Vergangenes Jahr gab es eine Weihnachtsfeier abends um 22.00 Uhr in unserer Kirche Sankt Franziskus - und eine Stunde vorher gingen nahe der Kirche Bomben nieder. Ich dachte damals, da wird niemand zur Messe kommen. Aber zehn Minuten später war die Kirche voller Menschen, darunter viele Kinder. Das war wie ein großes Geschenk Jesu. In diesem Jahr wird es nach der Weihnachtsfeier um 22.00 Uhr ein kleines Fest geben, wo wir auch Geschenke verteilen, die von unseren Spendern stammen.
Frage: Was wird das sein?
Lutfi: Sachen, um über den Winter zu kommen. Jacken zum Beispiel. Der Winter ist sehr kalt in Aleppo.
Frage: Und bekommen die Kinder auch Geschenke?
Lutfi: Etwas Süßes, Schokolade zum Beispiel.
Frage: Verändert sich die Bedeutung von Weihnachten, wenn man im Krieg lebt?
Lutfi: Ja. Wir hoffen darauf, dass Gott das Wunder wirken kann, den Krieg in Aleppo zu beenden. Wir wissen nicht, wie das geht, aber wir vertrauen darauf. Wir trauen Gott, weil er schon einmal in den Lauf der Geschichte eingegriffen hat. Als Christus auf unsere Erde kam und das erlitt, was Menschen erleiden, veränderte er das Schicksal der ganzen Menschheit.