Kirche, Wirtschaft und Politik kritisieren das "Social Freezing"

Kinderwunsch auf Eis?

Veröffentlicht am 17.10.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Bioethik

Bonn ‐ Seit Tagen ist das "Social Freezing" Thema: US-amerikanische Großkonzerne wie Facebook und Apple wollen für das Einfrieren von Eizellen ihrer Mitarbeiterinnen bezahlen. In Deutschland werden Eizellen meist aus medizinischen Gründen so haltbar gemacht, aber die Zahl der Frauen, die ihren Kinderwunsch aufschieben um Karriere zu machen, steigt auch hier. Kritik an dem Verfahren gibt es von allen Seiten.

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Anton Losinger, Augsburger Weihbischof und Mitglied im Deutschen Ethikrat, kritisierte, dass solche Maßnahmen lediglich dem Ziel einer "arbeitsmarkttechnischen und ökonomischen Maximierung der Gewinne" dienten. Risiken und medizinische Belastungen würden auf dem Rücken junger Frauen ausgetragen, sagte er im Gespräch mit katholisch.de.

Sozial- und familienpolitische Maßnahmen sollten jungen Frauen einen Zeitpunkt zur Familiengründung ermöglichen, "an dem die Natur das auch vorgesehen hat", so Losinger, der auch Mitglied der Unterkommission Bioethik der Deutschen Bischofskonferenz ist. Dies müsse eine "Gesellschaft und Sozialpolitik mit humanem Antlitz", leisten können. Losinger betonte, nicht nur aus kirchlicher Perspektive heraus zu argumentieren, sondern auch aus ethischer und sozialethischer Sicht.

Bild: ©KNA

Der Augsburger Weihbischof Anton Losinger ist Mitglied des Deutschen Ethikrates und in der Deutschen Bischofskonferenz für ethische Grundfragen zuständig.

Jüsten: Konsequenzen künstlicher Befruchtung

Die diskutierten Optionen belegten einmal mehr, zu welchen Konsequenzen die von der katholischen Kirche abgelehnte künstliche Befruchtung führen könne, sagte der Leiter des Kommissariats der katholischen Bischöfe, Karl Jüsten. Es gehe nicht an, dass die Kinderwunschfrage von Frauen der ökonomischen Optimierung von Unternehmen untergeordnet werde. Es müssten andere Wege zur Vereinbarkeit von Familie und Beruf gefunden werden.

Dass Embryonen und befruchtete Eizellen für Fortpflanzungszwecke eingefroren werden, ist nicht neu. Doch erst seit wenigen Jahren ermöglichen neue Techniken, dass sich auch sehr empfindliche unbefruchtete Eizellen nach dem Auftauen entwickeln können. Vor allem in den USA spielen soziale Gründe für den Wunsch nach einer späten Schwangerschaft eine immer größere Rolle. Medienberichten zufolge wollen Facebook und Apple bis zu 20.000 Dollar (15.800 Euro) der Kosten für Entnahme und Aufbewahrung übernehmen.

Von Möglichkeit für Krebspatientinnen zur Option für Karrierefrauen

In Deutschland ist die Technik, anders als in Österreich, laut einem Fachartikel von "Pro Familia Medizin" rechtlich erlaubt. Ursprünglich war die Eizell-Konservierung für junge Krebspatientinnen gedacht: Sie können sich vor Chemotherapie und Bestrahlung Eizellen entnehmen lassen, um später genetische Schäden beim Kind auszuschließen. Experten des Kinderwunsch-Netzwerks "Fertiprotekt" schätzen, dass 2013 mehr als 1.000 Frauen in Deutschland Eizellen einfrieren ließen - drei Viertel von ihnen hatten medizinische Gründe. In diesem Jahr wird die Zahl der Fälle mit sozialem Hintergrund den Schätzungen zufolge auf 500 bis 1.000 steigen.

Diesen "sozialen" Grund kritisiert auch der Arbeitsmarkt-Vorstand der Bundesagentur für Arbeit, Heinrich Alt, als eine Horrorvorstellung: "Kinderkriegen den Konjunkturzyklen zu unterwerfen, halte ich für abenteuerlich", sagte er. "Wir sollten nicht alle Lebensbereiche durchplanen, sondern manches auch Gott und dem Zufall überlassen", so Alt. Auch der Verband deutscher Unternehmerinnen (VdU) hält die Idee für keine sinnvolle Maßnahme. "Unsere Unternehmerinnen sind sicherlich nicht der Auffassung, dass sich mit der medizinischen Reproduktionsmöglichkeit die Probleme bei Vereinbarkeit von Beruf und Familie lösen lassen", sagte Geschäftsführerin Claudia Große-Leege. Stattdessen müsse die Kinderbetreuung besser unterstützt werden.

"Arbeitgeberfreundlich-hartes Modell"

Ein Kind in der Kita spielt mit Bauklötzen.
Bild: ©Daniel Fuhr/Fotolia.com

Ein Kind in der Kita spielt mit Bauklötzen.

Die Kritiker befürchten negative Folgen und eine Vertagung des Problems. "Wenn Frauen dann später mit Anfang 40 Kinder bekommen, dann machen sie immer noch Karriere und müssen den Beruf mit der Familie unter einen Hut bekommen", betonte VdU-Chefin Große-Leege. Jutta Allmendinger, die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, sprach von einem "arbeitgeberfreundlich-hartem Modell". Die Frauen würden "bis 50 so richtig ausgepowert" und bekämen dann ihre eingefrorenen Eizellen zurück. Das komme einem vorgezogenen Ruhestand gleich, "nur dass der Ruhestand jetzt die Familienbildung ist", erklärte Allmendinger und warnte vor den negativen demographischen Folgen. Sie befürworte vielmehr Überlegungen, wie man über einen ganzen Lebensverlauf hinweg Arbeit und Familie anders arrangieren könne.

Auch familienpolitische Sprecher der Parteien im Bundestag äußern ethische Bedenken. Marcus Weinberg von der Unionsfraktion bezeichnete das "Social Freezing" als "unmoralisch". Es sei gesellschaftspolitisch ein fatales Zeichen, familienpolitisch sei es untragbar. Als "sehr schräg" bezeichnete die frauenpolitische Sprecherin der Grünen-Fraktion, Ulle Schauws, das Angebot. Die Methode sei zudem noch lange nicht ausgereift. Sören Rix von der SPD-Fraktion merkte an, der Gedanke der Partnerschaftlichkeit werde bei dem Angebot außer Acht gelassen.

Der Deutsche Ethikrat hat sich im Frühjahr dagegen ausgesprochen, das langfristige Einfrieren eigener Eizellen nur als Lifestyle-Angebot zu stigmatisieren und fordert eine gute Beratung für einen verantwortungsvollen Einsatz. Ethikrat-Mitglied Losinger kritisierte daher vor allem eine "Priorität der Ökonomie vor allen anderen Lebensbereichen". Mit Bezug auf die Sozialenzyklika "Rerum Novarum" von Papst Leo XIII. betonte er, dass der Mensch im Mittelpunkt stehen müsse und er sich nicht umgekehrt den Bedingungen der Wirtschaft unterordnen solle. Und Losinger fragt: "Wo wird diese Form der Instrumentalisierung von Menschen – selbst in den wesentlichsten Bereichen wie der Familienplanung - zugunsten ökonomischer Nutzenmaximierung enden?" (mit Material von KNA und dpa)

Von Agathe Lukassek