Thomas Bremer über mögliche Folgen des Krim-Referendums

Kirchen im Nationenkonflikt

Veröffentlicht am 14.03.2014 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Viele Menschen schwenken große ukrainische und EU-Flaggen in einer kalten Nacht in Kiew.
Bild: © KNA
Ukraine

Bonn ‐ Am Sonntag entscheiden die Bewohner der Krim, ob die Halbinsel in Zukunft zur russischen Föderation gehören soll oder weiter zur Ukraine. Welche Folgen eine Unabhängigkeit der Krim haben könnte und welche Rolle die Kirchen in Russland und der Ukraine spielen, erläutert der Friedensforscher und Ökumeneexperte Professor Thomas Bremer im Interview mit katholisch.de.

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Frage: Herr Bremer, momentan sieht es danach aus, dass die Halbinsel Krim bald zur russischen Föderation gehören könnte. Wie schätzen Sie diese Situation ein?

Bremer: Ob die Krim bald zu Russland gehören wird, ist gar nicht so sicher. Was wir wissen, ist, dass die lokale Regierung beabsichtigt am Sonntag das Referendum abzuhalten. Es kann sein, dass man versuchen wird, die Krim in die russische Föderation einzugliedern. Es kann aber auch sein, was ich momentan eher vermuten würde, dass es eine ungeklärte Situation bleibt, ein sogenannter „Frozen Conflict“. Das wäre eine Situation, in der Russland faktisch die Kontrolle über die Krim ausübt und die ukrainische Regierung keinen Zutritt zur Krim hat.

Frage: Ist das Referendum denn selbst einwandfrei?

Bremer: Ich bin zwar kein Jurist, aber das Referendum scheint rechtlich problematisch zu sein. Soweit ich das verstehe, ist die ganze Situation rechtlich sehr schwer einzuschätzen, da die Absetzung von Janukowitsch formal auch nicht rechtens gewesen ist. Man kann das nur mit einer revolutionären Situation begründen. Man sollte – und das scheint ja die neue Regierung in Kiew vorzuhaben – das Ganze sobald wie möglich durch Wahlen legitimieren.

Frage: Unabhängig vom Ergebnis des Referendums - wie groß schätzen Sie die Gefahr ein, dass es zu bürgerkriegsähnlichen Zuständen kommen kann?

Bremer: Abgesehen von bereits bestehen Diskriminierungen und kleineren Zusammenstößen auf der Krim oder im östlichen Teil der Ukraine, halte ich die Gefahr momentan noch für gering. Auf der Krim ist es ja gerade so, dass die ukrainische Regierung keinen Zugriff auf dieses Gebiet hat. Die Situation im Osten der Ukraine ist nach meinem Empfinden ganz anders, weil die Bevölkerung im Osten der Ukraine dort nicht so einheitlich pro-russisch agiert, wie das auf der Krim der Fall ist.

Bild: ©

Frage: Welche Folgen hätte eine Abspaltung der Krim für die Ukraine und für Europa?

Bremer: Da gibt es verschiedene Dimensionen. Das eine ist die völkerrechtliche Frage. Die Situation gibt es beispielsweise im Kosovo, den Deutschland als selbstständigen Staat anerkennt – gegen den Willen Serbiens, zu dem der Kosovo vorher gehört hat. Ordnungspolitisch und völkerrechtlich ist die Situation also schwierig. Man würde ein großes politisches Fass öffnen, das alle europäischen Grenzen betreffen könnte. Eine weitere Dimension ist die, dass die Krim viele Jahre zu Russland gehört hat. Historisch muss man also sagen, dass die Menschen dort sich viel mehr als Russen fühlen, vor allem, weil die Krim noch nicht lange zur Ukraine gehört.

Es scheint zudem so zu sein, dass die Krim selber nicht genügend Trinkwasser hat. Im Prinzip könnte die ukrainische Zentralregierung die Kontrolle darüber ausüben. Damit haben sie ein starkes Druckmittel in der Hand, ähnlich wie die Russen es mit dem Gaspreis handhaben. Es ist aber auch zu befürchten, dass die Russen versuchen, die Kontrolle über die Trinkwasserleitung zu erlangen.

Frage: In der Ukraine gibt es sowohl das Moskauer Patriarchat als auch das Kiewer Patriarchat der ukrainisch-orthodoxen Kirche. Können die Kirchen in dem Konflikt vermitteln?

Bremer: Es handelt sich hauptsächlich um einen politisch-militärischen Konflikt. Die Kirchen haben zwar ihre Positionen dazu, aber regulierend einwirken können sie nicht. Ich glaube nicht, dass die Kirchen eine konfliktentschärfende Rolle spielen können, aber auch kaum eine konfliktverschärfende. Sie sind ein Teil des Geschehens, aber nicht diejenigen, die es groß beeinflussen können.

Frage: Auf der Krim leben viele Muslime. Wie steht es um einen interreligiösen Dialog?

Bremer: Es gibt einen allukrainischen religiösen Rat, dort sind alle Religionsgemeinschaften vertreten. Es ist aber nicht klar, wie der sich momentan verhält. Man muss dazu sagen, dass man in Osteuropa vielfach die Nationsfrage nicht von der Religionsfrage trennen kann. Das heißt, die Muslime auf der Krim sind die Krimtataren, die nach der Vertreibung von der Krim während des Zweiten Weltkrieges erst in den letzten 20 Jahren wiederkommen konnten. Von daher ist es jetzt weniger die Frage nach einem interreligiösen Dialog als eine Frage nach der politischen Option. Und da haben die Krimtataren natürlich eine andere Meinung als die meisten Orthodoxen auf der Krim.

Frage: Ist das friedliche Zusammenleben auf der Krim jetzt in Gefahr?

Bremer: Ich glaube, wenn die Krim sich Russland angliedert oder den Status eines Parastaates erhält, der weder zu Russland noch zur Ukraine gehört, dann werden die Krimtataren, die rund zehn Prozent der Krim-Bevölkerung ausmachen, in eine schwierige Situation kommen. Das kann man natürlich schlecht prophezeien, aber es wird für die Krimtataren sicher nicht einfacher werden.

Frage: Ist es dann nicht umso wichtiger, dass der interreligiöse Dialog fortgesetzt wird?

Bremer: Grundsätzlich ja. Aber der interreligiöse Rat gilt für die gesamte Ukraine. Man kann noch nicht abschätzen, wie sich die Situation auf der Krim entwickeln wird. Man muss das sehr klar sehen: Das ist nicht einfach ein interreligiöser Dialog, der in anderen Fragen neutral ist, sondern das ist immer ein Dialog zwischen Nationen, also zwischen Russen und Tataren.

Das Interview führte Sophia Michalzik