Gerichte dürfen Einstellungsbedingungen auch bei Kirchen prüfen

Kirchen und Gewerkschaft begrüßen EuGH-Urteil

Veröffentlicht am 17.04.2018 um 16:30 Uhr – Lesedauer: 
Arbeitsrecht

Bonn ‐ Der Europäische Gerichtshof hat entschieden: Künftig haben weltliche Gerichte mehr Einfluss auf das kirchliche Arbeitsrecht. So reagieren die katholische und die evangelische Kirche darauf.

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Vertreter von Kirchen und kirchlichen Wohlfahrtsverbänden haben das Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs zum kirchlichen Arbeitsrecht grundsätzlich positiv aufgenommen. Das Gericht hatte am Dienstag entschieden, dass staatliche Gerichte künftig kirchliches Arbeitsrecht weitgehender als zuvor prüfen können. Insbesondere müssen sie im Einzelfall entscheiden, inwieweit die Religionszugehörigkeit eines Bewerbers für die jeweils zu besetzende Stelle von Bedeutung ist.

Deutsche Bischofskonferenz sieht Selbstverwaltungsrecht bestätigt

Der Sekretär der Deutschen Bischofskonferenz (DBK), Pater Hans Langendörfer, begrüßt, dass der EuGH klargestellt hat, "dass den staatlichen Gerichten im Regelfall nicht zusteht, über das religiöse Ethos der Religionsgemeinschaft zu befinden". Über das Selbstverständnis könne nur die Kirche selbst entscheiden, dies könne nicht dem Staat oder einem staatlichen Gericht überlassen werden. Die katholische Kirche in Deutschland hätte in der Vergangenheit "in ihren eigenen Regelungen deutlich gemacht, ob und insbesondere für welche Tätigkeiten sie die Religionszugehörigkeit ihrer Angestellten zur Bedingung der Beschäftigung macht." Daher gebe es aus ihrer Sicht bereits jetzt keine "unverhältnismäßige Anforderungen an die Mitarbeit im kirchlichen Dienst". Dennoch werde man das Urteil "intensiv analysieren und prüfen, ob und inwieweit die Einstellungspraxis angepasst und etwaige rechtliche Schritte in Betracht gezogen werden sollten".

Hintergrund: Kirchliches Arbeitsrecht: EuGH stärkt staatliche Gerichte

Grundsatzurteil des Europäischen Gerichtshofs: Künftig müssen staatliche Gerichte im Einzelfall überprüfen, ob die Religionszugehörigkeit bei der kirchlichen Stellenbesetzung ein Kriterium sein darf.

Caritas: Selbstverwaltungsrecht für alle Religionsgemeinschaften achten

Die Reaktion des Deutschen Caritasverbands fällt ähnlich aus. Der Finanz- und Personalvorstand des Verbands, Hans Jörg Millies, betont die Bestätigung des Selbstverwaltungsrechts der Kirchen, nach dem kirchliche Arbeitgeber weiterhin das Recht hätten, festzulegen, "ob die Konfessionszugehörigkeit eines Bewerbers eine berufliche Anforderung für eine bestimmte Stelle darstellt". Dem katholischen Wohlfahrtsverband ist es dabei wichtig, dass es nicht nur den christlichen Kirchen, sondern allen Religionsgemeinschaften möglich sein muss, "sich nach ihren eigenen Werten zu organisieren, im Rahmen der allgemeinen Gesetze".

EKD: Zu wenig Rücksicht auf deutsches Staats-Kirchen-Verhältnis

Auch die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) zeigt sich in ihrer Reaktion durch das Urteil grundsätzlich bestätigt. Der Präsident des Kirchenamtes der EKD, Hans Ulrich Anke, sieht "die von der Kirche selbstbestimmte Gestaltung des Arbeitsrechts für Kirche und Diakonie im Grundsatz erneut bestätigt". Das Urteil berücksichtige jedoch den Artikel 17 des "Vertrages über die Arbeitsweise der Europäischen Union" nicht ausreichend. Darin wird festgelegt, dass die EU die rechtliche Stellung der Religionsgemeinschaften in den Mitgliedsstaaten nicht beeinträchtigt. Der EuGH legt dagegen das Selbstbestimmungsrecht der Religionsgemeinschaften regelmäßig enger aus als das deutsche Bundesverfassungsgericht.

Es müsse Sache der Kirche bleiben, die auf die Religion bezogenen Anforderungen für die berufliche Mitarbeit in Kirche und Diakonie aufzustellen, so der Kirchenamtspräsident. Auch er betont, dass ein säkularer Staat nicht über das Selbstverständnis der Kirchen entscheiden könne. Auch die EKD hat ihr Arbeitsrecht in den vergangenen Jahren angepasst und für Mitarbeiter, die nicht Mitglied einer Kirche sind, geöffnet.

Diakonie: Anforderungen an Konfession nicht willkürlich

Der Rechtsvorstand des evangelischen Wohlfahrtsverbands Diakonie, Jörg Kruttschnitt, betont in seiner Reaktion, dass Anforderungen wie die Kirchenmitgliedschaft bei der Personalauswahl in der Diakonie "nicht willkürlich gestellt" würden: "Für die Arbeit der Diakonie ist eine evangelische Prägung wichtig. Diese erwarten auch die Menschen von uns, die uns ihre Kinder, Eltern oder Kranken anvertrauen." Diese Prägung sei ein Grund dafür, auf die Kirchenmitgliedschaft bei Einstellungen zu achten. Es sei "sachgerecht", wenn Kirche und Diakonie über die Kriterien dafür selbst bestimmen können.

Verdi: Ausschließlich Eignung berücksichtigen

Die Gewerkschaft Verdi begrüßte das Urteil, wonach die Zugehörigkeit zu einer Konfession nur dann verlangt werden dürfe, wenn die auszuübende Tätigkeit direkt mit dem Glauben und der Verkündigung desselben zu tun hat. "Bei verkündigungsfernen Tätigkeiten gilt: Kirchliche Arbeitgeber dürfen bei Einstellungen ausschließlich die Qualifikation und Eignung berücksichtigen", sagte Vorstandsmitglied Sylvia Bühler gegenüber der Katholischen Nachrichtenagentur. "Das ist jetzt auch gerichtlich überprüfbar."

Die Antidiskriminierungsstelle des Bundes rief die Kirchen auf, aus dem Urteil Konsequenzen zu ziehen. "Die Kirchen müssen ab jetzt für jedes einzelne Arbeitsverhältnis nachvollziehbar und gerichtsfest begründen können, warum eine bestimmte Religionszugehörigkeit dazu zwingend notwendig sein soll", sagte deren Leiterin Christine Lüders gegenüber der dpa.

Über 1,5 Millionen Beschäftigte bei Caritas und Diakonie

Im konkreten Fall hatte das Evangelische Werk für Diakonie und Entwicklung in einer Stellenausschreibung für eine befristete Referentenstelle für das Projekt "Parallelberichterstattung zur UN-Antirassismuskonvention" die Zugehörigkeit zu einer protestantischen Kirche gefordert. Eine konfessionslose Bewerberin wurde nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Da sie annahm, sie habe die Stelle wegen ihrer Konfessionslosigkeit nicht bekommen, klagte sie und forderte knapp 10 000 Euro Entschädigung.

Der Anwalt der Klägerin, Klaus Bertelsmann, stellte im Lichte des Urteils klar, dass aus seiner Sicht nun ein kirchlicher oder kirchennaher Arbeitgeber für Stellen wie Buchhalter, Küchenhilfe, Arzt oder Fachlehrer keine bestimmte Kirchenzugehörigkeit verlangen darf.

Der Fall ging in Deutschland mit widersprüchlichen Urteilen durch die Instanzen. Das Bundesarbeitsgericht bat die Kollegen in Luxemburg schließlich um Auslegung der EU-Antidiskriminierungsrichtlinie. Diese schützt Arbeitnehmer vor Diskriminierung wegen Religion oder Weltanschauung. Doch erkennt sie das Recht der Kirchen auf Autonomie an. Letztlich müsse zwischen beidem abgewogen werden, urteilte der EuGH. Es sei ein "angemessener Ausgleich" herzustellen.

Das Urteil des EuGH könnte für kirchliche Arbeitgeber in Deutschland erhebliche Auswirkungen haben. Nach Angaben der Gewerkschaft Verdi beschäftigen sie insgesamt etwa 1,5 Millionen Menschen. Die Diakonie ist laut Homepage mit mehr als 525 700 hauptamtlich Beschäftigten einer der größten Arbeitgeber in Deutschland. In den Einrichtungen und Diensten der Caritas arbeiten rund 620 000 Menschen beruflich. (fxn/KNA/dpa)