"Kloster im Kleinformat"
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Die Insel Reichenau ist eine Insel im Bodensee, auf der rund 3000 Menschen verteilt auf drei Orte wohnen. Auf der Insel gibt es eine eigene katholische Kirchengemeinde, die Pater Stephan Vorwerk OSB (61) leitet und die dem Erzbistum Freiburg angehört. Gemeinsam mit Pater Hugo S. Eymann OSB (72) betreut er die Kirchengemeinden und wohnt selbst als Mönch in der Cella St. Benedikt auf der Insel.
Frage: Pater Stephan, Sie leben auf einer klitzekleinen Insel im Bodensee?
Pater Stephan Vorwerk: Ja, mein Mitbruder und ich leben seit 2001 auf der Insel Reichenau. Unsere Cella St. Benedikt ist eine Klostergründung der Erzabtei Beuron. Eine Cella ist ja die kleinste Einheit eines Klosters, eine kleine Kommunität sozusagen.
Frage: Wie kamen Sie denn auf die Idee, auf der Reichenau eine Kommunität zu gründen?
Pater Stephan: Ich war als Theologiestudent schon mal hier auf der Insel. Damals im Jahr 1992 habe ich gespürt, dass die Insel mit ihren drei Kirchen ein besonderer Ort ist. Schließlich war diese Insel schon immer von den Benediktinern geprägt. Der heilige Pirmin gründete im Jahr 724 hier das erste Benediktinerkloster Deutschlands. Das Kloster wurde viele Jahre später aufgelöst, aber der Geist ist erhalten geblieben. Er hat mich fasziniert und in meinem Herzen nicht mehr losgelassen. Nach dem Studium trat ich in die Benediktinerabtei Gerleve ein und habe dann im Heiligen Land gelebt und dort in der Pilgerseelsorge gearbeitet. Vier Jahre war ich auch Hausoberer in Tabgha. Dort habe ich gespürt: Ich möchte zurück nach Deutschland. Ich zog dann mit Genehmigung des Heimatabtes auf die Insel Reichenau. Das war ein großes Geschenk für mich.
Frage: Was ist das Besondere daran, Inselseelsorger zu sein?
Pater Stephan: Auf einer Insel herrscht eine Inselmentalität. Die ist anders als bei einer normalen Pfarrgemeinde. Die Insel Reichenau ist abgeschlossen, nur der Damm ist die Verbindung nach draußen. Wenn ich auf dem Damm stehe, fühlt sich das ganz besonders an. Ich spüre, wie wichtig die benediktinische Tradition auf der Insel ist. Das Evangelium ins Heute zu bringen und nach beiden Seiten hin zu den Menschen zu tragen, das ist meine Aufgabe.
Frage: Klappt das Zusammenleben zu zweit auf der Insel?
Pater Stephan: Pater Hugo und ich leben unsere Verschiedenheit im Alltag. Und das ist auch gut so. Der Satz aus der Bibel, "Liebe deinen Nächsten wie dich selbst", ist täglich eine neue Herausforderung für uns.
Frage: Gab es Schwierigkeiten bei der Gründung Ihrer Gemeinschaft?
Pater Stephan: Zunächst galt unsere Idee, benediktinisches Leben auf der Insel entstehen zu lassen als Projekt. Wir wurden kritisch beäugt und unser Vorhaben wurde auch von verschiedenen Seiten belächelt. Das war nicht leicht für mich, weil ich so an diese Idee geglaubt habe. Auch die Inselbewohner haben Zeit gebraucht, uns näher zu rücken. Sie meinten, wir machen hier etwas Extravagantes. Aber wir machen keine Spiritualität für Insider. Wir sind wie das Gemüse auf der Insel Reichenau: Ziemlich geerdet. Nach 15 Jahren sind wir hier angekommen und angenommen.
Frage: Woran haben Sie gemerkt, dass es richtig ist, hier auf der Insel zu leben?
Pater Stephan: Ich merke es immer dann, wenn meine Seele in Balance ist. Es ist eine tiefe Ausgeglichenheit in mir, die mich frei atmen lässt. So kann ich als Mensch und als Benediktiner wirken. Neue Wege bringen auch neue Herausforderungen mit, denen ich mich gerne stelle und nach neuen Lösungen suche.
Frage: Wie war Ihr persönlicher Weg zur Kirche?
Pater Stephan: Als Kind war ich eher ängstlich. Ich bin wohlbehütet zu Hause mit fünf Geschwistern aufgewachsen. Meine Mutter hat dann irgendwann zu mir gesagt: "Junge, du musst mal raus". Sie hat den Kaplan unserer Kirchengemeinde in Havixbeck in Westfalen angerufen. Ich bin dann schnell hineingewachsen in die Kirche, war Messdiener und in der Jugendarbeit engagiert. Oft sind wir nach den Gottesdiensten bei den Kaplänen im Wohnzimmer gesessen. Das waren so dynamische Typen. Wir haben miteinander gebetet, miteinander gegessen und gelacht. Wir haben sozusagen die Menschwerdung weitergefeiert. Ich habe damals eine große Freiheit gespürt. Keiner von denen hat mich gefragt, ob ich ein Geistlicher werden will. Genau das war es dann, was mich davon überzeugt hat, es zu tun.
Frage: Spüren Sie diese Freiheit heute noch?
Pater Stephan: Ja! Ich hatte vor kurzem ein berührendes Erlebnis. Ein 93jähriger Mann hat sich bei mir an seinem Sterbebett bedankt für die Gottesdienste, die wir hier gemeinsam mit den Gemeindemitgliedern gestalten. Einen Tag später war er tot. Seine Worte haben mich sehr angerührt. Wenn sich Insulaner so öffnen, heißt das schon was. Ich habe so eine große Dankbarkeit gespürt und ein echtes Heimatgefühl. Bei uns auf der Insel ist zwar alles in Bezug auf das Kloster im Kleinformat, aber dafür nicht unattraktiv. Ich glaube, dass die Zukunft unserer Kirche in Deutschland, neben anderen Formen, auch in solch kleinen spirituellen Zellen liegen kann. Sie sind bescheiden an Zahl, vielleicht auch ein wenig eng, aber sie sind lebendig in der Kraft des Geistes Gottes.