"Kuba muss sich öffnen"
Frage: Herr Bröckelmann-Simon, aus Kuba kommen Signale einer Öffnung, aber auch Klagen über erneute Repressalien. Wohin geht die Entwicklung?
Bröckelmann-Simon: Sie geht voran, aber sehr langsam. Meine Gesprächspartner in der Kubanischen Bischofskonferenz und anderen kirchlichen Institutionen sehen mehr Spielräume, Wandel, Veränderungen zum Positiven. Der Informationszugang und die Reisefreiheit für ausländische Touristen wie für Kubaner eröffnen neue Horizonte. Zugleich versuchen gerade die Fähigen unter den jungen Menschen, das Land zu verlassen. Das beobachten die Bischöfe mit Sorge. Insgesamt wünschen sie sich mehr Tempo auf dem Weg der Reformen und weniger bürokratische Stolpersteine.
Frage: Was heißt das konkret?
Bröckelmann-Simon: Kuba lässt Privatinitiativen mehr Raum. In der Diözese Bayamo beispielsweise gibt es – auch unterstützt von Misereor – Wohnbauprojekte für Menschen, die beim letzten großen Hurrikan 2008 ihr Dach über dem Kopf verloren haben. Aber es dauert unsäglich lange, die nötigen Genehmigungen zu bekommen. Der Bauplatz ist da, die Leute stellen die Ziegelsteine selbst her, und dann warten sie monatelang, dass sie anfangen dürfen. Alles, was nach Eigeninitiative riecht, wird mit Misstrauen behandelt. Dabei ist es genau das, was Kuba dringend braucht: Die Leute müssen selbst etwas verändern, statt immer auf den Staat zu schauen.
Frage: Gibt es Anzeichen für wirtschaftliche Liberalisierung?
Bröckelmann-Simon: Kuba hat inzwischen ein eigenes Wort, das nirgends sonst im Spanischen existiert: cuentapropista – einer, der auf eigene Kappe arbeitet, ein Kleinstunternehmer. Die versuchen in Versorgungslücken vorzustoßen, in der landwirtschaftlichen Produktion, aber auch in der Stadt. Sie bieten Dienstleistungen an oder vermieten Unterkünfte an Fremde – auch das ist jetzt möglich. Diese Leute tragen erheblich zur Verbesserung zur Versorgungslage bei.
Frage: Welche Handlungsfreiheit hat die Kirche?
Bröckelmann-Simon: Die sozialen Dienste der Kirche sind anerkannt. Die Bischöfe wollen sich künftig noch stärker auf diesem Feld engagieren. Auch in Kuba existieren Menschen an den Rändern der Gesellschaft. Es gibt Armut, die Wohnungsnot ist riesig, sowohl in Städten als auch auf dem Land, verschärft auch aufgrund der zuletzt häufigeren Wirbelstürme. Eine neue Priorität der kubanischen Kirche ist die Unterstützung der Landbevölkerung, besonders der Kleinbauern.
Frage: Nennen Sie ein Beispiel.
Bröckelmann-Simon: Die Bischöfe gehen pragmatisch vor, und die Menschen sind selbstbewusster geworden. Ein Ansatz in der kirchlichen Sozialarbeit sind die sogenannten Altenclubs: Treffpunkte, in denen sich alte Menschen über ihre Probleme und Nöte verständigen, sich gegenseitig stärken und Hilfe bekommen. Dort versuchen sie sich auch durch kleinere Aktivitäten ein zusätzliches Einkommen zu verdienen, stellen beispielsweise Dinge her, die sie dann verkaufen.
Frage: Wie finanziert sich die Kirche?
Bröckelmann-Simon: Sie finanziert sich im Wesentlichen durch die Beiträge der Gläubigen. Für die soziale Arbeit bekommt sie Unterstützung von internationalen Kooperationspartnern, unter anderem von Misereor; aber auch Caritas, Adveniat und andere deutsche Hilfswerke stehen in einer guten Partnerschaft mit der kubanischen Kirche.
„Sich um die Not in der Gesellschaft zu kümmern, kann nicht nur Aufgabe des Staates sein.“
Frage: Um welches Finanzvolumen geht es, und was sind die Ziele?
Bröckelmann-Simon: Es ist nach wie vor begrenzt. Wir wollen Eigeninitiative und Selbsthilfe stärken, und unsere kubanischen Partner haben den Wunsch, dass es gegenüber Kuba mehr Öffnung gibt – nach dem Wort von Papst Johannes Paul II. : Kuba muss sich der Welt öffnen, aber auch die Welt muss sich Kuba öffnen. Die kubanische Kirche spricht sich nachdrücklich für eine Aufhebung des US-Embargos aus.
Frage: Macht sich die Kirche nicht zum Gehilfen des Staats, wenn sie in sozialen Aufgaben für ihn in die Bresche springt?
Bröckelmann-Simon: Sich um die Not in der Gesellschaft zu kümmern, kann nicht nur Aufgabe des Staates sein. Die kubanischen Bischöfe verschließen jedoch auch nicht die Augen davor, dass es nach wie vor undemokratische Verhältnisse gibt. Der Umgang mit abweichenden Meinungen und mit Menschenrechten, die willkürlichen Verhaftungen – das kann die Kirche nicht gutheißen. Auch wenn es in der Regel keine langfristigen Inhaftierungen von Dissidenten mehr gibt, gibt es immer noch viele Einschüchterungen.
Frage: Was erwarten die kubanischen Bischöfe von Deutschland, was die Menschenrechtslage angeht?
Bröckelmann-Simon: Sie wünschen sich ein Kooperationsabkommen mit der Bundesrepublik – aber nicht bedingungsfrei. In den Verhandlungen sollte Deutschland darauf hinwirken, dass sich die Menschenrechtslage bessert und der Öffnungsprozess weitergeht. Daneben tut es dem Land gut, wenn es wirtschaftlich besser auf die Beine kommt. Die Probleme Kubas sind enorm. Eine Herausforderung wird sein, wie man ein Investitionsklima schaffen kann, das ausländisches Kapital anzieht. Da ist noch sehr viel zu tun.
Das Interview führte Burkhard Jürgens (KNA)