Die IS-Terrormiliz hinterlässt in Syrien und dem Irak eine Spur der Barbarei

Kulturelle Säuberungen im "Islamischen Staat"

Veröffentlicht am 26.08.2015 um 17:00 Uhr – Von Kilian Martin – Lesedauer: 
Terrorismus

Bonn ‐ Die bestialischen Morde der Terrormiliz des "Islamischen Staats" sorgen weltweit für Entsetzen. Doch in ihrer barbarischen Lust an der Vernichtung zerstören die Islamisten auch immer mehr antike Kulturgüter.

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Vor zwei Wochen hatte die Enthauptung des ehemaligen Chef-Archäologen der antiken Wüstenstadt Palmyra weltweit für Entsetzen gesorgt. Wenige Tage später wurde Palmyra erneut Schauplatz eines enthemmten IS-Verbrechens: Am 23. August sprengten die Terroristen den Baalschamin-Tempel, eines der wichtigsten Bauwerke der antiken Ausgrabungsstätte.

„Der Wahnsinn des Islamischen Staates kennt keinen Respekt vor einer kulturellen Identität.“

—  Zitat: Matthias Kopp, Archäologe und DBK-Pressesprecher

"Der Wahnsinn des Islamischen Staates kennt keinen Respekt vor einer kulturellen Identität", sagte der Archäologe und Pressesprecher der Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp, dem Kölner domradio. Es sei tragisch, dass in Zukunft mit weiteren Vernichtungsaktionen zu rechnen sei. Derzeit stünden die menschlichen Opfer des Krieges im Vordergrund, doch auch die Zerstörung der antiken Gebäude sei "eine Katastrophe, weil hier etwas zerstört wurde, was unwiederbringlich für die Menschheit ist."

Die Vereinten Nationen bewerten diese wie auch vorhergehende Taten als Kriegsverbrechen. Im Mai hatte die Vollversammlung in New York eine entsprechende Resolution beschlossen. Im Text, der gemeinsam von Deutschland und dem Irak erarbeitet und in die Versammlung eingebracht worden war, heißt es: "Die Vollversammlung drückt ihr Entsetzen darüber aus, dass die Angriffe auf kulturelles Erbe als Kriegstaktik dienen, um Terror und Hass zu säen, Konflikte anzuschüren und eine gewalttätige, extremistische Ideologie zu verbreiten."

Eine Spur der Verwüstung durchzieht den Irak

Im Irak haben die IS-Terroristen in den vergangenen Monaten eine ganze Reihe historisch bedeutsamer Stätten zerstört: Im Frühjahr sprengten die Islamisten die über 3.000 Jahre alte nordirakische Ruinenstadt Nimrud. Zugleich verwüsteten sie das archäologische Museum in Mossul und vernichteten dort historische Artefakte aus irakischen Ausgrabungsstätten. Ebenso verheerend fallen die Zerstörungen in den mesopotamischen Städten Hatra und Ninive aus.

"Diese Terroristen wollen die Grundlagen einer friedlichen Gesellschaft und eines geeinten Landes zerstören, indem sie die sichtbaren Spuren von Geschichte und Zivilisation auslöschen. Sie wollen die Seele, die Identität des irakischen Volkes auslöschen", klagte die Präsidentin des Welterbe-Komittees der Unesco, Maria Böhmer, bereits im Mai vor der UN-Vollversammlung. Spätestens mit dem Angriff auf das antike Palmyra muss diese Warnung auch auf Syrien ausgeweitet werden.

Hoffnung auf Unterstützung aus der islamischen Welt

Empörung ist im Krieg eine nutzlose Waffe. "Wir wissen, dass Appelle in diesem Krieg nur eine begrenzte Wirkung haben", sagte Böhmer an anderer Stelle. Die Diplomaten verbinden mit ihrer Resolution jedoch die Hoffnung, dass sich auch islamische Staaten dem Aufruf anschließen und die Kulturzerstörung ächten. Dann könnte der IS nicht mehr behaupten, diese Taten im Namen des Islam zu begehen, so Böhmer. Im März startete die Unesco-Generaldirektorin Irina Bokova die Social-Media-Kampagne "#Unite4Heritage", um auf die Bedrohung der Welterbe-Stätten hinzuweisen und insbesondere junge Menschen für den Erhalt zu sensibilisieren.

Screenshot aus einem Video, das von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) verbreitet wurde und die Zerstörung des jahrhundertealten christlichen Klosters Mar Elian in dem Ort Karjatain südöstlich der Stadt Homs, Syrien, zeigen soll.
Bild: ©picture alliance / dpa

Screenshot aus einem Video, das von der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) verbreitet wurde und die Zerstörung des jahrhundertealten christlichen Klosters Mar Elian in dem Ort Karjatain südöstlich der Stadt Homs, Syrien, zeigen soll.

Die Unesco spricht von einer "kulturellen Säuberung", die der "Islamische Staat" derzeit in Syrien und dem Irak vollzieht. Vordergründig geht es den Terroristen darum, die Welt von Götzen zu befreien, die dem Islam widersprechen. So jedenfalls begründen sie selbst ihre Zerstörungslust. Die Oasenstadt Palmyra galt als ein Wahrzeichen der Multikulturalität und des Pluralismus. Als bedeutender Handelsort verband sie in der Antike den fernen Osten mit dem nahen Osten und schließlich dem Westen. Völker aus Arabien und dem vorderen Orient tauschten sich - und ihre Religionen - im Laufe der Zeit mit Griechen und Römern aus. Ein Sakrileg im Weltbild des IS.

Kirchen werden zerstört, Christen vertrieben

Die Aggression des IS richtet sich allgemein gegen alles, was nach seiner Lesart nicht dem Islam entspricht, so auch gegen Christen und ihre Kirchen. Seit der Eroberung Mossuls im Frühsommer vergangenen Jahres wurden etliche Kirchen in der irakischen Stadt geplündert oder zerstört. Im August wurde das antike christliche Kloster Mar Elian in Syrien niedergewalzt. Wenige Wochen zuvor wurden aus einer syrischen Kleinstadt über 200 Menschen entführt, darunter 60 Christen. Das christliche Hilfswerk "Kirche in Not" schätzt, dass allein aus dem Irak im vergangenen Jahr über 120.000 Christen vertrieben wurden.

„Die Vertragspartner sind davon überzeugt, dass Schaden am Kulturgut welches Volks auch immer zugleich Schaden am kulturellen Erbe der gesamten Menschheit bedeutet.“

—  Zitat: Haager Konvention zum Schutz von Kulturgut bei bewaffneten Konflikten

Mit ihren Angriffen auf Kulturschätze provozieren die Islamisten die Weltgemeinschaft. Im Jahr 1954 wurde in Den Haag die Konvention zum Schutz von Kulturgut in Kriegszeiten beschlossen. Darin heißt es: "Die Vertragspartner sind davon überzeugt, dass Schaden am Kulturgut welches Volks auch immer zugleich Schaden am kulturellen Erbe der gesamten Menschheit bedeutet." Schützenswerte Bauten werden seither mit einem Schild gekennzeichnet: Es zeigt ein auf den Kopf gestelltes, blau-weißes Häuschen. Dem "Islamischen Staat" gilt diese Genfer Konvention nichts.

Zudem dienen die Schändungen antiker Grabungsstätten der Miliz auf ganz profane Weise: Der Handel mit antiken Artefakten ist lukrativ. Es wird berichtet, dass die IS-Schergen die antiken Stätten nicht nur blind niederreißen, sondern auch zielgerichtet plündern. Die gestohlenen Antiken werden oft nach Europa geschafft und dort als Hehlerware verkauft. Der Berliner Experte Guido Steinberg bezeichnete den "Islamischen Staat" im Mai als finanzstärkste Terrororganisation der Welt. Ein erheblicher Teil seiner Einnahmen, die sich im Jahr auf bis zu 1,8 Milliarden US-Dollar belaufen könnten, dürfte aus dem Handel mit geraubten Antiken stammen. Die deutsche Kulturstaatsministerin Monika Grütters strebt daher aktuell eine Novelle des Kulturgutschutzgesetzes an, um diesen illegalen Antikenhandel endlich wirkungsvoll bekämpfen zu können.

Von Kilian Martin