Lammert fordert Debatte über Glauben und Gewalt
Bundestagspräsident Norbert Lammert hat die Muslime in Deutschland gut einen Monat nach dem islamistischen Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt an der Berliner Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche zur Auseinandersetzung mit ihrer Religion aufgefordert. Als Staat, der Religionsfreiheit als Menschenrecht garantiere, "dürfen und müssen wir die Auseinandersetzung der Muslime mit ihrer Religion und dem verhängnisvollen Zusammenhang von Glaube und fanatischer Gewalt mit Nachdruck einfordern", sagte Lammert am Donnerstag bei einer Gedenkstunde im Bundestag.
Zugleich warnte Lammert eindringlich davor, dass Menschen wegen "ihrer Herkunft oder Religion in Sippenhaft genommen werden für terroristische Gewalt, vor der sie vielfach selbst geflohen sind". Der Attentäter Anis Amri habe sich als Muslim und Soldat der Terrormiliz "Islamischer Staat" verstanden und als Flüchtling ausgegeben. "Beides können wir nicht übersehen - gerade weil wir uns zur religiösen Vielfalt, zur weltoffenen Gesellschaft und zu unseren humanitären Verpflichtungen bekennen", sagte der Bundestagspräsident.
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Mit Trauer und Bestürzung haben Religionsvertreter auf den Anschlag auf dem Weihnachtsmarkt an der Gedächtniskirche reagiert. Für Dienstag planen die Kirchen Gebete und Gedenkgottesdienste. (Artikel von Dezember 2016)Lammert verlangte die Bekämpfung islamistischen Gedankenguts mit aller rechtsstaatlichen Härte und auch in der politischen Auseinandersetzung. "Terror ist nie religiös, Terror ist politisch - und die Antwort darauf muss auch politisch sein." Zugleich unterstrich er: "Wir bekämpfen nicht den Islam, sondern Fanatismus, nicht Religion, sondern Fundamentalismus." Dies gelte unter dem Eindruck des Terrors in Deutschland genauso wie nach den Anschlägen in den europäischen Nachbarländern.
In seiner Rede lobte Lammert zugleich die besonnene Reaktion der Bürger auf den Terroranschlag auf den Weihnachtsmarkt. "Terror zielt darauf ab, demokratische Gesellschaften zu erschüttern, zu lähmen, zu destabilisieren. Dieses Ziel haben die Terroristen in Deutschland nicht erreicht", sagte der CDU-Politiker. "Die Bevölkerung reagiert mit bemerkenswerter Besonnenheit auf den Terror."
Angesichts der heute vorliegenden Erkenntnisse über den Attentäter, der zahlreichen Sicherheits- und Ausländerbehörden als islamistischer Gefährder bekannt war, sagte Lammert, dies zwinge die Politik, "die Sicherheitsarchitektur in unserem Land zu überdenken". Er ergänzte: "Der Rechtsstaat ist ja nicht an sich selbst gescheitert, vielmehr hat er seine Mittel nicht ausgeschöpft." Bei der nun nötigen Debatte müsse darum gerungen werden, "wie wir die schwierige Balance zwischen Sicherheitsanspruch und Freiheitsversprechen halten wollen".
An der Gedenkveranstaltung des Parlaments nahmen auch Bundespräsident Joachim Gauck, Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sowie Vertreter jener Staaten teil, aus denen die Opfer des Attentats stammen. Der islamistische Attentäter Anis Amri war am 19. Dezember mit einem Lastwagen in den Weihnachtsmarkt an der Berliner Gedächtniskirche gerast. Dabei starben 12 Menschen, 50 weitere wurden teilweise schwer verletzt. Wenige Tage nach dem Anschlag wurde der 24-jährige Tunesier auf der Flucht von der Polizei bei Mailand erschossen.
Nach Ansicht des Pfarrers der evangelischen Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche, Martin Germer, sollte eine Gedenktafel an die Opfer des Anschlags am Breitscheidplatz erinnern. Er könne sich vorstellen, dass dies noch im laufenden Jahr geschehe, sagte Germer am Donnerstag dem ZDF-Morgenmagazin. (stz/dpa/KNA)