Langer Weg der Aufarbeitung
Die Hinterbliebenen hatten in den vergangenen dreieinhalb Jahren zusätzlich zu ihrem Verlust noch andere Dinge zu verarbeiten. Einer dieser Nebenschauplätze war der Fall des damaligen CDU-Oberbürgermeisters Adolf Sauerland, der nach dem Unglück einen freiwilligen Rücktritt ablehnte. Vor zwei Jahren setzte eine Bürgerinitiative eine Abwahl durch. In Bezug darauf sagt der neue Oberbürgermeister Link, "dass es bei diesem Thema eben nicht nur um strafrechtlich relevante Schuld geht, sondern auch um politische und moralische Verantwortung". Aber weder Sauerland, noch der Geschäftsführer der Veranstalterfirma Lopavent, Rainer Schaller, noch die Polizei, der Fehler vorgeworfen werden, werden angeklagt.
Für die tödliche Katastrophe bei der Großveranstaltung sollen sich zehn Mitarbeiter der Stadt und des Veranstalters vor Gericht verantworten. Den Ermittlungen zufolge entstand das größte und für 21 junge Menschen tödliche Gedränge damals in einem viel zu schmalen Zugang zur Loveparade in der Nähe des Duisburger Hauptbahnhofs. Dort hätten nicht genehmigte Einbauten gestanden.
Prozess ist für die Verarbeitung wichtig
Die Anwaltskanzlei von Julius Reiter, der mehrere Dutzend Loveparade-Geschädigte vertritt, kritisiert, dass ein Organisationsverschulden - etwa der Polizei - im Strafverfahren nach der jetzigen Anklageerhebung ausgeklammert bleibe. Jörn Teich, der Vorsitzende der Opfer-Initiative Lopa 2010, macht es noch deutlicher: "Wir wollen nicht die kleinen Leute, sondern die, die wirklich Mist gebaut haben."
Betroffene wie Manfred Reißaus, der bei dem Unglück seine Tochter verloren hat, sind zunächst einmal froh über den nächsten Schritt: "Wir brauchen endlich diesen Prozess, um am normalen Leben wieder teilzunehmen." Allerdings gab das Landgericht Duisburg bislang weder Zeit noch Ort bekannt und Experten gehen davon aus, dass die Hauptverhandlung nicht vor 2015 beginnt. Für die Hinterbliebenen ist es ein langer Weg der Aufarbeitung. Nach der Versorgung direkt nach dem Unglück wurden sie in den darauffolgenden Jahren von der "Stiftung Notfallseelsorge" der Evangelischen Kirche im Rheinland betreut.
Inzwischen organisieren sich die Betroffenen selbst
Dabei sei es mit mehreren Treffen jährlich um die psycho-soziale Betreuung von Angehörigen und Verletzten gegangen, sagte Uwe Rieske katholisch.de. Der Landespfarrer für Notfallseelsorge freut sich darüber, dass die Betroffenen sich inzwischen selbst "in starken Gruppen" organisieren. "Die Menschen stellen sich inzwischen selbst vor die Kamera und sprechen für sich selbst, wir haben also viel erreicht", sagt er. Von der Seelsorge strikt getrennt wurden laut Rieske die juristischen Fragen, die die Betroffenen im Gespräch mit Anwälten klären sollten. Es sei gerade das Ziel der Notfallseelsorge, sich selbst überflüssig zu machen, indem sie den Menschen aufzeige, welche anderen Angebote sie nutzen könnten.
Nun soll die Aufarbeitung auch juristisch weitergehen. Thomas Feltes, Kriminologe der Bochumer Ruhr-Universität und Anwalt des Vaters einer getöteten Studentin, verweist aber auch auf die Grenzen eines Strafprozesses. Die strafrechtliche Zurechnung individueller Schuld halte er für schwierig, sagte er. Er habe aber die Hoffnung, dass mit der Vernehmung vieler Zeugen eine möglichst breite Aufklärung erreicht werden könne, so Feltes. Lässt das Landgericht die Anklage zu und eröffnet das Hauptverfahren, steht Nordrhein-Westfalen einer der größten Prozesse bevor. Die Anklageschrift hat allein einen Umfang von 556 Seiten. Die Akten umfassen 76 Bände mit mehr als 37.000 Seiten. (Mit Material von dpa)
Von Agathe Lukassek