Kritik an religionslosen Laternenumzügen zum Martinsfest

Lasst Martin reiten!

Veröffentlicht am 09.11.2012 um 00:00 Uhr – Von Agathe Lukassek – Lesedauer: 
Brauchtum

Bonn ‐ Sankt Martinumzug oder Laternenprozession? Es gibt im November immer wieder Laternenumzüge ohne Martinsgeschichte oder -lieder. Als Begründung wird "religiöse Neutralität" genannt. Experten halten von dieser Neuerung nicht viel.

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Für eine "Verdummung der Kinder" hält der Tübinger Religionspädagoge Albert Biesinger reine Laternenumzüge. Ein einfaches Lichterfest, das die Solidaritätskomponente unterschlage, sei "unterkomplex" und könne ohnehin jeden beliebigen Tag im Winter begangen werden. "Kinder haben ein Recht auf religiöse Rituale, die ihnen eine Vision fürs Leben vermitteln", sagt der Professor. An Sankt Martin und seiner Mantelteilung lernten die Kinder von dem Bischof von Tours (um 316-397), durch Nachahmung solidarisch zu sein und Wege zu finden, anderen zu helfen. In Kita und Schule könne das heißen, mit anderen Kindern ihr Wissen, ihre Sprachkenntnisse oder ihre Zeit zu  teilen.

Auch Edith Schlesinger, zuständig für den interreligiösen Dialog im Erzbistum Köln, hält nichts von Tendenzen, Sankt Martin ohne den Heiligen zu begehen. "Es kann nicht sein, dass man die religiöse Essenz entzieht, um ein Fest für alle kompatibel zu machen", sagt die Referentin. Dies werde von den anderen Religionen – etwa von Muslimen – auch gar nicht verlangt. Im Gegenteil schätzten es Muslime, wenn etwa katholische Kitas sich zu ihrem Glauben bekannten und sich nicht ihrer Essenz beraubten.

Muslimische Eltern über Martin und Nikolaus informieren

Wichtig ist es dabei laut Schlesinger, muslimische Eltern frühzeitig über Feste wie Sankt Martin oder den heiligen Nikolaus zu informieren. Ein Martinsumzug sei kein Gottesdienst oder ein christliches Bekenntnis, man müsse nicht an den dreifaltigen Gott glauben, um daran teilzunehmen. Es gehe auch nicht um die Anbetung sondern um die Erinnerung an einen Tugendmenschen – und die Armenhilfe sei auch ein hohes islamisches Gut. Je besser die Eltern darüber informiert seien, umso mehr nähmen sie das Angebot an, so die Referentin.

Bild: ©picture alliance / akg-images

Öl auf Leinwand: Das Bild zeigt den heiligen Martin von Tours, der seinen Mantel mit einem Bettler teilt (Hans von Marees, 1837-1887).

Auch Biesinger sagt, dass durch gemeinsame Martinsfeiern mit muslimischen Kindern als Gäste "keiner missioniert" werde. Vielmehr seien sie wichtig, denn "nicht durch Auslassen sondern durch Mitmachen" entstehe Bildung. Gemeinsamkeiten wie die in den "fünf Säulen" des Islam festgeschriebene Hilfe für die Armen würden gestärkt, aber die Kinder merkten auch, dass es etwas Katholisches ist, wenn Start oder Endpunkt in einer Kirche wäre. Die Martins-Legende müsse aber auch bis zum Ende mit ihrer religiösen Zuspitzung vorgelesen werden, fordert der Religionspädagoge und ständige Diakon: "Da träumt Martin, dass ihm Jesus begegnet und das Mantelstück in der Hand hält. Er war der Bettler, die Botschaft lautet: In den Armen begegnen wir Gott".

Kita-Personal muss geschult sein

Der Kulturbeauftragte der Alevitischen Gemeinde Deutschland, Ismail Kaplan, sprach sich jüngst dezidiert für den Sankt Martin und den Nikolaus aus, weil sie Kindern die Werte "Teilen und Teilhaben lassen" vermittelten. Auch evangelische Kitas führen inzwischen Martinsumzüge durch, im Osten Deutschlands gibt es gemeinsame ökumenische Martinsfeste. Laut Biesinger ist dies eine erfreuliche Entwicklung: Katholiken hätten in der Vergangenheit von der Bibelfestigkeit der Evangelischen gelernt und diese griffen nun auf etwas aus dem katholischen Reichtum zurück.

Sankt Martin

Nach der Legende waren es die Gänse, die den heiligen Martin verrieten: Er war dazu ausersehen worden, Bischof von Tours zu werden. Allerdings wäre die Sache um ein Haar ganz anders gekommen - entscheidend war im Leben dieses Heiligen ein Mantel.

Wer ist denn dann auf der anderen Seite, wer fordert Laternenumzüge ohne den beliebten Heiligen? Edith Schlesinger vom Referat Dialog und Verkündigung verweist darauf, dass geschultes Personal in den Kitas nötig sei um Kritisches – die christlichen Glaubensinhalte – nicht auszusparen. Dann könnten Einrichtungen selbstbewusst sagen "wir sind offen für alle, bleiben aber katholisch". Biesinger bemängelt, dass es auch in kirchlichen Kreisen Menschen gebe, die meinten im Sinne des Miteinanders mit Andersdenkenden das Eigene aufgeben zu müssen. Dabei handele es sich jedoch um ein "falsches Toleranzverständnis", wenig Selbstbewusstsein und um nicht gelungene Kommunikation. Eltern oder voreiligen Erzieherinnen, die sich für Laternenumzüge ohne den heiligen Martin oder Jesus aussprächen, entgegnet der Professor: "Es ist kein Fehler, wenn Ihr Kind verschiedene Rituale kennenlernt und sensibel für religiöse Ausdrucksformen wird. Irgendwann muss es für sich und in der Gesellschaft religiös Stellung beziehen können".

Bislang ist laut Schlesinger die Rechtslage in den Ländern Nordrhein-Westfalen und Mecklenburg-Vorpommern so, dass die Themen Religion und Ethik nicht zum Bildungsauftrag in den Kindergärten gehören. Kommunale Einrichtungen könnten also mit gutem Grund auf alles Religiöse verzichten und Lichterumzüge mit den Kindern machen. Seit zwei Jahren würden jedoch in NRW neue Bildungsgrundsätze erprobt, die zum nächsten Schuljahr in Kraft treten sollen. Wenn die religiöse Bildung für Kinder bis 10 Jahre vom Kultusministerium festgeschrieben sei, werde sich in den Kitas "fundamental" was ändern, prophezeit die Referentin des Erzbistums. Dann kann Martin, der römische Soldat mit dem roten Mantel, noch öfter durch die Straßen der Städte reiten.

Von Agathe Lukassek