Ein Rundgang durch die Flüchtlingsunterkunft der Malteser in Hamm

Leben gemeinsam, Beten getrennt

Veröffentlicht am 29.03.2016 um 00:01 Uhr – Von Johanna Heckeley – Lesedauer: 
Flüchtlinge

Hamm ‐ In der Flüchtlingsunterkunft der Malteser in Hamm sind Christen und Muslime zusammen untergebracht. Die religiösen Feste werden gemeinsam gefeiert, die Gebetsräume für Muslime und Christen liegen jedoch getrennt. katholisch.de hat sich vor Ort umgesehen.

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Hier wohnen zurzeit rund 500 Asylbewerber, ihre zweite Station in Deutschland, bevor sie auf die Kommunen verteilt werden. Betreut werden sie von den Malteser Werken.

Ein "friedvolles Klima" wolle man schaffen, erzählt Thilo Dieckmann, Leiter der Betreuung. Von seinem Büro in einem Raum der ZUE kann man auf den Hof sehen, in dem der Mann mit der Mütze jetzt den Rechen wegträgt. "Das gehört dazu, dass die Leute sich zum Beispiel beim Saubermachen beteiligen können", erklärt er. Obwohl die ZUE nur eine Zwischenstation ist, wolle man schon hier mit der Integration beginnen, daher gebe es viele Angebote, darunter auch Deutschkurse und Kooperationen mit Sportvereinen vor Ort. Und: "Wir feiern mit den Bewohnern jedes große Fest ihrer Religion", sagt Dieckmann. "Das soll zeigen, dass jeder seinen Glauben leben darf und wir nicht werten, aber auch, dass uns Toleranz wichtig ist." Außerdem gibt es einen Gebetsraum für Christen und einen für Muslime, beide sind rund um die Uhr zugänglich.

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Video: © katholisch.de

Ein Besuch im christlichen Gebetsraum in der Malteser Flüchtlingsunterkunft in Hamm/Westfalen.

Ja, mit dem ein oder anderen gäbe es auch mal Probleme, wie das eben so wäre, wenn viele Menschen, Kulturen und Temperamente aufeinanderträfen. Von Vorfällen, bei denen die unterschiedliche Religion der Auslöser war oder dass etwa Christen über Repressionen klagen, davon kann Patrick Hofmacher, Geschäftsführer der Malteser Werke, nicht berichten. "Das ist in allen von uns betreuten Einrichtungen kein Thema." Daher werden Muslime und Christen auch nicht getrennt untergebracht. Die Gebetsräume liegen jedoch nicht direkt nebeneinander, "einfach, um zu vermeiden, dass sich jemand von jemand anderem provoziert fühlt", erklärt Hofmacher.

Seit über 25 Jahren sind die Malteser in der Flüchtlingsarbeit tätig. "Es ist unsere originäre Aufgabe, sich um Menschen auf der Flucht zu kümmern", meint er und zitiert den Leitsatz der Malteser "Bezeugung des Glaubens und Hilfe den Bedürftigen". Und Dieckmann ergänzt: "Was uns prägt, ist unsere Haltung."

Ein Rundgang durch die geschichtsträchtigen Gebäude soll das belegen: In den 1930ern von der Wehrmacht errichtet, dienten sie unter anderem englischen Soldaten als Unterkunft – und 1989 wurden genau hier die Malteser Werke gegründet. Im Herbst letzten Jahres wurden drei der ehemaligen Kasernengebäude renoviert und für Asylbewerber hergerichtet, zwei weitere sind noch in der Instandsetzung, dazu kommt die Kantine.

Die Leiter und Geschäftsführer
Bild: ©katholisch.de

"Was uns prägt, ist unsere Haltung." - Thilo Dieckmann (links), Leiter der Betreuung, Melanie Weyrich, stellvertretende Leiterin der Betreuung, und Patrick Hofmacher, Geschäftsführer der Malteser Werke.

Wir beginnen mit dem muslimischen Gebetsraum. Leiter Dieckmann klopft, steckt den Schlüssel ins Schloss, öffnet – keine Betenden. Der Raum ist auf das Wesentliche reduziert: Eine schlichte Auskleidung aus bemaltem Holz weist die Richtung gen Mekka, eine Uhr zeigt die Ortszeit. Der dicke rote Teppich mit dem weißen Streifenmuster prägt den Raum: "Den hat die muslimische Gemeinde gespendet", erklärt Dieckmann. Dann: Wieder abschließen. "Den Schlüssel kann sich jeder Bewohner an der Rezeption abholen", erklärt er. "Damit wollen wir verhindern, dass der Raum anderweitig genutzt wird."

Die Tür zum Kindergarten ein Stockwerk tiefer ist mit einem Tuch vor dem Zufallen gesichert, bunte Bilder hängen an den Wänden, schon von weitem blubbern fröhliche Kinderstimmen. Kaum drinnen, werden wir von vielstimmigem "Hallo!" nicht nur empfangen, sondern auch umringt und umarmt. Zwei Erzieherinnen kümmern sich um die Kinder von drei bis zwölf Jahren aus den unterschiedlichsten Ländern. Die Verständigung gehe oft nur mit Händen und Füßen, berichtet eine. "Die Spielsachen sind alle gespendet!", ruft Dieckmann, alles andere geht unter, weil Kindermünder jetzt ganz Wichtiges erzählen müssen, Kinderhände auf Spiele deuten und zaghaft am Ärmel ziehen, Kinderaugen bittend gucken. Zum Abschied winken alle. "Tschüüüüß!", das kann hier jeder sagen.

Thilo Dieckmann erklärt den Wegweiser
Der muslimische Gebetsraum in der ZUE Hamm.
Der Eingang zum Kindergarten
Stundenplan für Deutschunterricht.
Galerie: 4 Bilder

Vorbei geht es an einem Wegweiser am Eingang. Ein großes Schild auf Deutsch, Englisch und Arabisch zeigt, wo sich was befindet. Kiosk, Clubraum, Kleiderkammer – alles ist nicht nur erklärt, sondern auch mit Piktogrammen gekennzeichnet. "Das hängt in jedem Gebäude, so kann sich jeder zurechtfinden", erklärt Dieckmann.

Wer trotzdem Fragen hat, der geht zur Rezeption. Hinter der Theke steht Anja Shehata, ihre Augen blicken freundlich, sie lächelt. "Wir werden nach allem Möglichen gefragt, nach Hygieneartikeln und Freizeitgeräten wie Tennisschlägern, die wir hier ausgeben, oder nach Organisatorischem." Sie und ihre Kollegen aus dem Betreuerteam versuchen dann zu helfen. "Ich spreche Englisch und ein ganz bisschen Arabisch, aber wenn es kompliziert wird, dann hole ich einen Muttersprachler." Nicht alles aber wollten die Bewohner an der Theke besprechen. "Oft sehe ich schon an der Gestik und Mimik, ob es ein tieferes Problem gibt." Dann gehe sie schon mal um die Theke herum, um sich vertraulich mit der Person zu unterhalten.

Direkt nebenan liegt die Gesundheitsstation. Hier finden die Erstuntersuchungen statt, wenn die Flüchtlinge in Hamm ankommen, aber auch die Gesundheitsvorsorge mit Impfungen. Gerade ist Sprechstunde. Kira Sahli erklärt einer Frau etwas auf Arabisch, die Hände der Krankenschwester gestikulieren. "Shukran", sagt die Frau, "Danke". Kaum ist sie draußen, da klopft schon der Nächste. Ja, vor allem wenn es voll sei, könne es schwierig werden, erzählt sie: "Die meisten hier kommen aus Kriegsgebieten und haben Angst, dass sie nicht an die Reihe kommen. Denen müssen wir erst erklären, dass jeder drankommt, dann geht es. Das kennen die ja nicht."

Anja Shehata ist Ansprechpartnerin für alle Fragen.
Bild: ©katholisch.de

Einmal Duschgel bitte: Anja Shehata ist Ansprechpartnerin für alle Fragen.

Ihre Arbeit hier findet die resolute Frau dennoch reizvoll. "Es ist ein viel intensiveres Arbeiten als im Krankenhaus, weil es weniger Fälle gibt und ganzheitlicher ist." In manchen Fällen könne sie sich hier nämlich auch um mehr als die Behandlung kümmern, etwa, eine Möglichkeit zu finden, um einen alleinerziehenden Vater zu entlasten. Trotz aller professionellen Distanz gingen die Schicksale der Flüchtlinge nicht spurlos an ihr vorbei. "Man würde lügen, wenn man sagen würde, dass es einem nicht nahe geht." Schon wieder klopft es an der Tür, der nächste Patient ist dran.

Oft mit im Behandlungszimmer sitzt Deler Medour. Der Schüler hilft als Freiwilliger, übersetzt ins Arabische oder Kurdische. Das ist gerade bei Fachbegriffen keine leichte Aufgabe. "Ich lasse es mir erst vom Arzt genau erklären und dann versuche ich, ein passendes Wort zu finden", erklärt der 22-Jährige seine Methode. "Manchmal probiere ich verschiedene Möglichkeiten, bis ich an seinem Blick sehe, dass der Patient verstanden hat." Zu seinem Ehrenamt hat er bei einem Treffen mit Flüchtlingen in der Hammer Stadtbücherei gefunden, jetzt hilft er mehrmals in der Woche aus. Seine Freizeit opfern für Flüchtlinge? "Hier sind Menschen, die wirklich Hilfe brauchen", sagt er und zuckt mit den Schultern.

Schaukelnde Kinder in der Flüchtlingsunterkunft
Deler Medour hilft als Freiwilliger aus.
Adriana Göckler in der Kleiderkammer.
Der christliche Gebetsraum in der ZUE Hamm.
Galerie: 4 Bilder

Dann geht es ins nächste Gebäude, zur Kleiderkammer. Hier stehen Schuhe in Reih und Glied, Pullover ordentlich auf mehreren Stapeln, an einem Kleiderständer hängen dicke Jacken. Ein prüfender Blick von Adriana Göckler: Alles hängt am richtigen Platz. Sie arbeitet in der Kleiderkammer, die jeder Flüchtling einmal während seines Aufenthaltes besuchen darf. "Jeder bekommt ein Bekleidungspaket. Aber viele wollen natürlich mehr mitnehmen. Das ist ja klar, die kommen oft nur mit den Kleidern, die sie auf der Flucht anhatten." Gerade bei Kinderkleidung drücke sie dann gern ein Auge zu: "Die wird ja so schnell dreckig, da braucht man was zum wechseln." Eigentlich täglich bekämen sie und ihre Mitarbeiterinnen Kleiderspenden, die sie nach Brauchbarkeit und Größe sortieren. "Sportkleidung ist sehr beliebt, die ist eben bequem", vermutet die blonde Frau. Was ihr fehlt: "Herrenkleidung in kleinen Größen! Deutsche Männer sind viel größer als die meisten Flüchtlinge!"

Letzte Station: Der Gebetsraum für Christen. Dieser Raum ist ebenso verschlossen, auch hier betet gerade niemand. Stühle stehen in mehreren Reihen, ein großes Kreuz hängt an der Wand, davor mehrere verzierte Kerzen – und viele Bibeln. "Wir haben die Bibel hier in den verschiedensten Sprachen: Arabisch, Farsi, Englisch...", zählt Dieckmann auf. Wie werden diese Räume denn angenommen? "Wie viele es nutzen, können wir nicht zählen. Aber die Schlüssel werden ausgeliehen, und zwar beide."

Linktipp: Auf der Flucht

Die Flüchtlingskrise fordert Staat, Gesellschaft und Kirchen mit ganzer Kraft heraus. Auch die katholische Kirche in Deutschland engagiert sich umfangreich in der Flüchtlingsarbeit. Weitere Informationen dazu auf unserer Themenseite.
Von Johanna Heckeley