Wie Jesuiten sambischen Kindern zu Schulbildung verhelfen

Lernen vom Band

Veröffentlicht am 23.08.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Im Vorgergrund bedient ein farbiger Mann einen violett-farbenenes Radiogerät, er ist umringt von Kindern.
Bild: © KNA
Afrika

Lusaka ‐ Wenn auf den kaum erkennbaren Savanne-Pisten im Süden Sambias ein Jeep mit halsbrecherischer Geschwindigkeit unterwegs ist, dann handelt es sich vermutlich um Father Kelly Michelo, der eines seiner Projekte besucht. Der einheimische Jesuitenpater , an dem zweifellos ein ausgezeichneter Rallye-Fahrer verloren gegangen ist, leitet ein Ausbildungsprojekt in der Region Chikuni.

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Es ist auf halber Strecke zwischen der Hauptstadt Lusaka und den berühmten Victoria-Fällen gelegen. Der Bedarf an Bildung ist groß: "In Sambia ist die Analphabetenrate zu hoch, das gilt für Eltern ebenso wie für Kinder. Wir richten unseren Fokus auf die Kinder. Aber wir ermutigen auch die Eltern, Lesen und Schreiben zu lernen, denn sonst können sie keine Verantwortung für sich übernehmen."

"Das Leben kommt vor den Dogmen"

Father Kelly, wie ihn alle nennen, geht es nicht nur um Schreiben und Rechnen, sondern auch um Sexual- und HIV-Aufklärung. HIV/AIDS ist im südlichen Afrika nach wie vor weit verbreitet, und viele junge Frauen und Männer gehen sorglos mit dem Problem um. Mit ihrer Aufklärung bewegen sich die Jesuiten hart am Rande der offiziellen katholischen Lehre.

Nahaufnahme eines blauen Radio-Geräts
Bild: ©KNA

Im Ausbildungsprojekt des Jesuitenpaters Father Kelley in Sambia zentraler Bestandteil des Unterrichts: Lernen via Radio und CD.

Doch vor Ort handeln sie nach dem Prinzip "das Leben kommt vor den Dogmen", wie Andrejs Lesniara betont. Seit über zehn Jahren lebt der polnische Pater im Süden Sambias. Die Kurie, so bedauert er, sei weit weg von den Menschen. Der Gebrauch von Kondomen wird von den Ordensleuten zwar nicht ausdrücklich propagiert, aber doch als Option deutlich gemacht. Der Handlungsbedarf in Sambia ist groß.

Mutterschaft statt Mathepauken

Der Weltgesundheitsorganisation zufolge entfallen über 90 Prozent der HIV-Neuinfektionen auf Afrika südlich der Sahara. 60 Prozent der Infizierten sind Frauen. In Sambia steuert die Zahl der AIDS-Waisen auf die Eine-Million-Marke zu; das betrifft etwa jedes fünfte Kind im Land.

Diese Entwicklung wird dadurch verstärkt, dass bei Mädchen das Bewusstsein für Bildung wenig entwickelt ist. Statt nach einem guten Abschluss streben die meisten 15-, 16- oder 17-Jährigen danach, möglichst bald Mutter zu werden. Nichts erhöht ihr Ansehen in den ländlichen Gebieten mehr als die Geburt eines Kindes.

Das geringe Interesse an einem Schulabschluss ist nicht die einzige Herausforderung, mit der sich die Jesuitenpater konfrontiert sehen. Ebenso schwierig ist es, in solch abgelegenen Regionen Lehrer zu finden.

Unterricht im Radio

So kam Father Kelly auf eine Idee, die auch in Lateinamerika bereits erfolgreich angewandt wurde. Ein Teil des Schulunterrichts wird via Radio erteilt und von Tutoren begleitet, die eine dreimonatige pädagogische Kurzausbildung absolviert haben. Inzwischen erhält die Initiative internationale Unterstützung, unter anderem von der deutschen Kindernothilfe.

Einer, der mit großem Engagement das Chikuni-Projekt fördert, ist Simulimya Chrispise. Der Lehrer hat den Pater begleitet, als es darum ging, die Dorfbewohner vom Schulunterricht zu überzeugen: "Die Schulen waren früher viel zu weit weg, für manche Kinder zehn Kilometer. Da war es nicht schwer, die Gemeinden jetzt von dem neuen Konzept zu begeistern."

Es ist heiß in den Klassenräumen, auch wenn alle Fenster geöffnet sind. Die Kinder der 4. Klasse im Dorf Sintemba scheint das nicht zu stören. Gebannt folgen sie der Stimme aus dem Radiorecorder. Die CD, der sie lauschen, wurde von den Jesuiten gemeinsam mit dem Erziehungsministerium für jede Altersstufe gestaltet.

Immer wieder fordern die Tutoren die Schüler auf, das Gehörte zu wiederholen. Bei den Kleinen ist es zudem nötig, den englischen Text in die lokale Sprache zu übersetzen, doch sie lernen schnell und begierig. Nach einer dreiviertel Stunde wandert das blaue Gerät weiter in die nächste Klasse.

Viertklässler kichern

Eine Lehrstunde via CD hat es in sich. Sie umfasst Mathematik, Englisch, Schreiben, Biologie und Sexualkunde; zehn Minuten bleiben im Schnitt pro Fach. Anschließend sorgen die Tutoren dafür, dass der Stoff hängenbleibt: Sie hören Vokabeln ab, lassen die Schüler an der Tafel schreiben und lösen Matheaufgaben.

Im Sexualkundeunterricht erklärt der Tutor sachlich und nüchtern anhand großer Schautafeln, wie die Befruchtung funktioniert. Das finden die Viertklässler eher zum Kichern.

Offensichtlich funktioniert das Prinzip, wie Father Kelly stolz vermerkt: "Die Schüler unseres Projekts weisen im Schnitt viel bessere Abschlüsse auf als an staatlichen Schulen, wo zahlreiche Stunden ausfallen und viele Lehrer wenig motiviert sind." Der Schlüssel zum Erfolg sind auch die Tutoren, die aus den Dörfern stammen und mit großem Einsatz bei der Sache sind.

Schuleigener Garten

In Sintemba bleiben die Schüler gern auch noch nach dem Unterricht zusammen, denn sie haben einen kleinen Garten angelegt. Mit Begeisterung schauen sie, wie die Pflanzen wachsen und was bald geerntet werden kann - Biologie-Unterricht in seiner ureigensten Form.

Eines freut die Initiatoren besonders: Selbst Erwachsene nehmen das Bildungsangebot an, darunter das Dorfoberhaupt Bruno Munyanzwe. Der drahtige 62-Jährige, der immer in Gummistiefeln herumläuft, lebt ganz in der Tradition. Drei Frauen und 22 Kinder leben in seinem Haushalt.

Als die Jesuiten seinem Dorf anboten, Unterricht per CD zu erteilen, packte auch ihn das Interesse, noch Lesen und Schreiben zu lernen. Der Vorbildcharakter könnte nicht größer sein.

Von Klemens Ludwig (KNA)