Liturgiker: Kontroverse Vaterunser-Bitte weglassen
Der Münsteraner Liturgiewissenschaftler Clemens Leonhard plädiert dafür, den Text des Vaterunsers für den Einsatz in der Liturgie zu ändern. Die Bitte "Und führe uns nicht in Versuchung" könne für den liturgischen Gebrauch entweder umformuliert oder sogar ganz gestrichen werden, schreibt er in der aktuellen Ausgabe der Herder-Korrespondenz.
Eine solche Lösung sei gerechtfertigt, wenn liturgische Texte "für die Menschen, die sie beten, mit guten Gründen unerträgliche Inhalte haben". Dies sei bei der durch neue Übersetzungen im französischen Sprachraum und eine Äußerung des Papstes neuerlich in die Diskussion geratene Vaterunser-Bitte der Fall. Leonhard unterscheidet in seinem Plädoyer zwischen einem rein rituellen Vollzug einerseits, und einem Beten, das über das rituelle Sprechen des Gebets hinaus auch ein Verstehen und damit Ernstnehmen des Sinngehalts erfordert. Das Beten des Vaterunsers im Gottesdienst allein als Ritual zu verstehen, hält er für nicht angemessen: "Wenn man das Vaterunser nicht ändern darf, nähert sich das Sprechen [...] dem Vollzug eines Zauberspruchs an."
Auch andere biblischen Texte würden für die Liturgie angepasst
Der Liturgiker weist darauf hin, dass es auch an anderen Stellen der Liturgie "die Regel und nicht die Ausnahme" sei, dass biblische Texte angepasst werden. Dies gelte für die Zusammenstellung einzelner Abschnitte in den Lesungen, die Einsetzungsworte der Eucharistie und die Psalmen, bei denen "anstößige Zeilen" für das Gebet getilgt werden. Die Frage nach dem theologischen Gehalt der Bitte, Gott möge nicht in Versuchung führen, ist für Leonhard ein Problem, "das bedacht werden muss": Das liturgische Sprechen des Vaterunsers sei dafür aber kein geeigneter Ort. Daher sei die Debatte über eine Änderung oder sogar ein Weglassen im liturgischen Beten geboten.
Anlass der aktuellen Diskussion über die Bitte "Und führe uns nicht in Versuchung" war eine Änderung des französischen Textes. Seit Ende 2017 lautet die Bitte auf französisch "ne nous laisse pas entrer en tentation", "lass uns nicht in die Versuchung eintreten". Auch im Spanischen, Portugiesischen und demnächst im Italienischen wird eine freiere Übersetzung verwendet. Papst Franziskus sprach sich in einem Fernsehinterview deutlich für eine freiere Übersetzung aus und löste damit eine weltweite Debatte aus: "Ein Vater tut so etwas nicht; ein Vater hilft sofort wieder aufzustehen. Wer dich in Versuchung führt, ist Satan", so der Papst Ende des vergangenen Jahres. Die deutschen Bischöfe haben sich dagegen im Einklang mit der evangelischen Kirche Deutschlands gegen eine Änderung positioniert. (fxn)