NRW-Schulministerin zum islamischen Religionsunterricht

Löhrmann will Islamunterricht ausbauen

Veröffentlicht am 22.04.2017 um 13:00 Uhr – Lesedauer: 
Löhrmann will Islamunterricht ausbauen
Bild: © KNA
Islam

Düsseldorf ‐ Vor fünf Jahren hat Nordrhein-Westfalen als erstes Bundesland islamischen Religionsunterricht eingeführt. Schulministerin Sylvia Löhrmann (Grüne) zieht im Interview Bilanz.

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Frage: Frau Löhrmann, sind Sie zufrieden mit der Etablierung des islamischen Religionsunterrichts?

Löhrmann: Der islamische Religionsunterricht leistet einen wichtigen Beitrag zur Erfüllung des Grundrechts auf Religionsfreiheit und zu einer gelingenden Integration. Eine erste wissenschaftliche Evaluation zeigt, dass diese Ziele erreicht werden und das Fach positiv angenommen wird. Wir bieten den muslimischen Schülerinnen und Schülern einen modernen und aufgeklärten Religionsunterricht an, genauso wie wir es für katholische, evangelische, jüdische oder alevitische Kinder und Jugendliche tun.

Frage: Von den landesweit rund 364.000 muslimischen Schülern erhalten nicht einmal fünf Prozent den islamischen Religionsunterricht. Das ist nicht gerade viel.

Löhrmann: Das ist richtig. Deshalb werden wir das Angebot weiter ausbauen. Das kann aber nur schrittweise gehen. Das Fach musste ja zunächst erst einmal eingeführt sein, bevor mit der Ausbildung von Fachlehrerinnen und Fachlehrern begonnen werden konnte. Sie können Lehrkräfte ja nicht auf Verdacht ausbilden. Mittlerweile wird das Fach an 200 Schulen unterrichtet. Dort wo es angeboten wird, ist die Resonanz bei Schülerinnen, Schülern, Eltern und Lehrkräften eindeutig positiv.

Frage: Ist die Nachfrage danach gar nicht so groß? 224 Lehrer haben die Lehrerlaubnis für das Fach, aber nur 167 Pädagogen unterrichten es.

Löhrmann: Das kann am jeweiligen Einsatzort der Pädagoginnen und Pädagogen liegen. Denn es muss immer eine Mindestzahl von Schülerinnen und Schülern für den Unterricht zusammenkommen. Erst wenn sich mindestens zwölf Schülerinnen und Schüler finden, kann das Fach - auch schulübergreifend - eingerichtet werden. Andererseits ist es aber auch gut, dass wir Lehrkräfte in Zertifikatskursen qualifizieren konnten und eine gewisse Reserve haben. Ab dem kommenden Schuljahr erwarten wir die ersten Absolventinnen und Absolventen des Studiengangs Islamische Theologie in Münster.

Bild: ©MSW NRW

Sylvie Löhrmann ist seit 2010 Ministerin für Schule und Weiterbildung und stellvertretende Ministerpräsidentin des Landes Nordrhein-Westfalen.

Frage: Muslim ist nicht gleich Muslim - auch hier gibt es konfessionelle Unterschiede. Welches Vertrauen haben die Eltern in das Schulfach?

Löhrmann: Der Islam ist völlig anders organisiert, als wir das von unseren christlichen Kirchen kennen. Deshalb haben wir einen Beirat gebildet, der die religiöse Lehrerlaubnis für die Religionslehrkräfte erteilt und am Lehrplan mitwirkt. Diesem Beirat gehören Vertreterinnen und Vertreter der vier größten Islamverbände an. Und um auch die nichtorganisierten Muslime zu berücksichtigten, entsendet das Schulministerium weitere vier Mitglieder in dieses Gremium. Das Beiratsmodell trägt also der Vielfalt des Islam Rechnung. Kritik seitens der Eltern ist uns nicht bekannt.

Frage: Und die Eltern akzeptieren diese Art überkonfessionellen islamischen Religionsunterrichts?

Löhrmann: Ja, sie sind froh, dass ihre Kinder wie die Schülerinnen und Schüler der anderen Konfessionen Religionsunterricht bekommen. Diese Wertschätzung schlägt sich letztlich in Heimatverbundenheit nieder, was die Integration sehr fördert. Und weil der Unterricht auf Deutsch stattfindet, können sich die Kinder auch in ihrem Umfeld und ihrer Nachbarschaft über ihren Glauben austauschen. Das trägt zum gesellschaftlichen Zusammenhalt bei - gerade in der heutigen Zeit ein sehr hohes Gut.

Frage: Was kann Ihr Haus zu mehr Dynamik in der Entwicklung des islamischen Religionsunterrichts beitragen?

Löhrmann: Wir richten die für den Ausbau erforderlichen Stellen ein, in den vergangenen Jahren waren das jährlich rund 50. Im Laufe dieses Jahres werden die ersten Referendarinnen und Referendare in die Schulen kommen. Das wird zu einer größeren Sichtbarkeit des Faches führen. Aber klar: Was die Ausbaudynamik betrifft, kann es gerne mehr werden. Der gesamte Weg ist erfreulicherweise zwischen SPD, CDU, und Bündnis 90/Die Grünen unumstritten, die das Gesetz 2011 gemeinsam verabschiedet haben.

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Politiker wie Kirchenvertreter fordern immer wieder mehr Islamunterricht an deutschen Schulen. Doch bislang hat das Fach keine große Verbreitung. Und Probleme sehen manche auch bei den Lehrern.

Frage: Die Islamverbände ziehen nicht immer an einem Strang. Wie funktioniert die Zusammenarbeit im Beirat?

Löhrmann: Bislang ist keine Idschaza, also die Lehrerlaubnis, verweigert worden. Auch bei den Lehrplänen hat es keine Konflikte gegeben. Erst in Folge der Debatte über die Türkei und die Rolle der Ditib habe ich personelle Konsequenzen gezogen und darauf gedrungen, dass die Ditib ihre Mitarbeit ruhen lässt. Ich möchte nicht, dass der Beirat politisiert wird und damit seine Arbeit diskreditiert wird.

Frage: Weil die Islamverbände nicht als Religionsgemeinschaft anerkannt sind, wurde der Beirat als Übergangslösung eingerichtet - aber nur bis 2019. Nach den Turbulenzen um die Ditib sieht es nicht danach aus, dass die Verbände bis dahin als Religionsgemeinschaft anerkannt sind. Bleibt der Beirat eine Dauerlösung?

Löhrmann: Bis 2019 gibt es eine abschließende Evaluation - und dann muss sich ein neuer Landtag dazu verhalten. Was den Anerkennungsprozess angeht, hat die Staatskanzlei Gutachter beauftragt, die feststellen müssen, ob die islamischen Verbände als Religionsgemeinschaft gemäß Artikel 7 Absatz 3 Grundgesetz angesehen werden können. Das sind hohe Hürden. Alle Fraktionen des Landtags sind in den Untersuchungsprozess eingebunden. Das ist auch richtig so, weil der Landesregierung an einem Konsens gelegen ist. Die abschließende Feststellung, ob es sich bei den Verbänden um Religionsgemeinschaften handelt, mit denen das Land auch ohne Vermittlung über einen Beirat Religionsunterricht anbieten kann, nimmt die Landesregierung in eigener Verantwortung vor.

Frage: Der Landesregierung liegen bereits zwei Gutachten zur Ditib vor. Warum zieren Sie sich so, die Ergebnisse zu veröffentlichen?

Löhrmann: Der Prüfprozess ist noch nicht abgeschlossen. Bisher liegt das rechtswissenschaftliche Gutachten vor. Derzeit wird zudem ein religionswissenschaftliches Gutachten zu dieser Frage erstellt. Dieses Gutachten ist aufgrund der Ereignisse in der Türkei erweitert worden und soll bis zur zweiten Jahreshälfte 2017 vorliegen. Erst die endgültige Fassung beider Gutachten stellt das Gesamtgutachten dar, das auch veröffentlicht werden soll.

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Video: © Diözese Rottenburg-Stuttgart

Islamischer Religionsunterricht in Baden-Württemberg. Ein Unterricht aus der Perspektive des Glaubens.

Frage: Wie kann der Staat dafür garantieren, dass der türkische Staat über die Ditib nicht Lehrplan und Lehrerlaubnis mitbestimmt.

Löhrmann: Indem das Schulministerium die Lehrpläne abschließend verantwortet. Und die Ditib lässt ja im Moment ihren Sitz ruhen. Wir hatten aber auch vorher im Beirat diesbezüglich keine Interventionen. Das hohe Gut dieses Unterrichts ist doch, dass er unter staatlicher Schulaufsicht stattfindet, mit in Deutschland ausgebildeten Lehrkräften und eben nicht mit aus der Türkei finanzierten Imamen.

Frage: Eine strukturelle Loslösung der Ditib von der Türkei gelingt doch nur, wenn der Verband finanziell unabhängig wird. Doch die Beiträge der Mitglieder in den 900 Moscheegemeinden reichen hinten und vorne nicht, um die Imame zu finanzieren. Können Sie sich eine staatliche Förderung der islamischen Verbände vorstellen, damit sie auf eigene Füße kommen?

Löhrmann: Das müsste in einem Vertrag geregelt werden, den das Land mit den muslimischen Gemeinden schließt. Da die Muslime die drittgrößte Bevölkerungsgruppe stellen, wäre es naheliegend, dass man hier Vereinbarungen trifft. Ich weiß, dass darüber auch in Kommunen Diskussionen laufen - und zwar von Bürgermeisterinnen und Bürgermeistern jeder Couleur. Hier geht es zum Beispiel um die soziale Infrastruktur wie Altenheime und andere karitative Einrichtungen. Die Frage der finanziellen Förderung steht an - aber das wird ein Thema für die nächste Legislaturperiode sein.

Von Von Andreas Otto (KNA)