Lutherjahr – außer Thesen nichts gewesen?
Pro: Kleine ökumenische Schritte
Ein Jahr Reformationsjubiläum. Bei der Frage "was bleibt hängen?" denke ich zunächst an die Schlagzeilen: Der Papst, der am Reformationstag 2016 das Gedenkjahr mit dem Lutherischen Weltbund in Lund eröffnete und damit der offiziellen Eröffnung in Berlin etwas die Show stahl. Der ökumenische Buß- und Versöhnungsgottesdienst. Der Abschlussgottesdienst des Evangelischen Kirchentags in Wittenberg mit relativ wenigen Besuchern. Und in den christlichen Medien: viele wertschätzende Bischofs-Worte über die jeweils andere Konfession, wenig Konkretes.
Das erscheint auf den ersten Blick nicht besonders prägend für die Zukunft. Aber wenn ich auf meine eigenen Erfahrungen der letzten zwölf Monate schaue, sieht es schon anders aus: In der sonst so katholischen Stadt Köln wurden die vielen evangelischen Kirchen für mich sichtbar, weil sie mit großen Bannern für Veranstaltungen während des Gedenkjahrs warben. Und bei ökumenischen Großveranstaltungen begegneten mir Menschen, für die Ökumene ein Herzensanliegen ist. Wenn Rentner mir erzählt haben, dass sie als unehelich geborene "Bastarde" galten, weil ihre konfessionsverschiedenen Eltern nicht heiraten durften, oder dass man die Christen des jeweils anderen Bekenntnisses absichtlich ärgerte und beschimpfte, dann werden die vermeintlich kleinen Fortschritte in der Ökumene wieder größer.
Berliner Katholiken haben während des Evangelischen Kirchentags Ende Mai Protestanten ihre Wohnungen geöffnet und eine Unterkunft angeboten. 8,6 Prozent der Teilnehmer waren gar Katholiken, etwa aus konfessionsverbindenden Ehen oder aus der Diaspora des Berliner Umlands. Auch Ordensleute nahmen am Kirchentag teil und bekamen positive Veränderungen zu spüren: Während sie noch 2001 feindselig als "Speerspitze der Gegenreformation" bezeichnet wurden, wurden sie nun auf Spiritualität angesprochen. Bei diesem Jubiläum fehlte erfreulicherweise die anti-katholische Stoßrichtung vergangener Veranstaltungen.
Zudem blieben die Protestanten beim Thema Ökumene im Jahr 2017 endlich nicht mehr nur bei uns Katholiken stehen: An der "orthodoxen Vesper in ökumenischer Gemeinschaft" nahmen beim Kirchentag – anders als noch 2015 – orthodoxe Christen diverser Strömungen teil. Orthodoxe waren auch beim Gottesdienst zum Fest der Kreuzerhöhung im September in Trier.
Als nächsten Schritt denkt Ökumene-Bischof Gerhard Feige darüber nach, dass man in allen Gottesdiensten eine Fürbitte füreinander hält. Das Gebet füreinander und das Zusammenhalten wird in Zukunft noch viel wichtiger: Nicht nur gegenüber einer säkulareren Gesellschaft sondern auch gegenüber vermeintlichen Verteidigern des Abendlandes, die von christlichen Werten nichts wissen (wollen).
Contra: Akute Luther-Übersättigung
Eigentlich fand ich Martin Luther immer ziemlich sympathisch. Ein Rebell, der sich gegen eine schier übermächtige Institution stellt – mal ehrlich, diesen Mut hätten wir doch alle gern. Aber im zu Ende gehenden Reformationsjubiläum war mir Luther allzu omnipräsent. Luther hier, Luther da, Luther überall – ich leide an akuter Reformator-Übersättigung.
Vielleicht hatte man bei der evangelischen Kirche gehofft, mit dem Popstar Luther in diesem Jubiläumsjahr auch über die eigene Kirche hinaus Aufmerksamkeit erregen zu können. Falls es diese Hoffnung tatsächlich gab, wurde sie grandios enttäuscht. Außerhalb der kleinen kirchlichen Filterblase habe ich niemanden getroffen, dem es ein ernsthaftes Bedürfnis gewesen wäre, über Luther und die Reformation zu diskutieren.
Überhaupt hat mir in diesem Jahr das Kontroverse gefehlt. Wo war die Debatte? Wo der Streit? Es hätte doch wahrhaft genug Anknüpfungspunkte gegeben, um innerhalb der evangelischen Kirche, aber auch im ökumenischen Dialog leidenschaftlich zu diskutieren. Vielleicht gab es diese Veranstaltungen – mitbekommen habe ich davon aber nichts. Stattdessen wurde gerade im ökumenischen Dialog jede Menge Harmoniesoße ausgegossen. Der fortdauernden historischen und kirchlichen Herausforderung der Reformation und den aus resultieren Zukunftsfragen wurde man so kaum gerecht.
Hinzu kommt: Für manchen Amtsträger mag es eine neue Erkenntnis gewesen sein, dass die Anderen – also je nach Perspektive die Katholiken oder die Protestanten – auch ganz nett sind. An der Basis ist das aber schon lange klar, dort wird die Ökumene gelebt. Umso wichtiger wäre es gewesen, wenn dieses gute Miteinander durch kraftvolle Beschlüsse der Kirchenleitungen weiter aufgewertet worden wäre.
Doch die von vielen Christen erhofften Fortschritte blieben trotz der neuen Nähe von evangelischen und katholischen Bischöfen aus. Das ist vor allem mit Blick auf die Interkommunion, also den wechselseitigen Empfang von Kommunion und Abendmahl, schmerzlich. Die Betroffenen – zum Beispiel Menschen, die in einer gemischtkonfessionellen Ehe leben – bleiben auch nach diesem Jubeljahr mit ihrem Problem allein. Zwar mag es für die fortdauernde Trennung am Tisch des Herrn gute theologische Gründe geben – die versteht nur kaum noch jemand. Auch hier wurde eine große Chance verpasst.