Marx: Europa braucht Glaube, Vernunft und Gefühl
Die gegenwärtige europäische Krisensituation stelle Gesellschaft, Politik sowie die Kirchen vor die große Herausforderung, nach neuen Begründungsmustern für eine "Zivilisation der verantwortungsvollen Freiheit" zu suchen, sagte Marx in seiner Rede. Das seit dem Ende des Kommunismus etablierte europäische Selbstverständnis habe "keine Bestandsgarantie" und fordere heute eine Weiterentwicklung - mutig nach vorne blickend, ohne restaurative Tendenzen, so Marx. Dazu könnten auch der christliche Glaube und seine eng mit der europäischen Freiheitsgeschichte verwobene Tradition einen wichtigen Beitrag leisten.
Angesichts der aktuellen Lage in Europa sieht Marx Umbrüche, die zu einer epochalen Veränderung gehören könnten. "Nicht nur in der Türkei, sondern auch hier bei uns, in den Familien, höre ich vielfach, dass man über Politik nicht mehr offen reden kann, ohne dass es zum großen Streit kommt", so der Kardinal. Dabei beobachte er zwei Tendenzen: Auf der einen Seite sei das eine "erregte Gesellschaft", auf der anderen Seite eine "Erkaltung im Miteinander, in der Solidarität". Die Gesellschaft bewegten neue Leidenschaften, Ungleichheit, Ängste und Aggressionen. Es mache ihm Sorgen, "dass nicht Freiheit und Menschenwürde, sondern Abgrenzung und Angst sowie neue Nationalitäten zum Vorschein kommen".
Marx: Kirche neigt zur Überbetonung des Gefühls
Die Forderung nach einer neuen Synthese von Glaube, Vernunft und Gefühl gelte auch im innerkirchlichen Raum. Die Kirche neige dazu, das Gefühl gegenüber dem Verstand überzubetonen. Glaube könne jedoch als Teil einer "Aufklärung über die Aufklärung" verstanden werden. Dies müsse gerade in einem "religiös aufgeheizten Umfeld" immer wieder betont werden. "Wer das Evangelium hört, die Botschaft Jesu meditiert, der kann kein Fundamentalist werden", so der Kardinal.
Linktipp: "Wichtiger Beitrag für die Seele Europas"
Kardinal Marx hat die Christen in Europa zu engerer Zusammenarbeit aufgerufen. Das Zeugnis ihrer Einheit sei "ein wichtiger Beitrag für die Seele Europas", sagte Marx bei einem Christen-Kongress in München.Ein konkreter Beitrag der Kirche zu einer "Zivilisation verantwortungsvoller Freiheit" könne laut Marx etwa in einer mutigen Fortentwicklung der Pädagogik auch durch die Kirchen bestehen. Zwar pflege man kirchlicherseits ein breites System von kirchlichen Schulen, "aber mir ist nicht bekannt, dass wir uns bei der Entwicklung eines ganzheitlichen Bildungskonzepts bisher sehr hervorgetan haben", so Marx. Ein Ziel müsse etwa darin bestehen, ein "nur instrumentelles Verständnis von Bildung" aufzubrechen.
Marx sprach zum Abschluss der Salzburger Hochschulwochen. Diese fanden 1931 zum ersten Mal statt. Ihr Ziel ist es, ein universitäres, interdisziplinäres Forum zu bilden, in dem sich die Theologie dem Dialog über aktuelle Fragen mit säkularen Wissenschaften stellt.
Schockenhoff erhält "Theologischen Preis" 2017
Im kommenden Jahr soll anlässlich der Veranstaltung der Freiburger Moraltheologe Eberhard Schockenhoff (63) mit dem "Theologischen Preis" der Salzburger Hochschulwochen ausgezeichnet werden, wie die Veranstalter bekanntgaben. Schockenhoff, der sich in seiner Forschung unter anderem mit dem Thema Stammzellforschung befasst, war neben seiner universitären Tätigkeit seit 2001 bis zu diesem Jahr Mitglied des Deutschen Ethikrats. Frühere Träger der mit 5.000 Euro dotierten Auszeichnung sind unter anderen die Kardinäle Walter Kasper und Karl Lehmann sowie der Theologe Johann Baptist Metz und der Sozialwissenschaftler Jose Casanova. (kim/KNA)