Hilfswerk Misereor zur Situation der Flüchtlinge in Mali

"Menschen als Schutzschilder"

Veröffentlicht am 20.01.2013 um 00:00 Uhr – Lesedauer: 
Mali-Konflikt

Bonn ‐ Der Konflikt in Mali spitzt sich weiter zu. Das malische Militär kämpft zusammen mit französischen Soldaten gegen den Vormarsch von Islamisten aus dem Norden. Das Zentrum des Landes ist weitgehend abgeschnitten und für Hilfsorganisationen nicht zugänglich. Dorothee Zimmermann, Regionalreferentin Westafrika von Misereor, erläuterte am Freitag in Aachen in einem Interview der Katholischen Nachrichten Agentur (KNA) die Lage in dem Land.

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Frage: Frau Zimmermann, Hundertausende Menschen sind innerhalb des Landes oder in die Nachbarländer geflohen. Hat die französische Militärintervention der Zivilbevölkerung mehr Leid als Hilfe gebracht?

Zimmermann: Zunächst muss man sagen, dass der Konflikt vor einem Jahr begonnen hat. Die Machtübernahme in Nordmali durch die Rebellen und radikalen Islamisten hat dann zu massiven Flüchtlingsbewegungen geführt. Wir stehen in engem Kontakt mit unseren Partnerorganisationen in Mali und den Nachbarländern und erfahren, dass es seit den militärischen Auseinandersetzungen zu weiteren Flüchtlingsbewegungen gekommen ist. Allerdings hat das malische und französische Militär Straßensperren eingerichtet, um die Bewegung der Rebellen zu stoppen. Außerdem fürchten die Menschen auf der Flucht Angriffe durch die radikalen Islamisten. Wenn es gelänge, einen humanitären Korridor einzurichten, würde die Flüchtlingsbewegung sicher noch einmal zunehmen.

Frage: Das heißt, durch die Militärintervention hat sich die Lage der Bevölkerung im Norden erst mal verschlechtert?

Zimmermann: Die Versorgungssituation im Norden ist ja schon seit Ausbruch der Krise sehr kritisch. Die Menschen sind abgeschnitten vom Rest des Landes, und ein humanitäres Arbeiten ist dort derzeit nicht möglich. Es ist ja auch in keiner Weise abzusehen, wie lange die militärischen Auseinandersetzungen noch andauern werden und wie sich die Lage für die Bevölkerung im Norden entwickeln wird.

Dorothée Zimmermann, Regionalreferentin Westafrika, Hilfswerk Misereor, Mali
Bild: ©KNA

Dorothée Zimmermann, Regionalreferentin Westafrika des Hilfswerks Misereor

Frage: Wie ist denn ihre Lage - sowohl in Mali als auch in den Nachbarländern?

Zimmermann: Die Menschen, die innerhalb Malis geflüchtet sind, haben bisher noch überwiegend bei Familie und Freunden Unterkunft gefunden. Vor dem Hintergrund der ohnehin schwierigen Versorgungslage bedeutet das eine zusätzliche Belastung. Im Norden Burkina Fasos, im Norden Nigers und in Mauretanien gibt es bereits seit dem letzten Jahr Flüchtlingslager, in die sich die Menschen gerettet haben. Der Leiter der katholischen Entwicklungs- und Nothilfeabteilung in Burkina Faso sagte mir heute, dass in Dori etwa

400 neue Flüchtlinge pro Tag eintreffen. Eine weitere Unterstützung der betroffenen Menschen ist auf jeden Fall notwendig, zumal mit einer weiteren Zunahme von Flüchtlingen gerechnet werden muss.

Frage: Wie ist die Stimmung bei den Flüchtlingen? Ist es vorstellbar, dass sie irgendwann wieder in die Heimatorte zurückkehren?

Zimmermann: Im Moment herrscht in der Bevölkerung eine große Erleichterung und Dankbarkeit über die französische Militäroperation vor. Ich denke, die meisten Menschen haben den Wunsch, in ihre Heimat zurückzukehren, aber sie stellen sich darauf ein, dass dies so bald nicht möglich sein wird.

Frage: Das Zentrum des Landes ist weitgehend abgeschnitten...

Zimmermann: ... es gibt ja mehrere Orte, wo Kampfhandlungen stattfinden. Im Norden, aber auch in Zentralmali, in der Stadt Diabali, etwa 400 km von Bamako entfernt, wird gekämpft. Das Problem ist, dass es keine wirklich gesicherten Informationen darüber gibt. Über die Bevölkerung erfährt man nur, dass die Kämpfe in der Stadt Diabali andauern. Die islamistischen Kämpfer haben sich offenbar in Privathäusern verschanzt und benutzen die Menschen als Schutzschilder.

Frage: Wie schätzen Sie die Sicherheit der Hilfsorganisationen ein? Ist das Risiko seit der Geiselnahme in Algerien gestiegen?

Zimmermann: Aus dem Norden des Landes haben sich ja ohnehin bereits im letzten Jahr alle ausländischen Hilfsorganisationen aus Sicherheitsgründen zurückgezogen. In der Hauptstadt Bamako ist die Lage zurzeit ruhig, wenn auch extrem angespannt. Es herrscht eine hohe Militärpräsenz in den Straßen vor. Die Geiselnahme in Algerien als Vergeltungsschlag macht die Dimension des Konflikts in der gesamten Region mehr als deutlich.

Frage: Wird die Militärintervention die Lage stabilisieren?

Zimmermann: Es besteht Konsens, dass die Militärintervention Frankreichs zu diesem Zeitpunkt richtig und notwendig war, denke ich. Dieser Einsatz ist aber nicht geeignet, um die Probleme Malis zu lösen. Es muss mittelfristig eine demokratische, verfassungsgemäße Ordnung wiederhergestellt werden. Und der Norden muss in den Blick genommen werden um hier wirtschaftliche und soziale Perspektiven für die verschiedenen Bevölkerungsgruppen zu entwickeln.

Das Interview führte Barbara Mayrhofer (KNA)

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