Missbrauchs-Gutachten attestiert schwere Fehler
Schwere Versäumnisse und ein Paradigmenwechsel: Unabhängige Gutachter haben einen Bericht zum Umgang mit sexuellem Missbrauch im Bistum Hildesheim vorgestellt. Darin kommen die Wissenschaftler vom Münchner Institut für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) zu einem kritischen Urteil, wie bei der Präsentation am Montag deutlich wurde. So seien die Verantwortlichen in der Vergangenheit teils überfordert gewesen und hätten mangelnde Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit externen Partnern gezeigt, heißt es in der rund 250 Seiten starken Studie.
Das vom damaligen Hildesheimer Bischof Norbert Trelle im Jahr 2016 in Auftrag gegebene Gutachten befasst sich in der Hauptsache mit Missbrauchstaten durch den pensionierten Priester Peter R. Daneben beleuchtet es auch Vorwürfe gegen den früheren Hildesheimer Bischof Heinrich Maria Janssen (1907-1988). Dass dieser zwischen 1958 und 1963 einen Jungen sexuell missbraucht haben soll, konnte das Gutachten weder beweisen noch entkräften. Eine Anerkennungszahlung von 10.000 Euro an das angebliche Opfer erfolgte demnach möglicherweise vorschnell.
Deutliche Kritik zum Fall Peter R.
Deutlich kritischer fiel das Ergebnis der Gutachter im Fall des Priesters Peter R. aus. In diesem Fall sei "ein Muster des Wegschauens" erkennbar, sagte IPP-Forscher Peter Mosser. Der Vorgang hatte bundesweit für Aufsehen gesorgt. Der ehemalige Seelsorger R. soll bereits in den 70er- und 80er Jahren mindestens 100 Kinder am Berliner Canisius-Kolleg missbraucht haben.
Von 1982 bis 2003 war er mit Unterbrechungen im Bistum Hildesheim tätig. Die Gutachter des IPP wiesen aufgrund umfangreicher Aktenstudien elf Fälle sexualisierter Gewalt nach, die sich Peter R. während dieser Zeit zuschulden kommen ließ. Sowohl der Jesuitenorden als auch das Bistum hätten lange wissentlich in Kauf genommen, dass Minderjährige durch den Priester gefährdet worden seien. Als sich 2010 ein damals 14-jähriges Mädchen aus Hildesheim mit neuen Missbrauchsvorwürfen an das Bistum wandte, seien die Verantwortlichen nicht professionell genug vorgegangen. Sie hätten sich jedoch bemüht, der Betroffenen gerecht zu werden.
Themenseite: Missbrauch
Der Missbrauchsskandal erschütterte die katholische Kirche in ihren Grundfesten. Seit 2010 die ersten Fälle bekannt wurden, bemüht sich die Kirche um Aufarbeitung der Geschehnisse. Katholisch.de dokumentiert die wichtigsten Etappen.Die aktuellen Bemühungen des Bistums Hildesheim zur Vorbeugung von Missbrauch entsprächen dem Stand der Zeit, so die Gutachter. Dennoch solle sich die Diözese um weitere Professionalisierung bemühen. Lobend äußerten sich die Forscher über die Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz (DBK) zum Umgang mit Fällen sexuellen Missbrauchs von 2002. Diese seien Teil eines Paradigmenwechsels, da sie "erstmals eine öffentlich sichtbare Strategie" der Kirche im Kampf gegen den Missbrauch zeigten.
"Die eigene Schuld und das eigene Versagen lasten auf uns", sagte der Hildesheimer Diözesanadministrator, Weihbischof Nikolaus Schwerdtfeger (im Bild rechts), bei der Vorstellung des Berichts. "Ich bitte die Opfer und ihre Angehörigen im Namen unseres Bistums um Vergebung." Die Verantwortlichen in der Diözese seien sich des großen Leids der Opfer bewusst. "Das macht mich bekümmert und zerknirscht, und es beschämt mich zutiefst", so Schwerdtfeger.
Weihbischof räumt persönliche Fehler ein
"Tief betroffen" von den Untersuchungsergebnissen zeigte sich auch Weihbischof Heinz-Günter Bongartz (im Bild links). "Sie haben mich selbst schockiert, weil sie mir eindeutig meine falschen Einschätzungen vor Augen gehalten haben", erklärte er mit Blick auf die ihm attestierten Fehler als diözesaner Missbrauchsbeauftragter zwischen 2007 und 2014. Er habe damals nicht erkannt, dass er mit der Aufgabe persönlich überfordert gewesen sei. Etwa im Fall von Vorwürfen gegen Peter R. habe Bongartz nach eigenem Bekunden falsche Entscheidungen getroffen. "Ich bitte von ganzem Herzen um Entschuldigung, dass ich damals nicht die Täterstrategien wahrgenommen und die daraus notwendigen Schlüsse für das Kindeswohl abgeleitet habe", sagte der Weihbischof.
Der DBK-Beauftragte für Fragen des sexuellen Missbrauchs, Bischof Stephan Ackermann, zeigte sich am Montag dankbar über das Gutachten. Damit gehe das Bistum "einen wichtigen Schritt in der kritischen Aufarbeitung", erklärte der Trierer Bischof in Bonn. "Die Analyse ist offen und schonungslos, beschämend und mahnend." Sein Dank gelte einerseits dem früheren Bischof Trelle für den Anstoß zu der Untersuchung, andererseits den beiden Weihbischöfen Schwerdtfeger und Bongartz für ihre Bitten um Entschuldigung. (mit Material von KNA)