Mit dem Bischof unter einem Dach
Das Gewusel ist groß: Neben einer Hanfpalme und einem kleinen Springbrunnen bunte Kinderstühle, ein Mini-Planschbecken, eine alte Hollywood-Schaukel und eine neue Nestschaukel, ein mit Kinderspielzeug vollgestopfter Sandkasten, ein grüner Traktor, ein rotes Bobby-Car. Im Garten sitzt derweil entspannt Zamzam H. mit ihren acht Kindern und ihren Eltern.
Eine somalische Flüchtlingsfamilie in Deutschland: das wäre nicht weiter erwähnenswert, lebte sie nicht seit acht Monaten unter einem Dach mit dem Speyrer Bischof Karl-Heinz Wiesemann. Der Bischof und die Flüchtlinge - sie teilen sich zwar nicht Bad oder Küche, aber sie wohnen Wand an Wand unter einem Dach, neben Wiesemanns Wohnung und über der Privatkapelle mit Sakristei.
Keine Chance auf Bildung in Somalia
Wenn der Bischof und die beiden in seinem Haushalt lebenden Ordensschwestern morgens Gottesdienst feiern, "dann hören wir, dass Leben im Haus ist. Und zwar auf eine ganz angenehme Art und Weise." Wiesemann spricht von einer "sehr liebenswürdigen Familie", offen, herzlich, selbstständig. Deshalb sei auch bei Sprachschwierigkeiten die Kommunikation kein Problem. "Natürlich machen die auch viel Krach. Ist doch logisch", sagt Wiesemann. Aber er empfindet ein turbulentes Familienleben als normal, weil er selbst mit mehreren Geschwistern aufwuchs. "Wir sehen uns und kennen uns", beschreibt er sein Verhältnis zur Großfamilie. Der Umgang miteinander wirkt völlig unkompliziert.
Zamzam H. kommt aus Mogadischu. Die somalische Hauptstadt gilt als eines der gefährlichsten Pflaster der Welt. "Dort ist es nie ruhig", sagt die Anfang 30-jährige, zierliche Frau. Von Libyen aus kam sie über den Seeweg nach Italien und landete schließlich in Deutschland. Während der mehrmonatigen Flucht war sie schwanger, Ali, ihr jüngster, kam in der Bundesrepublik zur Welt. Sara (14), Fida (13), Lujeyna (10) und Abas (9) gehen inzwischen in Speyer zur Schule, Abdullahi (3) in eine Kindertagesstätte. Sie alle scheinen schnell die deutsche Sprache zu lernen. Außer Ali (1) sind nur noch Adil (3) und Imaran (2) den ganzen Tag zu Hause.
"Es ist sehr schön hier", sagt Zamzam H. Sie sei froh, hier zu sein. Denn in Somalia habe es für ihre Kinder keine Schulen, keine Chance auf Bildung und keine Zukunft gegeben. Manches bleibt an diesem Nachmittag, als das Bistum aus Fürsorgegründen erst nach langem Zögern und vielen Monaten dem Wunsch einiger Journalisten nach einem Besuch entsprochen hatte, offen. Wie verlief die Flucht, wie schaffte eine allein reisende Frau diese unendlichen Strapazen, wer finanzierte die Transporte? Fehlende Antworten mögen einer Mixtur aus großen Sprachbarrieren, persönlicher Zurückhaltung und kulturellen Unterschieden geschuldet sein.
Leere Wohnung der Stadt mietfrei zur Verfügung gestellt
Doch jetzt sind die Somalier im Vikarienhof. Der u-förmige, 1704 erbaute barocke Gebäudekomplex an der Westseite des Domplatzes wurde mehrfach umgebaut, klassizistisch erweitert und Anfang des 20. Jahrhunderts mit Jugendstilelementen bereichert. In der Mitte ist ein begrünter Innenhof, an dessen Südseite die elfköpfige Familie ihr Zuhause gefunden hat. Früher lebte dort, wo sie heute wohnt, ein Domkapitular. Nachdem die 120-Quadratmeter-Wohnung eine Zeit lang leer stand, stellte das Bistum sie der Stadt mietfrei zur Verfügung. Wer schließlich einzog, entschied die Kommune. "Wir haben der Stadt keine Vorgabe gemacht", sagt Wiesemann.
Was für eine Dankbarkeit schlug mir da entgegen!
Vor Ostern hatte Bischof Wiesemann von seiner ersten Begegnung mit der somalischen Flüchtlingsfamilie berichtet. Lesen Sie hier seinen Text aus der Speyrer Bistumszeitung "Der Pilger"."Am Anfang war es schwer. Aber heute gefällt es uns sehr gut", erzählt Zamzam H. Fühlte sie sich zunächst in der fremden Umgebung einsam, so berichtet sie heute von Kontakten, die sie beim Frauen-Cafe knüpft. Sie will die Sprache lernen und später als Putzfrau arbeiten. Die Frage nach dem lieben Gott spielt im Zusammenleben indes weder für die muslimische Familie noch für den katholischen Bischof eine Rolle. An Ostern kam Wiesemann aber mit den beiden Ordensfrauen vorbei und brachte ein paar kleine Geschenke.
Auch die Schwestern Michaele und Hildeburg, beide aus dem Orden der Mallersdorfer Franziskanerinnen und weit über 70, haben ihren Spaß an der neuen Nachbarschaft. Wenn Not am Mann ist, helfen sie aus. Nach dem Einzug haben sie beispielsweise die Gardinen genäht. Und Zamzam H. fühlt sich willkommen. Ihre Heimat vermisst sie nach eigenem Bekunden nicht, ein bisschen allerdings das Meer. Ersatzweise spaziert sie mit den Kindern heute schon mal am Rhein entlang. Dafür erlebt sie ganz andere und für sie entscheidendere Dinge in Deutschland als wichtig: die Ruhe und den gegenseitigen Respekt.