"Mit der Waffe des Wortes"
Frage: Herr Simbeck, wie wird die Polizeiseelsorge bei einem Großeinsatz wie dem G7-Gipfel organisiert?
Simbeck: Wir koordinieren bei dem Einsatz die Seelsorger der Landespolizei. Dazu gehören zehn bis 14 Seelsorger aus Bayern und diejenigen, die aus den anderen Bundesländern mitgeschickt werden. Vor Ort organisieren die sich zwar größtenteils selbst, informieren uns aber, wer mitkommt. Aus Nordrhein-Westfalen sind das beispielsweise vier Seelsorger, deren Namen und Telefonnummern wir bereits haben, um während des Einsatzes mit ihnen Kontakt halten zu können. Wenn eine Einheit ohne Seelsorger kommt, werden wir ebenfalls informiert, damit wir notfalls einen von uns hinschicken können, falls etwas passiert.
Frage: Wie geht es dann vor Ort weiter?
Simbeck: Während die Seelsorger aus den anderen Bundesländern ihre eigenen Hundertschaften begleiten, organisieren wir auf ökumenischer Basis die restlichen Mitarbeiter, die auf München und Garmisch-Partenkirchen verteilt sind. Wenn dann bei uns im Führungsstab Anfragen einlaufen, schicken wir die Seelsorger dorthin, wo es Handlungsbedarf gibt. Jeden Morgen gibt es zusätzlich eine Einsatzbesprechung, die etwa eine halbe Stunde dauert. Darin besprechen wir, was am Vortag oder in der Nacht passiert ist und wie die Seelsorger darauf reagiert haben. Auch legen wir dort Einsatzschwerpunkte für den kommenden Tag fest, damit nicht bestimmte Bereiche doppelt und dreifach besucht werden. Und dann geht jeder Seelsorger hinaus und sucht das Gespräch mit den Polizisten.
Frage: Worüber sprechen die Seelsorger mit den Polizisten?
Simbeck: Unsere Aufgabe ist wesentlich niederschwelliger als man zunächst annehmen könnte. Zuallererst führen wir Kontaktgespräche. Das heißt: Die Polizisten tun irgendwo im Einsatzgebiet des G7-Gipfels ihren konkreten Dienst und wir besuchen sie dort. Wir fragen, wie es ihnen geht, wie lange sie schon hier sind, wo sie untergebracht sind und ähnliches. Das ist unsere tägliche Arbeit. Es gibt auch den einen oder anderen Einsatz, wo wir persönliche Hilfe leisten. Dazu ein Beispiel: Ein Polizeibeamter erfährt telefonisch, dass es einen Todesfall in seiner Familie gab. Den wollen wir natürlich nicht einfach alleine nach Hause schicken. Wir überlegen dann, wie sich seine Rückreise organisieren lässt und bieten ihm die Möglichkeit für Gespräche an.
Frage: Gibt es denn auch mal Gespräche über den Glauben?
Simbeck: Das kommt sogar sehr oft vor. Man fragt nur nach dem Wetter oder dem Wohlergehen und befindet sich kurz darauf in Gesprächen über den Glauben. Manchmal melden sich die Polizisten sogar nach einigen Wochen wieder und fragen, ob man dessen Trauung übernehmen oder die Kinder taufen würde. Natürlich gibt es auch viele Polizisten, die nicht religiös, nicht getauft oder sogar aus der Kirche ausgetreten sind. Aber auch von denen bekommen wir eigentlich nur positive Rückmeldungen nach unseren Gesprächen. Häufig sagen sie: "Sie geben der Kirche ein anderes, ein menschlicheres Gesicht, als ich es in meiner Vorstellung hatte."
Frage: Ändern sich Ihre Aufgaben als Seelsorger, wenn es bei Einsätzen zu größeren Ausschreitungen kommt?
Simbeck: Das war ja beispielsweise 2007 beim G8-Gipfel in Heiligendamm der Fall, als Polizisten durch Steinwürfe und andere Angriffe massiv verletzt wurden. Damals haben wir die Verletzten natürlich im Krankenhaus besucht. Unsere eigentliche Arbeit hat aber erst Wochen oder sogar Monate danach begonnen, als wir den Beamten durch Gespräche geholfen haben, das ein oder andere Erlebnis zu verarbeiten. Denn so ein Angriff kann einen Polizisten traumatisieren. Wir Seelsorger arbeiten dabei polizeiintern mit Psychologen zusammen.
„Man fragt nur nach dem Wetter oder dem Wohlergehen und befindet sich kurz darauf in Gesprächen über den Glauben.“
Frage: Manchmal müssen umgekehrt auch Polizisten mit Gewalt gegen Demonstranten vorgehen. Wie stehen Sie als Christ dazu?
Simbeck: Bei der Gewaltausübung geht es um die Zielsetzung. Ein Polizist darf sie nicht ausüben, weil er von Natur aus aggressiv ist und Spaß daran hat. Wenn ein Beamter einen Demonstranten festnimmt, soll und muss er ihn darauf hinweisen, dass das Anlegen der Handschellen nicht wehtut, wenn kein Widerstand geleistet wird. Wir Seelsorger geben den Polizisten dazu auch Ethikunterricht, in dem wir darüber diskutieren, was man alles mit der "Waffe" des Wortes erreichen kann. Wenn sich jemand allerdings mit Händen und Füßen gegen eine Festnahme wehrt, bleibt dem Polizisten nichts anderes übrig, als speziellen Grifftechniken anzuwenden, die auch einmal wehtun können. Dabei geht es aber immer nur um verhältnismäßige Gewalt. Der Polizist muss sich ja auch selbst schützen.
Frage: Beim G7-Gipfel müssen die Polizisten zahlreiche Regierungschefs schützen. Ist so ein Einsatz für die Beamten etwas Besonderes?
Simbeck: In letzter Konsequenz ist das ein ganz normaler Einsatz, der sich nur wenig von andern unterscheidet. Bei einem G7-Gipfel sind nur wesentlich mehr Polizisten im Einsatz und der Sicherheitsaspekt ist noch größer als bei einer normalen Demonstration oder einem Fußballspiel. Vielleicht ist die Nervosität bei dem einen oder anderen Polizisten dadurch ein bisschen größer.
Frage: Wann ist für Sie als Polizeiseelsorger der Einsatz beim G7-Gipfel erfolgreich verlaufen?
Simbeck: Der Einsatz ist für uns Seelsorger dann erfolgreich, wenn er es auch für die gesamte Polizei war. Wenn die Zahl der Verletzten sich in Grenzen gehalten hat, wenn es keine nennenswerten Ausschreitungen oder gar einen Anschlag gegeben hat. Der Einsatz ist dann gut gelaufen, wenn wir sagen können: "Es war ein normaler Einsatz und wir waren gut aufgestellt."