"Mit dir, Maria, singen wir": Das ökumenische Marienlied
Bei Marienliedern zum Abschluss eines Gottesdienstes scheint es nur zwei Gruppen von Menschen in der Kirche zu geben: die Fans, die die süßlich-kitschigen Melodien mit Inbrunst laut mitsingen, und diejenigen, die das Gesangbuch zuklappen und die Kirche noch vor dem Priester verlassen. Zum einen polarisiert Maria beziehungsweise das Bild von Maria, das in der römisch-katholischen Kirche seit einigen Jahrhunderten propagiert wird. Und zum anderen ist der künstlerische oder theologische Wert vieler dieser Lieder recht begrenzt: Sie klingen mal wie ein Schlaflief, mal eher schmachtend und fast immer kommen im Text echte Glaubensinhalte nicht vor, dafür aber Anspielungen auf irgendwelche Legenden in einer heute kaum verständlichen Landwirtschafts- oder Seefahrersprache.
Zum Glück gibt es aber auch "richtige" Marienlieder mit direktem Bezug auf die Bibel, etwa die vielen Versionen des "Magnifikat", das Maria in Lk 1,39-56 spricht. Und es gibt seit knapp 25 Jahren das temporeiche "Mit dir, Maria, singen wir", das mein Lieblingsmarienlied ist. Es unterscheidet sich von allen anderen Marienliedern, bei denen die Singenden sich entweder an die Mutter Jesu mit ihren Bitten wenden oder in ihr Magnifikat-Lied einstimmen. "Mit dir, Maria, singen wir" vereint beides: Der Text von Eugen Eckert und Winfried Offele aus dem Jahr 1994 spricht Maria an und lädt zum Singen mit ihr ein. Und die Melodie des Franzosen Jean-Claude Gianadda, die in ihrer Urform wohl aus Chartres stammt, hat es mir genauso angetan.
Spielerische Leichtigkeit
Die schnell gesungenen Strophen fließen in spielerischer Leichtigkeit und führen zum Refrain, der wie eine Bestätigung klingt und die zunächst hohe Melodie in die Tiefe des Grundtons führt. Mit der Gottesmutter singen wir "von Gottes Heil – in unsrer Zeit". Dabei trägt uns dieselbe Hoffnung, die Maria trug – also Jesus. Er wird zunächst nicht im Liedtext genannt, erst in Strophe 3 heißt es "Großes hat Gott an dir getan. Großes wirkt unter uns dein Sohn".
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Maria wird zunächst direkt angesprochen: "Du weißt um Tränen, Kreuz und Leid" (Strophe 2). Aber dann wird sie nicht wie in klassischen Marienliedern um Fürsprache bei Gott gebeten, sondern man singt gemeinsam mit ihr das Lied der Hoffnung, das auf die befreiende Macht Gottes vertraut: "Doch du besingst den, der befreit, weißt, dass das Leben letztlich siegt." Die Strophe schafft Solidarität zwischen Maria und den Singenden, da beide Seiten die Lebensrealität kennen.
Ein evangelischer Autor
Autor Eckert hat hunderte Neue Geistliche Lieder geschrieben, wie "Bewahre uns Gott", "Eingeladen zum Fest des Glaubens" und "Meine engen Grenzen" – und er ist evangelischer Pfarrer. Das macht aus "Mit dir, Maria, singen wir" ein ökumenisches Marienlied. Weder die Bibel, noch die traditionelle Lehre über Maria kommen dabei zu kurz. Trotz des evangelischen Autors klingen mindestens zwei der drei Mariendogmen in diesem Lied an: Sie wird als die (jungfräuliche) Gottesmutter benannt (Konzil von Ephesus, 431) und in "mein Gott, der mich erhoben hat" klingt auch das Dogma der von Gott Erwählten ("die ohne Erbsünde Empfangene", 1854) nach.
Ich habe "Mit dir, Maria, singen wir" bereits gemeinsam mit evangelischen Christen gesungen – auf dem Kirchentag 2017 in Berlin – und kann bestätigen, dass Text und Melodie auch die Leute mitreißen, die eigentlich keine Marienlieder singen wollen. Vielleicht bietet das relativ neue Lied die Chance, die Bedeutung von Maria da wieder neu zu entdecken, wo sie im Glaubensleben der Menschen kaum noch Platz findet? Jedenfalls wird das Lied auch in er katholischen Kirche immer bekannter: Im neuen Gotteslob aus dem Jahr 2013 wurde es in mehrere Eigenteile der Bistümer aufgenommen, etwa in die von Hildesheim, Hamburg und Osnabrück, von Fulda sowie Freiburg und Rottenburg-Stuttgart.