In Erfurt beschäftigen sich die Teilnehmer einer Fachtagung mit Trauerfeiern nach Großkatastrophen

Musik und Kerzen helfen Trauern

Veröffentlicht am 14.05.2015 um 00:00 Uhr – Von Markus Kremser – Lesedauer: 
Liturgie

Erfurt ‐ Nach großen Katastrophen suchen Menschen Sinn und Zuflucht in Ritualen. Die Liturgiewissenschaft hat sich solchen Trauerfeiern bisher wenig befasst. In Erfurt findet jetzt erstmals eine wissenschaftliche Tagung statt, auf der der Frage nach der Form des Trauerns nachgegangen wird.

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Die Trauerfeier, zu der auch Bundespräsident Joachim Gauck und Bundeskanzlerin Angela Merkel gekommen waren, steht in einer langen Reihe von Ereignissen, bei denen Menschen fassungslos angesichts des Unglücks sind: das Flugzeugunglück von Ramstein, die ICE-Katastrophe von Eschede, der 11. September, die Amokläufe von Erfurt und Winnenden.

Professor Dr. Benedikt Kranemann
Bild: ©KNA

Professor Dr. Benedikt Kranemann ist Liturgiewissenschaftler und leitet das Theologische Forschungskolleg an der Universität Erfurt.

Mit solchen Trauerfeiern befasst sich nun erstmals eine Fachtagung in Erfurt. "Der Umgang mit Trauer um gefallene Bundeswehr-Soldaten war der Anlass für eine erste Auseinandersetzung mit diesem Thema", sagt Benedikt Kranemann, der Leiter des Theologischen Forschungskollegs an der Erfurter Universität.

Trauerfeiern angesichts von Katastrophen sind noch unerforscht

Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) unterstütze die Untersuchungen, weil sich "noch keine größere Studie bisher mit solchen Trauerfeiern" beschäftigt habe, so Kranemann im Gespräch mit katholisch.de. Die Gesellschaft sei von solchen Fragen sehr stark berührt und komme in solchen Situationen immer wieder auf die Kirche zu. Die Kirchen würden in solchen Situationen um die Vorbereitung und Gestaltung von ökumenischen Trauergottesdiensten gebeten. Anders als in anderen Ländern würden solche Feiern nahezu ausschließlich von den christlichen Kirchen ausgerichtet. "Für die Liturgiewissenschaft ist interessant, dass es Formen des Totengedenkens gibt, die neben den ‚offiziellen Liturgien’ entstehen", erläutert der Theologieprofessor sein Forschungsinteresse. Zum Teil entstünden hier "auf der Grenze zwischen Kirche und Gesellschaft" neue Rituale, die wissenschaftlich bisher noch nicht untersucht seien. Die Theologie und die Liturgiewissenschaft wendeten sich hier, wie auch bei Segnungen, neuen Formen zu, die untersucht werden müssten.

Rituale an der Grenze zwischen Kirche und Gesellschaft

Gemeinsamkeiten in den Ritualen seien zwischen den skandinavischen Ländern und Deutschland erkennbar. Auch in den nordeuropäischen Ländern seien die Kirchen sehr stark in Trauerfeiern nach Katastrophen eingebunden. "Und hier bleiben die Rituale auch in einem eher traditionellen Formenbestand wie Bibellesung und Psalmen", erläutert Kranemann. Die Feiern fänden auch dort überwiegend im kirchlichen Raum statt. In Deutschland und Skandinavien seien die Feiern wesentlich durch die christliche Liturgie geprägt. In den Niederlanden sei "ein stärkerer Säkularisierungsschub" zu beobachten. Zwar seien auch hier die Religionsgemeinschaften an solchen Feiern beteiligt, es entstünden aber auch neue Formen. Die Religionsgemeinschaften seien dort ein Akteur unter vielen anderen gesellschaftlichen Akteuren. "Wir haben dort ganz neu erfundene Formen von Feiern", sagt Kranemann.

Eine große Rolle spielten in jedem Falle Musik und Kerzen-Rituale. In Köln spielte ein Ensemble des Joseph-König-Gymnasiums in Haltern das Thema aus dem Film "Schindlers Liste". Das Gymnasium hatte 16 Schüler und zwei Lehrerinnen bei dem Flugzeugabsturz verloren. Ein Chor und ein Kammerorchester hatten zuvor den Kölner Trauergottesdienst mit einem Requiem von Gabriel Fauré eröffnet. "Die Rituale können ganz unterschiedlich ausfallen. In Duisburg, Winnenden oder Köln gab es einen ganz unterschiedlichen Umgang mit Kerzen", so Kranemann. Kerzen seien bei Trauerfeiern aber immer dabei.

Die Gesellschaft erwartet einen Raum zum Trauern

Die Gesellschaft erwarte einen Raum im doppelten Wortsinn. "Es braucht einen Ort an dem so etwas stattfindet. Kirchengebäude spielen da offensichtlich eine ganz große Rolle", so Kranemann. Zugleich seien aber auch Emotionen und Zeichenhandlungen wichtig. Aber auch der "Beziehungsraum", der geschaffen werde, die Erfahrung von Gemeinschaft, die Möglichkeit, die Katastrophe thematisieren zu können, und die Frage nach dem "Wohin" seien nicht unbedeutend. Die Predigt von Reiner Maria Kardinal Woelki im Kölner Dom sei dafür ein gutes Beispiel. Woelki habe mit seinen Worten zum Leben nach dem Tod, "Wir Christen, wir glauben das", den Trauernden Hoffnung gegeben. Das sei etwas, was in solchen Situationen gesucht werde. "Das ist mehr als einfach nur Abschied zu nehmen. Das gibt eine Perspektive ", so Kranemann. Dabei müsse der Trauernde nicht selbst glauben. "Dieser Moment des Trostes wird von der Gesellschaft sehr stark erwartet". Auch Konfessionslose hätten hier eine große Erwartungshaltung.

„Wie soll man mit dem Täter umgehen?“

—  Zitat: Professor Dr. Benedikt Kranemann

Zudem werde der Umgang mit Tätern im Zusammenhang mit Trauerfeiern immer wieder thematisiert. Das sei gerade bei der Trauerfeier in Köln so gewesen, sagt Kranemann. "Wie soll man mit dem Täter, mit den Tätern umgehen? Das ist eine Frage, die gerade an die Kirchen gerichtet wird". Die Frage ob Täter in das Totengedenken eingeschlossen seien und was die Kirchen dazu sagen, werde in der Öffentlichkeit diskutiert. In Köln fand Kardinal Woelki die Antwort auf diese Frage. "Es steht uns nicht zu, zu urteilen. Es sind 150 Opfer. Unser aller Leben liegt in Gottes Hand", sagte Woelki im Vorfeld der Trauerfeier. 150 Kerzen brannten für die Toten des Absturzes, 149 für die Opfer und die 150. für Andreas L., den mutmaßlichen Täter.

Von Markus Kremser